Sexuelle Übergriffe in Köln: "Sie behandelten uns wie Freiwild"

Archivbild: der Kölner Hauptbahnhof
Archivbild: der Kölner Hauptbahnhofimago/CHROMORANGE
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Gruppen aus einer Ansammlung von rund 1000 Männern haben in Köln zu Silvester Dutzende Frauen angegriffen. Kanzlerin Merkel fordert eine harte Antwort des Rechtsstaats, Köln verschärft die Sicherheitsvorkehrungen.

In der Silvesternacht haben nach Polizeiangaben Gruppen von insgesamt rund 1000 Männern auf dem Bahnhofsvorplatz und rund um den Dom Frauen bedroht, massiv sexuell belästigt und auch bestohlen. Die sexuellen Übergriffe auf dem Kölner Bahnhofsvorplatz und deren Ausmaß entsetzen die Bundesrepublik. Immer mehr Opfer berichten nun von ihren Erlebnissen.

"Die Stimmung war aggressiv", sagt eine 40-Jährige dem WDR: "Plötzlich wurde ich von hinten - ohne dass mein Freund es sah - von mehreren Männern angegrapscht. Ich kann sagen, dass es mehrere waren, da zeitgleich Hände an meinen Brüsten und an meinem Po waren."  Eine 50-Jährige sagte dem Magazin "Emma": "Als wir auf dem Bahnhofsvorplatz ankamen, habe ich plötzlich nur noch Männer gesehen. Es waren Hunderte. Und sie haben uns behandelt wie Freiwild." Eine Frau aus Overrath wurde mit ihrer Freundin nach eigenen Angaben mehrfach von vier bis sechs jungen Männern nahe des Kölner Doms umkreist:
"Ich hatte das Gefühl, die Polizei und die Sicherheitsleute der Bahn waren nicht nur überfordert, sondern hatten auch Angst, die Lage könnte eskalieren", sagte sie dem Kölner Stadt-Anzeiger.

Merkel: Harte Antwort des Rechtsstaats

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel forderte nach den Übergriffen eine harte Antwort des Rechtsstaats. Nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Seibert vom Dienstag drückte sie in einem Telefonat mit der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker "ihre Empörung über diese widerwärtigen Übergriffe und sexuellen Attacken aus".

Es müsse alles daran gesetzt werden, die Schuldigen so schnell und so vollständig wie möglich zu ermitteln und ohne Ansehen ihrer Herkunft oder ihres Hintergrundes zu bestrafen. Merkel habe sich von Reker über die Ergebnisse des Krisentreffens von Polizei und städtischen Behörden informieren lassen. Auch lasse sich die Kanzlerin vom deutschen Innenminister Thomas de Maiziere (SPD) über die Ermittlungsarbeiten berichten.

"Keine Erkenntnisse über Täter"

Die Stadt Köln will als Reaktion auf die Vorfälle ihre Sicherheitsvorkehrungen für Großveranstaltungen verschärfen. Oberbürgermeisterin Reker sagte am Dienstag, die Behörden hätten keine Hinweise, dass es sich bei den Tätern um Flüchtlinge handle. Entsprechende Vermutungen halte sie für "absolut unzulässig".

"Wir haben derzeit keine Erkenntnisse über Täter", sagte der Polizeipräsident der Stadt in Nordrhein-Westfalen (NRW), Wolfgang Albers. Zeugen hätten die Angreifer als Männer beschrieben, die "dem Aussehen nach aus dem arabischen oder nordafrikanischen Raum" stammen. Die Zahl der Anzeigen stieg am Dienstag auf rund 100.

Albers kündigte mit Blick auf den Karneval an: "Nun werden wir deutlich die Präsenz erhöhen." Die Polizei werde sowohl uniformierte als auch zivile Kräfte einsetzen und mobile Videoanlagen einrichten. Die Zeit für vorbeugende Maßnahmen und überarbeitete Sicherheitskonzepte drängt. Schon Anfang Februar werden zu Weiberfastnacht und Rosenmontag mehrere hunderttausend Besucher erwartet.

de Maiziere warnt vor Generalverdacht 

Innenminister de Maiziere verurteilte die Angriffe als abscheuliche Taten. "Dass eine so große Zahl von Personen, offensichtlich mit Migrationshintergrund, diese Übergriffe verübt haben sollen, stellt eine neue Dimension dar." Zugleich mahnte er: "Dies darf aber nicht dazu führen, dass nunmehr Flüchtlinge gleich welcher Herkunft, die bei uns Schutz vor Verfolgung suchen, unter einen Generalverdacht gestellt werden."

NRW-Regierungschefin Hannelore Kraft (SPD) sprach von einer "Eskalation der Gewalt" und sexuellen Übergriffen "durch Männer-Banden". Dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Mittwoch) sagte sie: "Für die Opfer, insbesondere die betroffenen Frauen, waren das schreckliche, zutiefst verstörende Erlebnisse." Wenn die Voraussetzungen gegeben seien, müssten kriminelle Straftäter abgeschoben werden. NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) betonte: "Wir nehmen es nicht hin, dass sich nordafrikanische Männergruppen organisieren, um wehrlose Frauen mit dreisten sexuellen Attacken zu erniedrigen." Die Polizei werde neue Konzepte für die Karnevalszeit erarbeiten, um solche Vorkommnisse künftig zu verhindern. "Das sind wir den Frauen schuldig und zugleich den nordafrikanischen Flüchtlingen, die friedlich bei uns leben wollen."

Der deutsche Justizminister Heiko Maas (SPD) verlangte auf Twitter, nach dem "abscheulichen Übergriffen" müssten alle Täter konsequent zur Rechenschaft gezogen werden. Der CDU-Politiker Jens Spahn forderte via Twitter einen gesellschaftlichen "Aufschrei".

Kritik an Polizei

Nach Polizeiangaben sollen alle verfügbaren Einsatzkräfte in der Nacht beim Bahnhof gewesen sein. Das seien in Spitzenzeiten insgesamt gut 210 Beamte gewesen. Dennoch gab es weiter Kritik und viele offene Fragen zu dem Einsatz. Augenzeugen berichteten in mehreren Medien, die Polizei sei überfordert und die Stimmung aggressiv gewesen.

Der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, mahnte eine lückenlose Aufklärung an - und mehr Personal. "Was wir brauchen, ist eine starke Polizeipräsenz vor Ort." Die Polizei benötige auch Videoüberwachung, man solle sich aber nicht der "Illusion" hingeben, damit Tätern "individuell und konkret Straftaten" nachweisen zu können.

Ähnliche Fälle in Hamburg

Auch die Polizei in Hamburg ermittelt wegen Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht, mit geringerem Ausmaß als in Köln. Die Opfer seien jeweils von mehreren Männern an der Reeperbahn umringt und an der Brust oder im Intimbereich begrapscht worden, sagte Polizeisprecher Holger Vehren am Dienstag. Zugleich hätten ihnen die Täter Handys, Papiere und Geld weggenommen. Bisher seien zehn Fälle angezeigt worden.

(APA/dpa/AFP/Reuters)

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