Wenn Verbrecher plötzlich Akademiker werden

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Für jedes hinter Gittern verfasste wissenschaftliche Werk gewährt der Staat Haftnachlass. In den vergangenen zwei Jahren haben ungewöhnlich viele Insassen Bücher geschrieben - oder eher schreiben lassen.

Belgrad/Bukarest. Das Gefängnis als Hort der Einkehr und Umkehr straffällig gewordener Bürger: Das Ideal der Resozialisierung scheint ausgerechnet in Rumäniens trostlosen Gefängnissen völlig unerwartete Blüten zu treiben. Von 2013 bis 2015 haben insgesamt 188 Häftlinge 415 wissenschaftliche Werke veröffentlicht, wie die nationale Gefängnisverwaltung Rumäniens jüngst mitgeteilt hat; 2012 hatte die Zahl der unter Freiheitsentzug verfassten Werke noch bescheidene sieben Bücher betragen.

Auffällig viele der spät berufenen Hobbywissenschaftler sitzen wegen Geldwäsche, Steuerhinterziehung oder Bestechung ein. Ihre akademische Motivation hat jedoch weniger mit Rumäniens verstärktem Feldzug gegen die Korruption zu tun; eher machen sich die Inhaftierten eine Gesetzeslücke zunutze, die für jedes während der Haft veröffentlichte Buch einen Strafnachlass von einem Monat vorsieht.

Doch es ist vor allem der Fleiß der Gefängnispublizisten, der die Öffentlichkeit verblüfft, stehen ihnen doch lediglich eine karg bestückte Gefängnisbibliothek und keine Computer zur Verfügung. Die Werke werden meist handschriftlich gefertigt. So hat der wegen einer betrügerischen Privatisierung im Sommer 2014 zu zehn Jahren Haft verurteilte Medien-Tycoon Dan Voiculescu bereits zehn Bücher mit Titeln wie „Der vierte Weg“ oder „Wohin Menschheit?“ verfasst – und sich damit seiner vorzeitigen Freilassung um 300 Tage näher geschrieben. Ebenfalls auf zehn Titel kommt der Geschäftsmann Dinel Staicu, auf immerhin neun Bücher der frühere Politiker Nicolae Vasilescu. Doch auch einstige Fußballprofis und selbst Sängerinnen finden sich unter den Neo-Autoren: So überraschte der Popbarde Realini Lupşa mit einer Veröffentlichung über die Bedeutung von Stammzellen in der Zahnmedizin.

Vorwurf kaum zu überprüfen

Nun sind es Medienberichten zufolge meist als „wissenschaftliche Betreuer“ angeheuerte Akademiker, die als Ghostwriter der begüterten Inhaftierten fungieren. Deren in die Zellen geschmuggelte Erkenntnisse haben die Häftlinge dann nur noch abzuschreiben. In geringer Stückzahl veröffentlichen dubiose Kleinverlage dann die Manuskripte, deren Authentizität und Gehalt nicht nur von der Gefängnisverwaltung kaum zu überprüfen sind. Da manchmal die komplette Auflage nach Veröffentlichung vom Markt verschwindet, ist auch einem etwaigen Plagiatsverdacht nur schwer nachzugehen.

Die mit der Abfassung von Büchern „ohne jeglichen wissenschaftlichen Wert“ erzielte Strafminderung untergrabe den Kampf gegen die Korruption, ärgert sich Laura Codruţa Kövesi, die Anklägerin der Antikorruptionsbehörde. Ihre Klage bleibt nicht ungehört: 15 Parlamentsabgeordnete haben einen Antrag eingebracht, der den Missbrauch dieses Strafnachlasses erschweren soll. (ros)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2016)

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