Die Invasion der fremden Vielfraßfische

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Vor der Westküste Süd- und Mittelamerikas droht der dort artfremde Fisch Cobia (auch Offiziersbarsch) ein Gemetzel unter den indigenen Meeresbewohnern anzurichten. Alles begann im Vorjahr, als Cobias aus einer Fischzucht in Ecuador entkamen.

Seit dreißig Jahren fährt Wilmer Franco mit seinem kleinen Boot auf den Pazifik, um Krabben und Krebse zu fischen. Doch seit Ende 2015 ist die Ausbeute stark zurückgegangen. Seine Netze haben Löcher, die Krustentiere, die er aus dem Wasser zieht, sind oft angebissen. „Cobias haben das angerichtet“, klagt der Fischer aus dem Badeort Crucita in Ecuadors Küstenprovinz Manabí. „Das ist sehr beunruhigend.“

Ähnlich formulieren das Meeresbiologen des renommierten Smithsonian Tropical Research Institute: „Diese gierigen Fleischfresser können weitreichende Schäden für Fischerei und Meeresökologie im Ostpazifik anrichten“, warnt das Institut, das Cobias vor der Westküste von Panama fand. Und das ist ein Problem. Denn die Raubfische (auch Offiziersbarsch oder Königsfisch genannt) mit langem Leib und flachem Kopf, die in der Natur bis auf zwei Meter Länge und 70 Kilogramm Gewicht wachsen können, sind in den meisten warmen Gewässern heimisch, in Ostasien etwa, der Karibik und im tropischen Atlantik. Vor Amerikas pazifische Küste hat die Natur sie nicht platziert. Bis Mensch und Markt eingriffen.

Gefährliche Flüchtlinge. Anfang 2015 besetzte die Fischzuchtfirma Ocean Farm neun Seemeilen vor Jaramijó (Ecuador) drei Käfige mit Jungfischen. Acht Monate später merkten die Wärter, dass ein Käfig ein Loch hatte. Tausende Tiere, damals je etwa zwei Kilogramm schwer, waren ausgeschwärmt. Und begannen einen Fresszug, der einige schon bis ins 2000 Kilometer nördlich gelegene Panama brachte. In wenigen Monaten dürften sie Mexiko erreichen.

Nachdem der Ausbruch in die Medien kam, verkündete Ecuadors Umweltministerium, der Vorfall sei ernst, Cobias seien „opportunistische Vielfraße“, die alles verschlängen, was ihnen in die Quere schwimme. „Die natürlichen Vorkommen von Krabben, Seebrassen und vielen Arten des Meeres sind gefährdet.“ Die Manager der Firma Ocean Farm S.A. wurden ins zuständige Ministerium bestellt und schrieben notgedrungen eine Fangprämie aus: zwei Dollar pro Tier. Da machen die Fischer ein besseres Geschäft, wenn sie den Fang zu Markte tragen. Rachycentron canadum sind wohlschmeckend mit festem weißen Fleisch. In Japan enden Cobias gern als Sashimi, in Südamerika als Ceviche, mit roten Zwiebeln mariniert in Limettensaft. Dazu Salz, Chili, Koriander. Zubereitet in zehn Minuten.

In einer zunehmend gesundheitsbewussten Welt, die immer mehr Fisch essen will, aber immer weniger davon fängt, wurden Zucht-Cobias zu einer global gehandelten Commodity wie chilenische Lachse oder Doraden aus dem Mittelmeer. „Aus Aquakultur“ steht auf den Tiefkühlverpackungen, in denen die Filets um die Welt reisen, produziert meist in China, Indien, Pakistan, Vietnam, zubereitet und verzehrt immer öfter auch in Europa.

Die erste Cobia-Farm Südamerikas richtete Kolumbiens Lebensmittelkonzern Antillana 2010 nahe der Hafenstadt Cartagena ein. Die Karibik ist überfischt, dem Unternehmen, lokaler Marktführer in Tiefkühlfilets, wurde der Rohstoff knapp. So entschloss man sich zur Zucht. Im Norden der vorgelagerten Insel Tierrabomba hat Antillana zwölf Käfige im Meer. Drei davon sind die „Kinderstation“, neun Meter im Durchmesser und sechs Meter tief, wo die frisch geschlüpften Tiere mit zwei Gramm Körpergewicht ihr Leben beginnen. Nach 90 Tagen kommen sie in die vier Aufzuchtbecken, die sie 90 Tage später ein Kilo schwer verlassen.

Es fehlen richtige Feinde. Ihre letzten acht Monate fressen sie sich in Mastkäfigen fett. In jedem der riesigen Gehege werden 6000 Fische mit proteinreichem Futter und Medikamenten aufgezogen. Ein Jahr nach Beginn endet der Zyklus. 400 Tonnen Cobia ist die Jahresausbeute der Farm, deren Führung sich für die Spezies entschied, weil sie in der Karibik heimisch ist. Hier, östlich von Amerikas Landbrücke, würde ein Ausbruch kein Unheil anrichten.

Kolumbiens Fischer nennen den Räuber bacalao, so wie den Kabeljau des Nordatlantiks, was an der prononcierten Rückenflosse liegen mag. Tatsächlich besteht keine Verwandtschaft. Überhaupt ist Rachycentron canadummit seinem braunen Rücken und silbrigen seitlichen Längsstreifen ein Solitär im Weltmeer. Er hat keine nahen Verwandten. Und darum schlagen Biologen Alarm: Die in den Ostpazifik entwichenen Cobias gerieten in eine Umwelt, die nicht mit ihnen umzugehen weiß. Da es keine ähnliche Art gibt, wissen die Meeresbewohner nicht, wie sie den Neuen begegnen sollen, und haben keine Ahnung von deren Gefräßigkeit.

Die Geschichte kennt unzählige Einbrüche in Ökosysteme, meist ausgelöst von Menschen, die reisen, übersiedeln oder Handel treiben. Häufig sind die Schäden lokaler Natur. Aber einige waren desaströs. Australiens Farmen wurden Mitte des 20. Jahrhunderts von Kaninchen aus Europa verheert, bis Forscher ein Virus züchteten, das sie zu kontrollieren half. Die Mücke Aedes Aegypti zapfte einst Blut im ländlichen Ägypten. Heute plagt sie die gesamte warme Welt als Überträger von Gelbfieber, Dengue- und Zika-Viren.

Ein Ausbruch mit giftigen Folgen. Lang waren solche Öko-Katastrophen aufs Festland beschränkt. Bis ein Aquarium in Florida zu Bruch ging: Anfang der 1990er entwischten einige Exemplare des Feuerfisches in den Atlantik. Endemisch sind diese Fische im Indischen Ozean, dem Roten Meer und wärmeren Teilen des Pazifiks. Sie sind mit giftigen Stacheln und ebenso giftigen Flossenstrahlen gespickt, die bei Kontakt mit Menschen für Letztere zwar nur selten tödliche Folgen haben, aber stunden- bis tagelange extremste Schmerzen, Krämpfe, Übelkeit, Durchfall, Fieber und Schwindel auslösen.

Die magisch schönen weiß-gelb-orange-roten Tiere (Länge fünf bis 45 Zentimeter), die jeder Taucher von Anfang an zu meiden lernt, begannen im neuen Habitat zu fressen. Dort so unbekannt wie heute Cobias im Pazifik machten sie sich über die Korallenriffe der Karibik her. Mit ihren Giftstacheln halten sie sich die meisten Feinde vom Leib. Fischer fürchten die Bestien.

„In Westatlantik und Karibik haben Feuerfische dramatische Schäden an Korallenriffen angerichtet“, bilanzieren die Biologen von Smithsonian. Und warnen, dass sich die Katastrophe wiederholen könnte: „Fischer, Behörden und Meeresbiologen sollen Kenntnis nehmen über die Präsenz der Cobias im östlichen Pazifik und die möglicherweise schädlichen Folgen. Auch wenn nicht ganz klar ist, ob sie sich in diesen Gewässern festsetzen werden, sprechen ihre Anpassungsfähigkeit und ihr schnelles Wachstum stark dafür.“

Lexikon

Cobia (im Deutschen auch Offiziersbarsch oder Königsfisch genannt) ist ein artenbiologisch gesehen „einmaliger“ Raubfisch aus der Ordnung der Stachelmakrelenverwandten, der ursprünglich im Indischen Ozean, im Roten Meer und in wärmeren Gebieten des Pazifiks beheimatet war. Bei Fischern ist der ausgezeichnete Speisefisch sehr beliebt.

Anfang 2015entkamen über Monate Tausende Jungtiere aus einer Fischzucht in Ecuador und richten seither in einem immer größer werdenden Seegebiet vor Süd- und Mittelamerika wahre Massaker unter den einheimischen Meeresbewohnern an.
Wikipedia/Wiki Summer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2016)

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