Venezuela blickt in den tiefsten Abgrund seiner Geschichte

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160501 CARACAS May 1 2016 Venezuela s President Nicolas Maduro takes part in an event to cimago/Xinhua
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Die Chavisten haben das Land heruntergewirtschaftet. Nun droht der Kollaps.

Buenos Aires/Caracas. Nun hat sich auch der Papst eingeschaltet. Franziskus schrieb einen persönlichen Brief an Nicolás Maduro und bot seine Hilfe an, angesichts der „ernsten Situation“ in dem Karibikland. Dass diese Botschaft – entgegen aller gängigen Praxis – von Rom publik gemacht wurde, zeigt die Dringlichkeit, die das katholische Oberhaupt der Situation zumisst. 205 Jahre nach der Verkündung seiner Unabhängigkeit steht Venezuela vor dem tiefsten Abgrund seiner Landesgeschichte.

Die bolivarische Republik, ausgerufen 1999 vom charismatischen Comandante Chávez, droht zu zerbröseln. Der Verfall der Ölpreise und das Ausbleiben von Niederschlägen haben die seit Jahren deutlichen Defizite des chavistischen Staatsmodells brutal verstärkt. Das Land ist gefangen in einem Strudel aus Versorgungsproblemen, politischer Ungewissheit und exzessiver Kriminalität.

Selbst elementare Bedürfnisse sind in Gefahr. Außerhalb der Hauptstadt wird an allen Wochentagen der Strom mehrere Stunden abgeschaltet, im gesamten Territorium ist das Trinkwasser trübe und stinkt. Mehr als 25.000 Menschen wurden im Vorjahr Opfer eines Gewaltverbrechens.

Und nun wird in dem heißen Tropenland auch noch das Bier ausgehen. Der Chef der Brauerei Polar hat Ende der Vorwoche die Schließung der letzten seiner vier Fabriken bekannt gegeben, weil er seine ausländischen Lieferanten nicht bezahlen kann. Die Regierung verweigert seit Jahren die Zuteilung von Devisen. Polar ist Venezuelas größte Privatfirma und gleichzeitig auch der wichtigste Getränke- und Lebensmittelproduzent. Geschäftsführer und Mitbesitzer Lorenzo Mendoza wird von Präsident Maduro beschuldigt, einen „ökonomischen Krieg“ gegen die Regierung anzuführen.

Sogar das Bier geht aus

Seit Jahren zwingt der Staat den Grundnahrungssektor des Konzerns, seine Produkte zu Preisen zu verkaufen, die deutlich unter den Herstellungskosten liegen. Ausgleichen konnte die Firma das nur über die Getränkesparte. Und deren wichtigster Artikel sind Bierflaschen und -Dosen, die der Marken-Eisbär ziert, seit Jahrzehnten so etwas wie das inoffizielle Wappentier des heißen Öllandes. Auf die Stilllegung der Polar-Fabrik reagierte Präsident Nicolás Maduro mit einem Slogan seines Vorgängers und Übervaters Chávez. „Fabrik stillgelegt – Fabrik übernommen durch die Arbeiterklasse!“ In derselben Ansprache zum 1. Mai verkündete Maduro die Anhebung des Mindestlohnes um 30 Prozent. Was er freilich nicht erwähnte: Dieses Drittel plus bedeutet nicht mehr als einen Lohnausgleich für 15 Tage in einem Land, dessen Preise in diesem Jahr um hunderte Prozent steigen, der Internationale Währungsfonds etwa erwartet 700 Prozent. Inzwischen sind vier Mindestgehälter vonnöten, um die Grundbedürfnisse einer Familie zu stillen.

Die Revolution, die, unterstützt von steigenden Ölpreisen, zwischen 2003 und 2008 die Armut in dem Lande erheblich senken konnte, muss nun eine Massenarmut verwalten, die vier von fünf Bürgern quält und erniedrigt, vor allem Alte und Kranke, denn Medikamente sind ebenso knapp wie Ersatzteile für medizinische Geräte.

Der Unmut, den das auslöst, brachte der Opposition Ende der Vorwoche binnen 24 Stunden mehr als eine Million Unterschriften ein, um eine Volksabstimmung zur Abwahl des Präsidenten einzuleiten. In einem „referendo revocatorio“ müssten mehr Bürger gegen Maduro stimmen als jene 7.587.579, die der Chávez-Nachfolger 2013 erobert haben soll.

Rochade geplant

Das erscheint angesichts der Unzufriedenheit im Land durchaus plausibel, trotz aller bereits ausgesprochenen Drohungen der Behörden. „Wir werden uns jeden Unterzeichner genau anschauen“, dröhnte bereits der mächtige chavistische Abgeordnete Diosdado Cabello in seiner Live-TV-Sendung namens „Mit dem Hammer draufhauen“. Für die Opposition ist das Abwahlreferendum eine Hoffnung, die sich jedoch nur erfüllen kann, wenn in diesem Jahr über den Präsidenten abgestimmt wird. Denn die Verfassung sieht Neuwahlen nur in den ersten vier Jahren der sechsjährigen Präsidentschaft vor. Wird ein Mandatar im dritten Drittel seiner Periode abgewählt, übernimmt der bisherige Vizepräsident.

Nun deutet alles darauf hin, dass die Chavistas versuchen werden, die Abstimmung bis nach dem 10. Jänner 2017 zu verzögern, damit im Falle eines Maduro-Abganges Vizepräsident Aristóbulo Istúriz übernehmen könnte. Erstes Indiz für eine solche Taktik ist die weltweit einzigartige Entscheidung, die Arbeitswoche des gesamten öffentlichen Dienstes auf Montag und Dienstag zu beschränken. Angeblich weil der Strom knapp ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2016)

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