Italien: Abtreibungspille entzweit Italien

(c) AP (Czarek Sokolowski)
  • Drucken

Nach Zulassung der Pille RU486 ruft die Kirche Ärzte zu einem Boykott auf. Die Ärzte hätten das Recht, aus Gewissensgründen die Abtreibungspille nicht zu verschreiben.

Rom/Wien (pk, ag). „Endlich! Ein Sieg für die Frauen!“, so jubelten die einen. „Furchtbar. Es triumphiert die Kultur des Todes“, meinen die anderen. Die katholische Kirche ist empört.

Nachdem Italiens Arzneimittelbehörde den Weg für die Abtreibungspille RU486 frei gemacht hat, ballte sich noch einmal der ganze ideologische Streit aus den vergangenen Jahren. Der Präsident der italienischen Bischofskonferenz, Kardinal Angelo Bagnasco, appellierte an die Ärzte, die Abtreibungspille zu boykottieren und sie nicht zu verschreiben. Ihre Einführung sei ein „Riss in unserer Zivilisation“, sagte Bagnasco. Die Ärzte hätten das Recht, aus Gewissensgründen die Abtreibungspille nicht zu verschreiben.

Italien ist zu mehr als 80 Prozent katholisch, seine Politik steht unter direkter, stets eingreifwilliger Beobachtung des Vatikans; es gibt aber auch einen starken und umso militanteren „laizistischen“ Block. Die beständig aufgeladene Atmosphäre erschwert Kompromisse in allen Fragen, die mit dem menschlichen Leben als solchem zu tun haben.

Mit einer Stimmenmehrheit von 4:1 hat die Pharmaziebehörde den Knoten nun durchgeschlagen. Das Medikament RU486, das in vielen Ländern unter dem Handelsnamen „Mifegyne“ in Umlauf ist, ist – von Irland und Portugal abgesehen – nun in ganz Europa in Gebrauch. Getestet wird es in Italien bereits seit 2005, nun ist es flächendeckend verfügbar. In Österreich ist es seit 1999 auf dem Markt.

Die Behörde hat den Gebrauch von RU486 allerdings auf die ersten sieben Wochen einer Schwangerschaft limitiert – danach gebe es zu viele medizinische Komplikationen, heißt es; außerdem dürfen die Pillen nur im Rahmen eines stationären Klinikaufenthalts verabreicht werden. Das soll Kritiker beruhigen, die eine unkontrollierte „Privatisierung der Abtreibung“ befürchten.

Mit Fristenregelung und zwingender sozialer Beratung vor dem Eingriff ist das italienische Abtreibungsrecht dem österreichischen sehr ähnlich. Die gesetzliche Liberalisierung von 1978 war 1981 per Volksabstimmung bestätigt worden. Seit damals hat die Zahl der gemeldeten Schwangerschaftsabbrüche von jährlich 235.000 auf 121.000 beinahe um die Hälfte abgenommen. Italien hat nach Deutschland die zweitniedrigste Abtreibungsquote in Europa.

Hoher Migrantinnenanteil

Gestiegen ist die Zahl der Abtreibungen jedoch bei Migrantinnen; sie lassen fast ein Drittel aller Eingriffe vornehmen. Dabei liegt der Ausländeranteil in Italiens Bevölkerung nur bei sieben Prozent.

Enorm zugenommen hat auch die Zahl der Frauenärzte, die Abtreibungen verweigern. Sie berufen sich auf die Unvereinbarkeit mit ihrem Gewissen. Ihre Quote liegt landesweit bei 70 Prozent, regional noch höher.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.