Street Art für die Demokratie

Internationale Künstler haben aus Er Riadh auf Djerba ein Straßenkunstdorf gemacht: Den Einheimischen gefällt’s, den Touristen auch.
Internationale Künstler haben aus Er Riadh auf Djerba ein Straßenkunstdorf gemacht: Den Einheimischen gefällt’s, den Touristen auch.Mohamed Messara/EPA/picturedesk.com
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Tunesien kämpft mit IS-Terror und leeren Urlauberburgen. Jetzt orientiert sich der Tourismus neu, zugleich etabliert sich eine Kunstszene, die die Grenzen der Freiheit austestet.

Die Touristeninsel Djerba vor der Südküste Tunesiens zählte in den vergangenen Tagen zu den wohl bestbewachten Plätzen des Landes. Genauer gesagt waren es die jüdischen Viertel am Rand der Djerba-Hauptstadt Houmt Souk, in denen Sondereinheiten der Polizei – schwarz gekleidet, schwarze Sonnenbrillen – patrouillierten und Autos kontrollierten.

Geschützt wurde vor allem das jüdische Gebetshaus, die Ghriba-Synagoge, wo dieser Tage die alljährliche jüdische Wallfahrt stattfand. Knapp 2000 jüdische Pilger nahmen an den mehrtägigen Festivitäten und Zeremonien teil. Heuer kamen wegen Warnungen vor dem IS-Terror weniger Wallfahrer als zuletzt, dafür reisten gleich drei tunesische Minister und der Vize-Parlamentssprecher an, der dabei bekräftigte: „Die Juden sind Teil von uns – und der Staat beschützt sie.“

Man demonstriert Toleranz. Rund 3000 Juden gibt es noch in Tunesien, vor 50 Jahren waren es freilich noch etwa 100.000. Die meisten leben auf Djerba, im Umfeld der Synagoge, die schon im 5. Jahrhundert vor Christus errichtet worden sein soll. Das weiß getünchte Gebäude mit den hellblauen Fensterläden ist auch außerhalb der Wallfahrtszeiten gut geschützt: Autos werden weit vorher gestoppt, der Besucher muss seinen Reisepass herzeigen und so wie auf dem Flughafen durch eine Sicherheitsschleuse. Erst dann darf man sich eine Kippa aufsetzen und die Synagoge besuchen.

Die Ghriba-Wallfahrt ist für die tunesische Regierung so etwas wie ein Status-Event. Einerseits kann Tunis der Welt zeigen, dass das moslemische Land in Religionsfragen sehr tolerant ist. Andererseits kann es zeigen, dass es trotz der IS-Drohungen die Lage im Griff hat. Ein Signal, das vor allem an Touristen gerichtet ist. Denn nach den beiden verheerenden Anschlägen vom vergangenen Jahr im Bardo-Museum in Tunis und in einem Hotel bei Sousse liegt der Tourismus, eine wichtige Einnahmequelle des Landes, darnieder. Landesweit beträgt der Rückgang etwa die Hälfte, auf Djerba sind es bis zu 80Prozent, schätzen tunesische Tourismusexperten. Im Sommer könnte sich die Bilanz allerdings verbessern.

Wir besuchen ein großes Strandhotel in Djerba. Schon weit vor dem Eingangstor stehen schwer bewaffnete Polizisten und Hotel-Securities und überprüfen mit einem Spiegel, ob unter dem Auto Bomben angebracht sind.

300 Euro die Woche all-inclusive. Drinnen dann gähnende Leere. Ein paar Dutzend Touristen sind da, wo sonst Hunderte lärmen. Die meisten sind Franzosen, es kommen aber auch immer mehr Russen. Man lockt sie mit Niedrigpreisangeboten: Bei 300 Euro All-inclusive pro Woche lassen sich Flugzeuge leicht mehrmals die Woche füllen. Damit kann man aber auch nichts verdienen, gerade die Infrastrukturkosten werden gedeckt. Das Personal wurde daher reduziert. Der Staat hilft, indem einige Kredite für Hotelbesitzer ausgesetzt wurden. Und dann gibt es die Strategie, auf den lokalen Markt zu setzen und Tunesiern, die ein paar Tage Urlaub machen wollen, günstige Möglichkeiten anzubieten. Dazu kommt, dass zunehmend auch aus den Nachbarländern Touristen kommen. Etwa aus Algerien und Libyen, das hier in Djerba nicht weit weg ist. Immer wieder sieht man Autos mit libyschen Kennzeichen. Es gibt dort offenbar noch eine wohlhabende Schicht, die im liberaleren Tunesien ihre Vergnügungen sucht. Beliebt seien sie nicht, sagt ein Tunesier. Die Libyer führten sich wie hohe Herren auf.

Der Einbruch betrifft vor allem den Massentourismus, die Regierung sucht daher nach neuen Wegen und will mehr alternativen Tourismus anbieten, der vor allem auch jüngere Kultur- und Kunstinteressierte anspricht. So werden etwa die jüdische Wallfahrt und das jüdische Leben Djerbas als spezielle Attraktion angeboten. Und mittlerweile auch das Thema moderne Kunst, vor allem Kunst im öffentlichen Raum.

Ein gutes Beispiel ist das Projekt Djerbahood. 2014 hatte der in Paris lebende Galerist Mehdi Ben Cheikh die Idee, als Beitrag zum politischen und gesellschaftlichen Dialog in der jungen tunesischen Demokratie ein ganzes Dorf zum Kunstobjekt zu machen. Also kamen 150 Street-Art-Künstler aus aller Welt, malten die Hauswände an und verwandelten das sonst weiß getünchte Dorf Er Riadh in ein buntes Freilichtmuseum. 250 Werke hinterließen die Künstler. „Ursprünglich war Djerbahood für ein Jahr vorgesehen. Aber dann gefiel es auch den Leuten hier sehr gut, und so bleiben die Kunstwerke und werden jedes Jahr erneuert“, erzählt Gerard Gridelet, ein belgischer Architekt, der sich auf Djerba niedergelassen hat.

Zurück in Tunis. In der Altstadt, der Medina, finden wir in einem arabischen Altbau das Projektteam von L'art Rue, einer Vereinigung, die Kunst im öffentlichen Raum organisiert. Ein Thema mit politischer Sprengkraft. Denn unter dem früheren Langzeitherrscher Ben Ali war es verboten, dass mehr als drei Personen in der Öffentlichkeit zusammenstanden. Seit der Jasmin-Revolution 2010/11, die den Arabischen Frühling eingeleitet hat, ist Tunesien freier und demokratischer geworden. Die Künstler nutzen dies, um Straßenkunst zu machen – Aufführungen, Graffiti, die sich mit Alltag, Gesellschaft, aber auch politischen Themen befassen.

Man staune: Feminismus! Aber auch mit feministischen Themen. Denn es gibt viele Künstlerinnen, und in der Kunstvereinigung arbeiten viele Frauen. Wie Beatrice Dunoyer, die Pressesprecherin von L'art Rue ist und von Workshops mit Kindern und Straßenprojekten berichtet – und natürlich von Dream City, dem wichtigsten Projekt, das alle zwei Jahre stattfindet, das nächste Mal 2017. Tagelang gibt es da in Tunis öffentliche Kunstveranstaltungen, bei denen kritische Themen aufgegriffen und die Leute einbezogen werden. Doch der Freiraum stößt auch im neuen Tunesien auf Grenzen. Oft gibt es für die Künstler bedrohliche Situationen wegen ihrer Arbeit – entweder durch die Behörden oder „bärtige Imame“, denen so manches Projekt zu unislamisch ist.

Die Straßenkünstler wollen aber weiter austesten, wie viel Freiheit im neuen Tunesien möglich ist.

Hinweis

Die Reise nach Tunis und Djerba fand auf Einladung der tunesischen Fremdenverkehrszentrale statt.

FAKTEN

Anschlag. Bereits 2002, lang vor dem IS-Terror, wurde auf die Ghriba-Synagoge auf der tunesischen Insel Djerba ein islamistischer Anschlag verübt. 22 Menschen, vor allem Deutsche, wurden getötet – damals im Namen der al-Qaida.

Grenzschlacht. Im März 2016 griffen Jihadisten aus Libyen eine tunesische Stadt an der Grenze an und wurden von Militär und Polizei zurückgeschlagen. Im Mai wurden bei Razzien in Tunesien mindestens 40Islamisten
festgenommen.

Tourismus. Der Terror hat den Tourismus fast zum Erliegen gebracht. Jetzt wird verstärkt auch alternativer Tourismus angeboten, etwa Kulturfestivals. Denn Kunst hat im „neuen“ Tunesien mehr Freiraum als früher.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2016)

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