Zeitenwende am Panama-Kanal

(c) APA/AFP/RODRIGO ARANGUA
  • Drucken

Am Sonntag wurde der erweiterte Kanal eröffnet. Mehr als doppelt so viel Fracht können die Schiffe nun transportieren. Kritiker zweifeln aber an der Haltbarkeit des Betons.

Einer ist schon durch. Vor drei Tagen, als alle Welt nach London blickte, vollzog sich, beinahe unbemerkt, eine Zeitenwende. Der erste Riesenfrachter kreuzte voll beladen den Kanal, der seit knapp 102 Jahren Amerika durchtrennt. In zehn Stunden schipperte die Cosco Houston 7000 Container von der Karibik in den Pazifik. Es war – nach mehr als 30 Probeläufen – die erste kommerzielle Fahrt von Gatún im karibischen Norden und Cocolí im pazifischen Süden. Und: Es gab keine Probleme. Die neuen Hebeanlagen funktionierten, die Schlepper bugsierten den Riesen durch die zwei kritischen Schleusenanlagen. Nun kann die Eröffnung kommen.

Am Sonntag, zwischen sechs und sieben Uhr morgens, soll die offizielle Einweihung beginnen. Dann wird ein Frachter derselben chinesischen Großreederei zwischen Piräus und Shanghai die karibischen Schleusen ansteuern. Andronikos, zu Deutsch Sieger, hieß das 300 Meter lange und 48 Meter breite Ungetüm bis vor Kurzem. Doch weil es im April die feierliche Auslosung für die erste offizielle Passage gewinnen konnte, taufte die Reederei den Kahn in Cosco Shipping Panama um.

Panamas Präsident, Juan Carlos Varela, der Boss der Kanalbehörde, Jorge Quijano, Regierungschefs aus der Region, aber auch Spaniens vitaler Ex-König, Juan Carlos, werden zusehen können, wie 9400 Container auf dem Schiff den amerikanischen Kontinent queren, das ist mehr als doppelt so viel wie die bisherige Maximalladung von 4500 Containern. Aber auch der Sieger hat noch nicht die maximale Größe. Für Schiffe mit bis zu 14.000 Stahlkisten, 13-fach gestapelt, ist der neue Kanal ausgeschaufelt worden.

Diese Reparatur war ein nationaler Kraftakt für das Vier-Millionen-Land auf der gewundenen Wirbelsäule Amerikas. Den ersten Kanal hatten ja noch die Amerikaner gebaut, finanziert und – nach der ersten Passage am 15. August 1914 – gleich auch noch besetzt. Erst seit dem Neujahrstag 2000 kontrolliert der Staat Panama die – nach dem Suez-Kanal – zweitwichtigste Schifffahrtsstraße der Welt.

Als die Amerikaner die Kontrolle abgaben, war bereits klar, dass die Schleusen, die ihre Ingenieure gebaut hatten, zu schmal waren für die Warenströme der Globalisierung. 2006 beschloss Panamas Volk per Referendum den Ausbau, der nun, zehn Jahre und 110 Millionen Arbeitsstunden später, endlich fertig ist. 292.000 Tonnen Stahl und 1,6 Millionen Tonnen Zement wurden zu fünf Millionen Kubikmetern Beton. Das spanisch-italienisch-belgisch-panamaische Konsortium, das die Ausschreibung mit einem erstaunlich niedrigen Angebot von 3,1 Milliarden Dollar gewann, benötigte letztlich mehr als das Doppelte. 5,2 Milliarden Dollar hat Panama bereits gezahlt, um mehr als eine Milliarde Dollar wird noch vor Gericht gestritten.

Tödliche Falle. Eigentlich sollte die Erweiterung bis zum 100-Jahr-Jubiläum abgeschlossen sein, aber Streiks und massive Materialprobleme verschleppten die Realisierung. So spritzte 2014 Wasser aus den Betonwänden der neuen Schleusen. Die Öffentlichkeit erfuhr davon, als Bauarbeiter Videos in die sozialen Netze stellten. Die Kanalbehörde, die diese Probleme lieber kleingehalten hätte, musste schließlich die Arbeiten unterbrechen lassen und massiv nachbessern. Nun, kurz vor der Eröffnung, wurden in einer umfassenden Recherche der „News York Times“ erhebliche Zweifel an der Haltbarkeit des Betons geäußert, was Panamas Regierung und Kanalbehörde ACP vehement zurückweisen. „Der Beton ist von exzellenter Qualität“, sagt die ACP-Chefingenieurin Ilya Marotta. „Es gibt kein Problem.“

Das hoffen auch die Kapitäne der Schlepperboote. Eine Studie der internationalen Transportarbeitergewerkschaft warnte 2015, dass die engen Schleusen zu tödlichen Fallen für die Bootsleute werden könnten, falls Stürme die schwer beladenen Schiffe erfassen und anschieben. Und das ganze Land hofft, dass jene US-Geologen nicht recht behalten, die Panama als ebenso erdbebengefährdet ansehen wie San Francisco. Eine solche Expertise – heimgekabelt von der US-Botschaft – von 2008 wurde via WikiLeaks publik.

Panama, obwohl längst zum Finanz-, Reederei- und Verkehrszentrum geworden, braucht den Kanal für seine Finanzen. In den vergangenen zwei Jahren warf die Rinne weniger ab, was an den Bauarbeiten ebenso lag wie am niedrigen Wasserstand. Das Klimaphänomen El Niño goss heuer 36 Prozent weniger Regen über dem Land aus. Weil der Panama-Kanal – anders als die Suez-Verbindung – von ständiger Frischwasserzufuhr für den künstlichen Gatún-Stausee abhängt, musste die Kanalbehörde die Reedereien bitten, weniger Container zu befördern. Das senkte die Profite, denn bezahlt wird nach Ladung.

Genau darum sollen die Einnahmen nun wieder wachsen. Die eine Milliarde Dollar von 2015 entsprach etwa 2,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, zwischen 2017 und 2019 sollen 2,5 Prozent des BIPs erreicht werden, bis 2025 jedoch möchte die Regierung drei Milliarden Dollar im Jahr einnehmen. Der ehrgeizige Plan hat jedoch einen kleinen – oder tatsächlich riesigen – Haken: Die Containerschiffe werden immer noch größer. Die neuesten Modelle schlucken 20000 Container. Und sind zu breit für den neuen Kanal von Panama.

Kanal

Es war August 1914, als das erste Schiff den Panama-Kanal passierte. Der Kanal, der den Atlantik mit dem Pazifik verbindet, wird später zu einem der wichtigsten Wasserstraßen der Welt gehören.

In die Geschichte geht der 29. Februar 1968 als betriebsamster Tag ein; innerhalb von 24 Stunden passieren 65 Schiffe den Kanal. Die Verwaltung des Kanals übergeben die USA erst 1999 an Panama. Im Jahr 2006 wird per Volksentscheid die Erweiterung des Kanals beschlossen, ein Jahr später beginnen die Bauarbeiten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.