Wie reagiert Österreich auf den neuen Jihad-Terrror?

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FRANCE-ATTACKS-NICE-TRIBUTEAPA/AFP/ANNE-CHRISTINE POUJOULAT
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Mit dem IS haben sich Art und Ziel des Terrors gewandelt – die Polizei versucht, darauf zu reagieren. Welche Sicherheitsmaßnahmen in Österreich nun notwendig sind, berät ein Krisenstab.

Wien. Nach der Amokfahrt in Nizza Donnerstagnacht, bei der mehr als 80 Menschen gestorben sind, werden auch Erinnerungen an Graz wach. Dort starben vor einem Jahr bei einer Amokfahrt durch die stark frequentierte Fußgängerzone in der Herrengasse drei Menschen. 36 Personen wurden zum Teil schwer verletzt. Während sich in Nizza Indizien mehren, dass der Anschlag auf das Konto der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) geht, gingen Ermittlungen in Graz diesbezüglich ins Leere.

Dass der Verdacht auch damals nahelag, hatte einen Grund: Der IS hatte bereits vor Jahren aufgerufen, das Auto als Waffe einzusetzen. Solche Anschläge fanden in kleinerem Ausmaß als in Nizza bereits in Kanada und Großbritannien statt. IS-Sprecher Abu Mohammed al-Adnani erklärte 2014 in einer Audiobotschaft, wenn jemand „keine Bombe zünden oder Kugeln abfeuern“ könne, sei jedes andere Mittel recht. Konkret nannte er Angriffe mit Autos.

In Österreich berät ein Krisenstab, wie auf die neuen Bedrohungen zu reagieren ist. „Wir haben seit dem Anschlag auf die ,Charlie-Hebdo‘-Redaktion erhöhte Sicherheitsmaßnahmen, in denen eine Vielzahl an Risken berücksichtigt werden. Die Sicherheitsbehörden haben zahlreiche Schritte gesetzt, betreiben vor allem im Hintergrund Ermittlungsarbeit, um Täter ausforschen zu können, bevor etwas passiert“, sagt der Innenministeriumssprecher Karl-Heinz Grundböck zur „Presse“. Eine Sicherheitsgarantie könne aber niemand abgeben. Laut dem Sprecher laufen bereits Ermittlungen, ob es nach dem Nizza-Anschlag auch Hinweis auf ähnliche Aktionen in Österreich gebe. Aber: „Aktuell haben wir aber keine Hinweise auf eine konkrete Gefährdungssituation.“

Prävention als bestes Mittel

Österreich will im Kampf gegen den Terror in erster Linie auf Prävention setzen. Das betonte auch Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) am Freitag, der Frankreich sein Beileid aussprach und gleichzeitig darauf pochte, die Polizei noch besser auszurüsten.

Der Charakter von Terroranschlägen hat sich verändert, darauf geht nun auch die Strategie der Sicherheitsbehörden ein. „So richteten sich etwa die Anschläge der RAF oder auch der al-Qaida immer gegen einen klar definierten Feind: eine Einrichtung, jemanden oder etwas, das symbolisch dafür steht“, sagt Grundböck. Die IS-Angriffe treffen hingegen unbeteiligte Zivilisten. Die Anschläge des IS sehe man zwar insbesondere in jenen Ländern, die militärisch engagiert seien. „Aber eben nicht nur: Es sind Anschläge auf die Freiheit, auf das Alltagsleben, auf Konzerte, auf Restaurants, auf den öffentlichen Verkehr. Das Ziel der Terroristen ist es, ein Gefühl zu vermitteln, dass sich eigentlich niemand mehr sicher fühlen kann, dass es jeden jederzeit treffen könnte“, sagt Grundböck.

Einzelne Objekte kann man gegen Anschläge wie in Nizza unter Umständen durch bauliche Maßnahmen schützen – etwa durch Mauern oder Krallen im Boden, die Reifen zum Platzen bringen, wie es sie etwa rund um Botschaften bereits gibt. Richtet sich ein solcher Anschlag aber gegen eine Menschenansammlung im öffentlichen Raum, sind derartige Maßnahmen wenig zielführend, weil sie nie flächendeckend vorhanden sein können. „Auch rund um die Wiener Innenstadt gibt es etwa keine derartigen baulichen Schutzvorrichtungen. „Bisher war die Thematik aber auch schlicht nicht da“, sagt Polizeisprecher Patrick Maierhofer.

Frankreich will Auslieferung

Indessen wurde bekannt, dass Frankreich nun offenbar doch auf die Auslieferung zweier mutmaßlicher Terroristen drängt, die voriges Jahr als Flüchtlinge getarnt nach Österreich eingereist sind. Dies berichtete der „Kurier“. Die beiden, ein 29-jähriger Algerier und ein 35-jähriger Pakistani, hatten Kontakte zu den Paris-Attentätern vom November2015. Die zuständige Staatsanwaltschaft Salzburg will dazu keine Auskunft geben.

AUF EINEN BLICK

Prävention. Seit den Terroranschlägen gegen die französische Zeitung „Charlie Hebdo“ 2015 wurden die Sicherheitsvorkehrungen in Österreich verstärkt. Ob nach Nizza eine weitere Verschärfung notwendig ist, berät nun ein Krisenstab. Der wichtigste Kampf gegen den Terror des IS bleibt die Prävention. Denn die Anschläge richten sich gegen den Alltag, und dieser ist etwa mit baulichen Maßnahmen schwer zu beschützen.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.07.2016)

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