Der 17-jährige Axt-Attentäter von Würzburg ließ dem IS ein Video zukommen, in dem er Deutschland droht. Er kam als unbegleiteter Flüchtling aus Afghanistan.
Gegen 21.15 Uhr stoppt Regionalbahn RB 58130 auf offener Strecke. Ein 17-jähriger afghanischer Flüchtling hat in dem Zug in der Nähe der bayerischen Stadt Würzburg mit Axt und Messer vier Menschen schwer verletzt. Die Frage, die sich der deutschen Polizei stellt: War es ein islamistisches Attentat oder die Tat eines Einzeltäters? Vermutlich beides.
Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen geht von einem islamistischen Hintergrund aus. Es sprächen "viele Indizien" für einen islamistischen Anschlag, und er gehe "derzeit auch davon aus", sagte Maaßen am Dienstagabend in einem Interview der ARD-"Tagesthemen".
Deutschland sei "schon seit längerem" im "Ziel des islamistischen Terrors", dies sei durch den Anschlag "wieder deutlich geworden".
Dass der sogenannte "Islamische Staat" gleich einmal via Nachrichtenagentur Amaq im Internet behauptet, der Jugendliche habe in seinem Namen gehandelt, ist nichts weiter Neues. Ein Video, das der IS Dienstagnachmittag veröffentlichte, lässt allerdings zumindest eine weitläufige Verbindung zwischen Täter und IS erahnen.
Video vermutlich echt
Das bayerische Innenministerium hat die Echtheit des im Internet verbreiteten Bekennervideos zum Attentat von Würzburg bestätigt. "Der Mann auf dem Video ist der Täter von Würzburg", sagte ein Sprecher von Innenminister Joachim Herrmann (CSU) am Dienstagabend der Deutschen Presse-Agentur in München. Inwieweit die Terrormiliz Islamischer Staat selbst involviert gewesen sei, "das muss überprüft werden", sagte der deutsche Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU). "Wir werden jedem Hinweis nachgehen."
Auch der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, hält das Video für echt. Auf die Frage, ob er die Authentizität der Aufnahme anzweifle, sagte er im ZDF: "Nein, das zweifeln wir nicht an."
Zu sehen ist der 17-Jähriger Angreifer. “Ich bin ein Soldat des Islamischen Staates und beginne eine heilige Operation. Ich werde einen Anschlag in Deutschland verüben. Auf dass die Ungläubigen mit der Zeit verschwinden, die in unsere Länder kommen und Frauen und Kinder und Männer ermorden“, sagt der Mann auf Paschtu, der in Afghanistan gebräuchlichsten Sprache, in dem Video.
Die Polizei hatte vorerst keine direkte Verbindung zwischen den islamistischen Terroristen und dem Mann feststellen können. Dem deutschen Verfassungsschutz war der jugendliche Täter nicht bekannt auch vorbestraft war er nicht.
Seit drei Wochen bei Pflegefamilie
Eine Radikalisierung inmitten einer Pflegefamilie? Denn dort wohnte der Jugendliche seit dem 1. Juli. Er habe gute Perspektiven gehabt, berichtet Michael Horlemann, Leiter des Sozialreferats Würzburg der "Welt". Wer in einer Pflegefamilie unterkomme, sei bereits "gut integriert". Das sei auch im Fall des 17-jährigen Afghanen so gewesen. Er soll Aussicht auf eine Lehrstelle in einer Bäckerei gehabt haben, berichtet die Nachrichtenagentur dpa. Pflegefamilie, Betreuer und Bekannte seien überrascht von der Tat. Er sei gläubiger Muslim gewesen, aber nur an Feiertagen in die Moschee gegangen und nicht als radikal oder fanatisch aufgefallen, heißt es in der "Welt".
Doch dann ist da noch die selbst gemalte Flagge der Terrormiliz IS, die im Zimmer des Jugendlichen gefunden wurde. Möglicherweise habe sich der 17-Jährige selbst radikalisiert, vermutet Herrmann. Auch ein Schriftstück gibt es , das aber eher ein "Abschiedstext an den Vater" zu sein scheint, sagt Herrmann.
Nach der Attacke hat der 17-Jährige den Zug verlassen, lief Richtung Mainufer. Ein Spezialeinsatzkommando, das zufällig in der Nähe gewesen sei, habe die Verfolgung aufgenommen. Als der Jugendliche mit seinen Waffen auf die Einsatzkräfte losgegangen sei, hätten diese das Feuer eröffnet. Der junge Mann wurde getötet.
Eine Familie aus Hongkong schwer verletzt
Bei den Opfern handelt es sich laut Berichten der Hongkonger Zeitung "South China Morning Post" am Dienstag um eine Familie aus Hongkong. Die vier Verletzten seien ein Vater (62) und die Mutter (58) einer Tochter (27) und deren Freund (31) gewesen. Der Vater und der Freund hätten versucht, die anderen Mitglieder in der Gruppe vor dem Angreifer zu schützen. Ein fünfter Mitreisender, der 17-jährige Sohn, sei unverletzt davon gekommen, berichtete das Blatt. Zwei der Verletzten seien noch in Lebensgefahr. Ein weiterer Passagier wurde leicht verletzt, wie ein Polizeisprecher vor Ort sagte. 14 Menschen erlitten einen Schock.
"Wie in einem Schlachthof" habe es in dem Zug ausgesehen, berichtet ein Augenzeuge, der nebenan wohnt. Erste Bilder aus dem Inneren des Waggons belegen dies. Auf dem Boden des Abteils ist Blut zu sehen, daneben liegt zerknüllt eine Rettungsdecke und Verbandsmaterial. Der Zeuge berichtet, wie mehrere Passagiere nach der Bluttat aus dem Zug kletterten und ihn nach einem Verbandskasten fragten. Drinnen hätten noch Verletzte gelegen, so der Mann, der seinen Namen nicht nennen möchte.
Auf die Frage nach weitere Gefahren in der Region antwortete Herrmann (CSU): "Wir sind jetzt mit massiven Polizeikräften vor Ort." Er gehe davon aus, dass die Gefahr vorbei sei. Die Menschen in Bayern könnten Dienstagfrüh sicher Züge besteigen.
Viele unbegleitete Flüchtlinge aus Afghanistan
Fast jeder zweite unbegleitete junge Flüchtlinge in Bayern stammte zuletzt aus Afghanistan. 17,5 Prozent der 2015 registrierten minderjährigen Flüchtlinge im Freistaat kamen aus Syrien, zehn Prozent aus Eritrea und 7,5 Prozent aus Somalia. Ende März dieses Jahres waren nach Angaben des Sozialministeriums mehr als 15.500 minderjährige Flüchtlinge in Bayern untergebracht.
Zuständig für sie sind die Jugendämter. Im Rahmen eines sogenannten Clearingverfahrens stellen Fachleute zunächst fest, welche Art von Hilfe der jeweilige Jugendliche baucht und wo er untergebracht werden kann. Das kann ein Heim, eine Wohngruppe oder Pflegefamilie sein. 96.000 Kinder - das ist etwa ein Viertel aller Kinder, die 2015 in Europa um Asyl suchten - waren laut dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) unbegleitet.
Messerattacke vor zwei Monaten
Der Fall erinnert an eine Messerattacke vor gut zwei Monaten in einer S-Bahn in Grafing nahe München, als ein Mann einen 56 Jahre alten Fahrgast getötet hatte. Drei weitere wurden teils lebensgefährlich verletzt. Der 27-jährige mutmaßliche Täter hatte nach seiner Festnahme wirre Angaben gemacht und war deswegen vorläufig in eine psychiatrische Klinik eingewiesen worden. Nach einer ersten Einschätzung war der Mann aus dem hessischen Grünberg bei Gießen schuldunfähig oder zumindest vermindert schuldfähig.
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(APA/dpa/AFP/klepa)