Polizei befragt mysteriösen Mitwisser des Amokläufers

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Ein Teenager soll sich mit Ali David S. am Tatort getroffen haben. Laut Polizei hat auch er sich für Amokläufe „interessiert“. Bei ihm wurden Softguns gefunden.

München. Eine halbe Stunde später als gewöhnlich hat am Montag das Olympia-Einkaufszentrum in München die Pforten geöffnet, aber außer ein paar Schaulustigen waren nicht viele Besucher zugegen. Die Ereignisse vom Wochenende müssen erst einmal verdaut werden, und so haben viele Mitarbeiter des Einkaufszentrums vor Arbeitsbeginn an einem Gedenkgottesdienst teilgenommen. Vergangenen Freitag hat hier der 18-jährige Schüler Ali David S. ein Blutbad angerichtet. In einem Fast-Food-Lokal begann S., um sich zu schießen. Der Amoklauf endete mit neun Toten, hauptsächlich Teenager. Schließlich beging S. Suizid. Neben den Toten verletzte S. mindestens 35 Passanten, von denen aber keiner mehr in Lebensgefahr schwebt.

Die Ermittler gingen zunächst davon aus, dass der Deutsch-Iraner S. – er befand sich zeitweise in psychiatrischer Behandlung – allein gehandelt habe. Nun hat die Polizei einen zweiten Teenager verhört, der wohl gewusst hat, dass S. eine Waffe besaß. Die beiden hatten sich bei einem Aufenthalt in der Psychiatrie kennengelernt, beide waren an gewalttätigen Computerspielen interessiert. Auch sollen sie über Amokläufe und den norwegischen, rechtsextremen Massenmörder Anders Breivik gesprochen haben. „Nach unserer Einschätzung haben sich zwei Einzelgänger getroffen“, so Hermann Utz von der Kriminalpolizei. Kurz vor der Tat soll sich der 16-jährige mutmaßliche Mitwisser mit dem Täter nahe des Einkaufszentrums getroffen haben.

Rätselhafter Facebook-Eintrag

Eine WhatsApp-Kommunikation lege zudem nahe, dass der Teenager gewusst habe, welche Gefahr von S. ausging. Er habe zwar versucht, den Chatverlauf zu löschen, doch die Ermittler konnten das Gespräch wiederherstellen. Nach der Einvernahme wurde der Teenager wieder freigelassen, die Haftrichter sahen „keinen Haftgrund“. Die Staatsanwaltschaft wird Beschwerde dagegen einlegen.

Die Ermittler werfen ihm mindestens vor, S. nicht angezeigt zu haben. Dabei hatte sich der 16-jährige Afghane der Polizei selbst gestellt, verwickelte sich aber in Widersprüche. Bei ihm zu Hause wurden Softwaffen entdeckt. Nun wird geprüft, ob der Teenager in Verbindung mit einem Facebook-Post steht, in dem Leute aufgefordert werden, sich in einem Münchner Kino zu treffen. Mit einem ähnlichen Facebook-Post soll auch S. Bekannte in das Fast-Food-Lokal gelockt haben.

Was S. betrifft, sind sich die Ermittler jedenfalls sicher, dass er seine Tat von langer Hand geplant hat. Er habe sich beispielsweise mit dem Amoklauf von Winnenden befasst – 2009 tötete ein 17-Jähriger 15 Mitschüler – und dem von Breivik verübten Massaker mit 77 Toten. S. besaß eine Glock-17-Pistole vom Kaliber neun Millimeter. Sie gilt heute als die meistverkaufte Pistole der Welt. S. hat sich die Pistole illegal über das Darknet, die dunklen Ebenen des Internets, besorgt. Auf Forderungen, das Waffenrecht zu verschärfen, reagiert die Berliner Koalitionsregierung mit Hinweis darauf, dass die deutschen Gesetze zu den schärfsten gehören, noch verhalten.

Oktoberfest: Verbot von Rucksäcken?

München befindet sich nach dem Amoklauf noch immer in einem Schockzustand. Mit Blick auf das Oktoberfest denkt der Oberbürgermeister, Dieter Reiter (SPD), über intensivere Kontrollen von Taschen, aber auch über ein Rucksackverbot nach: „Ich glaube, die Menschen haben für so etwas Verständnis.“ In seinem Rucksack hatte S. Hunderte Schuss Munition, und auch jener Selbstmordattentäter, der sich am Sonntagabend im bayerischen Ansbach in die Luft sprengte, transportierte den Sprengsatz samt scharfkantigen Metallteilen in seinem Rucksack.

Verstärkte Kontrollen und mehr Polizeieinsatz hat der deutsche Innenminister, Thomas de Maizière, auf Flughäfen und Bahnhöfen angeordnet. „Was mir im Moment besonders wichtig erscheint, ist eine erhöhte Präsenz von Polizeikräften im öffentlichen Raum“, sagte er am Montag, nach dem Amoklauf und den Attentaten in Ansbach und Würzburg, wo ein 17-jähriger afghanischer Flüchtling mit einer Axt auf Fahrgäste eines Zuges losging. De Maizière zufolge soll auch die sogenannte Schleierfahndung, unter anderem an der Grenzen zu Österreich, weitergehen. Zu möglichen Gesetzesänderungen hielt er sich noch bedeckt. (red./APA)

AUF EINEN BLICK

München. Jener Amokläufer, der Freitagabend in einem Münchner Einkaufszentrum neun Menschen ermordet hat, soll einen Mitwisser gehabt haben. Die Ermittler werfen einem 16-Jährigen vor, sich mit dem Täter, Ali David S., am Tatort getroffen zu haben. Zudem soll eine sichergestellte Kommunikation über WhatsApp Hinweise darauf liefern, dass der 16-Jährige wusste, welche Gefahr von S. ausging. Nach der Einvernahme wurde der mutmaßliche Mitwisser wieder freigelassen, die Staatsanwaltschaft will Beschwerde dagegen einreichen. Bei dem Teenager wurden Softwaffen entdeckt. S. lernte er bei einem gemeinsamen Aufenthalt in der Psychiatrie kennen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2016)

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