Bluttat in einem Pflegeheim schockiert Japan

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JAPAN-CRIME(c) APA/AFP/TOSHIFUMI KITAMURA (TOSHIFUMI KITAMURA)
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Ein Ex-Krankenpfleger hat 19 Menschen in einem Pflegeheim nahe Tokio erstochen. Die Tat kündigte er Monate vorher per Brief an: „Behinderte sollen alle verschwinden“, schrieb er. Niemand nahm ihn ernst.

Sagamihara/Tokio. Bei der schlimmsten Gewalttat in Japan seit 1945 hat ein Ex-Krankenpfleger am Dienstag (Ortszeit) mit Messern auf Patienten in einem Heim für geistig behinderte Menschen eingestochen und mindestens 19 im Alter von 19 bis 70 Jahren getötet. Etwa 25 Personen wurden bei der Untat in der Kleinstadt Sagamihara, 50 Kilometer westlich Tokios, verletzt.

Der Notruf war gegen 2.30 Uhr aus dem Pflegeheim Tsukui Yamayuri-en bei der Polizei eingegangen. Eine Frau sagte, ein mit Messern Bewaffneter steche rasend auf Heiminsassen ein. Er hatte sich durch ein Fenster im Erdgeschoß Zutritt verschafft, berichtete der Sender NHK. Während der Tat waren acht Pfleger und ein Sicherheitsmann im Dienst, konnten jedoch aus noch unbekannten Gründen nicht eher eingreifen, dem Mann gelang sogar die Flucht. Laut Polizei stellte sich der 26-Jährige danach auf einem Polizeirevier mit den Worten: „Ich habe es getan.“ Bei ihm wurde eine Tasche mit blutverschmierten Messern sichergestellt. In einem ersten Verhör gab er als Grund an: „Die Behinderten sollen alle verschwinden.“

Der Täter soll bis Februar in dem Heim gearbeitet haben. Zum Teil ist von Wut über den Verlust seines Arbeitsplatzes dort als Motiv die Rede. Er wohnte noch in dem Ort der Tokioter Nachbarpräfektur Kanagawa. Seinen Namen gibt die Polizei mit Satoshi U. an.

Mordankündigung per Brief

Laut NHK hatte er im Februar an den Präsidenten des Oberhauses geschrieben, dass er 470 behinderte Personen umbringen werde. Er forderte Gesetzesänderungen, um die Tötung Schwerbehinderter zu ermöglichen. Tage später soll er sich gegenüber einem Heimmitarbeiter in diese Richtung geäußert haben, worauf dieser Alarm geschlagen hat und man ihn in ein psychiatrisches Spital hat einweisen lassen. Zwei Wochen später sei er entlassen worden, nachdem Ärzte bescheinigt hätten, dass er keine Gefahr darstelle, so NHK. Im Brief sagte er voraus, er werde sich für seine Aktion die Nachtstunden aussuchen, wenn die Patienten schlafen und weniger Personal im Heim sei. „Ich will den Plan ausführen, ohne die Pfleger in Mitleidenschaft zu ziehen, und mich danach stellen.“

Um Medien auf Distanz zu halten, riegelte die Polizei das an einen Wald grenzende Gelände des Heims ab. Auch Angehörige haben keinen Zugang, wie ein 80-Jähriger berichtet, dessen 50-jähriger Sohn dort untergebracht ist. „Sie haben mir nur gesagt, dass er von der Messerattacke betroffen ist. Ich weiß nicht, ob er noch lebt.“

Friedliche Gesellschaft

Die Öffentlichkeit ist entsetzt. Eine Attacke auf Wehrlose mit zum Teil schweren Beeinträchtigungen sei um so „widerlicher und sinnloser“, sagte ein Mann im TV. In der Anlage ist Platz für bis zu 160 Patienten. Zuletzt lebten dort etwa 150. Ein Sprecher der Regierung gab bekannt, die Polizei habe keine Hinweise auf einen jihadistischen oder sonst politisch motivierten Hintergrund. Einen Gewaltausbruch dieser Brutalität hat es im Nachkriegsjapan zuvor noch nie gegeben. Japans Gesellschaft gilt als friedlich, die Kriminalitätsrate ist extrem niedrig, die Aufklärungsrate überdurchschnittlich hoch.

2008 allerdings hatte ein 25-Jähriger seinen Lkw in Tokio in Passanten gelenkt und danach einige Menschen niedergestochen. Sieben Menschen starben. Er wurde zum Tod verurteilt, sitzt aber noch immer in der Todeszelle. 2001 hatte ein Mann acht Schulkinder in der Stadt Ikeda erstochen. 1995 verübte die Endzeitsekte Aum Shinrikyo einen Anschlag mit dem Giftgas Sarin auf die Tokioter U-Bahn. 13 Menschen starben, Tausende wurden verletzt. Das Todesurteil gegen Sektenführer Shōkō Asahara von 2004 wurde noch nicht vollstreckt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.07.2016)

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