Kanada: Wenn die Polizei bei der Terrorplanung hilft

John Nuttall und seine Partnerin Amanda Korody.
John Nuttall und seine Partnerin Amanda Korody.(c) REUTERS (BEN NELMS)
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Laut einem Richterspruch spielte die Bundespolizei eine „überwältigende Rolle“ bei einem vor drei Jahren verhinderten Attentat. Das Urteil wirft ein Schlaglicht auf die Schattenseiten der Terrorismusbekämpfung.

Ottawa. Das verhinderte Attentat hatte landesweit für Aufsehen gesorgt. Es war der 1. Juli 2013, Kanadas Nationalfeiertag, als der damals 39-jährige John Nuttall und seine um neun Jahre jüngere Partnerin, Amanda Korody, nahe Vancouver festgenommen wurden. Sie hatten Bomben in der Nähe des Parlaments in Victoria auf der Vancouver-Insel deponiert. Dabei handelte es sich um Dampfdrucktöpfe, die mit Nägeln, Schrauben und Muttern präpariert waren. Eine akute Gefahr bestand nicht, wie die Polizei damals mitteilte. Verdeckte Ermittler hatten die beiden seit Monaten observiert. Und der Sprengsatz war nicht aktiv.

Doch die Geschichte des geplanten Attentats ist womöglich nicht ganz so, wie bisher dargestellt. Das macht ein aktuelles Gerichtsurteil deutlich – das in Kanada eine heftige Debatte ausgelöst hat. Denn die Richterin Catherine Bruce zeigt mit dem Finger auf die Bundespolizei RCMP: Sie habe die Verdächtigen angeleitet und das Verbrechen selbst konstruiert.

Ohne aktive Hilfe der Polizei wären die beiden Terrorverdächtigen gar nicht fähig gewesen, einen Anschlag auszuführen, so Bruce. Die Polizei habe „aggressiv“ für die beiden planen und bei ihnen den Eindruck erwecken müssen, dass diese Pläne von ihnen entwickelt worden seien. Am Ende ihres Urteils stellt sie fest: „Die Welt hat genug Terroristen. Wir brauchen nicht die Polizei, um noch mehr (Terroristen) aus marginalisierten Menschen zu erschaffen, die weder die Fähigkeit noch ausreichende Motivation haben, es selbst zu tun.“

Die Ermittlungen der Bundespolizei gingen auf Hinweise des kanadischen Geheimdienstes CSIS zurück, nachdem Nuttall – der eine Vorgeschichte als Drogen- und Methadonabhängiger hat und mehrfach wegen Drogendelikten, Diebstahls, Entführung und Waffenbesitzes vorbestraft ist –, versucht hatte, in Apotheken Kaliumnitrat zu kaufen, das zur Herstellung von Sprengstoff verwendet werden kann. Zudem war Nuttall, der offenbar psychische Probleme hatte, zum Islam konvertiert. Er soll erklärt haben, dass er sich Jihadisten in Afghanistan anschließen und Rache für die Behandlung von Muslimen nehmen wolle. Mehrere Monate lang hatten verdeckte Ermittler Kontakt zu Nuttall und Korody. In Videoaufnahmen bekundeten beide ihre Absicht, einen Anschlag auszuführen.

Beschuldigte als Fußsoldaten

Doch die Rolle der Polizei ging weit über Beobachtung hinaus, wie die Richterin befand: Ihr Anteil bei der Planung des Anschlags sei „überwältigend“ gegenüber dem „geringfügigen“ Anteil der Verdächtigen gewesen. Demnach mussten die beiden immer wieder instruiert werden, die notwendigen Schritte zu unternehmen, die schließlich zur Herstellung der Sprengsätze führten. „Die Beschuldigten waren die Fußsoldaten, aber der verdeckte Ermittler war der Anführer der Gruppe.“ Die Polizei habe gewusst, dass sie ohne Anweisungen nicht in der Lage gewesen wären, einen Anschlag auszuführen. Es sei angesichts der Gefahr terroristischer Akte notwendig, dass die Polizei terroristische Gruppen infiltriere – ihr Verhalten in diesem Fall aber sei „ungeheuerlich“.

Die Verteidiger hatten zuvor die Aussetzung des Verfahrens beantragt, weil ihren Mandaten eine Falle gestellt worden sei. Dies hat die Richterin nun bestätigt. Sie ordnete an, das Verfahren auszusetzen, womit auch ein Schuldspruch eines Geschworenengerichts aus dem vergangenen Jahr verworfen wird. Die Staatsanwaltschaft will Rechtsmittel einlegen.

Der Ex-CSIS-Funktionär Phil Gurski sprach von einem „dunklen Tag für Terrorismusbekämpfung in Kanada“. Weder CSIS noch die RCMP hätten die Gedanken an Terroranschläge in die Köpfe von Nuttall und Korody eingepflanzt. Die Verteidigerin der beiden Verdächtigen sagte dagegen, die RCMP werde sicher erkennen, dass Grenzen überschritten wurden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2016)

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