WikiLeaks: Wende im Fall Julian Assange

WikiLeaks-Gründer Julian Assange.
WikiLeaks-Gründer Julian Assange.(c) REUTERS
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Die schwedische Staatsanwaltschaft kann Julian Assange nun in Ecuadors Londoner Botschaft verhören. Kommt es danach zu keiner Anklageerhebung, ist der WikiLeaks-Gründer frei.

Stockholm/London. Die Odyssee des Julian Assange könnte bald ein Ende haben. Am Donnerstag hieß es überraschend von der Stockholmer Staatsanwaltschaft, dass Ecuador ein Verhör mit dem Gründer von WikiLeaks zu umstrittenen Vergewaltigungsvorwürfen zweier Schwedinnen aus dem Jahr 2010 in der Botschaft genehmigt habe.

Assange versteckt sich dort seit vier Jahren, rund um die Uhr belagert von der britischen Polizei, die ihn nach Schweden ausliefern will. Da Stockholm ihm ausdrücklich keine Garantie geben möchte, ihn nicht an die USA auszuliefern, weigert er sich, nach Schweden zu kommen. Der heute 44-Jährige hatte über geheime Dokumente zahlreiche US-Kriegsverbrechen in Afghanistan und dem Irak enthüllt.

„Julian Assange sieht das Verhör in der Botschaft mit gemischten Gefühlen. Er begrüßt, dass es nun endlich stattfinden wird. Aber die schwedische Staatsanwaltschaft hätte das schon vor sechs Jahren tun müssen. Die Rechtsunsicherheit ist nun groß. Es sind sechs Jahre vergangen. Die beiden Frauen konnten sich direkt nach dem angeblichen Vorfall äußern“, sagt Per Samuelsson, der schwedische Anwalt von Assange, der „Presse“.

Verjährung bis 2020

Jahrelang weigerte sich die schwedische Staatsanwaltschaft, das Angebot des WikiLeaks-Gründers, ihn in der Londoner Botschaft Ecuadors zu befragen, wahrzunehmen. Erst 2015 musste die verantwortliche Staatsanwältin, Marianne Ny, ihre unnachgiebige Haltung aufgeben, angeblich wegen einer Weisung des Reichsstaatsanwalts. Dann wollte Ecuador plötzlich kein Verhör mehr genehmigen. Vermutlich auch, weil sich ein Teil der Anschuldigungen im August 2015 verjährten.

Assange wurde ursprünglich der „weniger groben Vergewaltigung“, „sexuellen Nötigung“ und „sexuellen Belästigung“ an zwei Schwedinnen im August 2010 verdächtigt. Nun besteht noch der Verdacht auf „weniger grobe Vergewaltigung“ bis 2020. Dabei handelt es sich um eine Voruntersuchung, die klären soll, ob es überhaupt zu einer Anklageerhebung kommen kann. Ein Verhör könnte Assange somit die Freiheit zurückschenken.

Assange hatte laut den Aussagen der Frauen im Voruntersuchungsprotokoll von 2010 – entgegen deren anfänglichem Willen – kein Kondom beim ansonsten einvernehmlichen Sex benutzt. Die jungen Frauen, beide WikiLeaks-Aktivistinnen, brachen den ungeschützten Verkehr nicht ab und unterhielten danach freundschaftlichen Kontakt zu ihm. Eine der Frauen scherzte laut eigener Aussage nach dem Sex gegenüber Assange: „Wenn ich nun ein Kind bekomme, nennen wir es Afghanistan.“

Der zuständige Staatsanwalt hatte die Anzeige rechtskräftig fallengelassen. Doch als die Staatsanwältin und Frauenrechtlerin Marianne Ny aus dem Urlaub kam, hatte sie den Fall gegen gängige Praxis wieder aufgenommen. Ny ist bekannt für ihre Forderungen. So hat sie sich öffentlich dafür ausgesprochen, dass Männer, die von Frauen der Misshandlung beschuldigt werden, schon vor einer rechtsstaatlichen Verurteilung eingesperrt werden müssten – um der Frau „Raum zum Nachdenken“ zu verschaffen. „Erst wenn der Mann gefangen genommen ist und die Frau in aller Ruhe Zeit bekommt, mit etwas Abstand auf ihr Dasein zu blicken, bekommt sie die Chance zu entdecken, wie sie behandelt wurde“, unterstrich die Staatsanwältin.

Zwischen Pech und Schuld

Dass die USA hinter der ganzen Sache in Form einer Rufmordkampagne stecken, glaubt zumindest in Schweden kaum jemand. Vielmehr habe Assange einfach Pech, so zumindest die gängige Meinung seiner Anhänger. Die meisten Schweden glauben aber auch an seine Schuld. Vor allem deswegen, weil er sich nicht stellt.

Und: Die zumindest bezüglich des Tatbestands einer Vergewaltigung relativ entlastenden Aussagen der beiden Frauen im Voruntersuchungsprotokoll sind von den großen Landesmedien größtenteils verschwiegen worden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2016)

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