Gazastreifen: Flucht aus „Friedhof der Kuscheltiere“

Ein Vier-Pfoten-Mitarbeiter trägt ein narkotisiertes Äffchen aus dem Gehege. Es soll es fernab des Gazastreifens besser haben.
Ein Vier-Pfoten-Mitarbeiter trägt ein narkotisiertes Äffchen aus dem Gehege. Es soll es fernab des Gazastreifens besser haben.(c) REUTERS (IBRAHEEM ABU MUSTAFA)
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Die Tierschutzgruppe Vier Pfoten hat die letzten überlebenden Tiere des Zoos von Khan Younis, des angeblich „schrecklichsten Zoos der Welt“, in Sicherheit gebracht.

Für Laziz, den Tiger, kommt die Rettung in höchster Not. All seine Freunde, die Raubkatzen im Zoo von Khan Younis ganz im Süden des Gazastreifens, sind schon tot. Sie sind verhungert und in der Hitze mumifiziert, weil es kein Geld gab für Futter und artgerechte Versorgung. Laziz, zu Deutsch „der Süße!“, wird heute, Mittwoch, via Israel nach Südafrika reisen, zum Lionsrock, einem Großkatzenrefugium, das laut Webseite Bedingungen „fast wie in freier Wildbahn“ bereithält.

Manch Palästinenser mag den Transport mit Wehmut, ja Neid beobachten. Umfragen zeigen, dass jeder zweite Bewohner des Gazastreifens, wo dicht zusammengedrängt und von der Außenwelt weitgehend isoliert rund 1,9 Millionen Menschen leben, wegziehen will. Ohne Sondererlaubnis kommt indes kein Mensch raus aus dem im Norden von Israel und im Süden von Ägypten abgeschotteten Küstenstreifen, den seit Jahren die islamistische Hamas kontrolliert.

Tierleben sind völlig egal

Ein Dutzend Mitarbeiter der internationalen Tierschutzgruppe Vier Pfoten war dieser Tage nun angereist, um die letzten 15 Tiere aus dem „schrecklichsten Zoo der Welt“ zu retten, wie ihn Tierarzt Amir Khalil nennt. Er schüttelt den Kopf über die Ignoranz und Hartherzigkeit des Zoobesitzers, der erst nach langwierigen Verhandlungen der Räumung des desolaten Ortes zugestimmt hatte.

„Die Leute hier wissen einfach nicht, wie sie die Tiere behandeln müssen.“ Im Gazastreifen sind Tiere gesetzlich nicht vor Misshandlungen geschützt. Es gibt keinen staatlichen Zoo, dafür aber mehrere private Gehege mit Tieren, die meist durch illegale Tunnel aus Ägypten eingeschmuggelt worden sind und kaum artgerechte Behandlung erfahren.

Laziz ist der letzte Tiger, der Gaza verlässt. Schon nach dem Krieg mit Israel vor zwei Jahren, als viele Tiere durch Luftangriffe und Panzerbeschuss umkamen und die Überlebenden in den oftmals zerstörten Gehegen in Bedrängnis gerieten, konnte Tierarzt Khalil drei Löwen aus dem Al-Bisan-Zoo im Norden Gazas retten und nach Jordanien bringen. Seit 22 Jahren ist er als Projektentwickler für Vier Pfoten in Wien aktiv. Auf seine Initiative geht die Aktion in Khan Younis zurück, die Tausende Euro gekostet habe und nur mithilfe von Spenden finanzierbar gewesen sei.

Mumifiziert kommt billiger

Für die meisten Zootiere kommt die Hilfe aber zu spät. Vierzig sind allein heuer verendet, darunter Tiger, eine Löwin und als Letztes ein Rehkitz. Der skrupellose Halter des privaten Geheges war überfordert und plante offenbar, sämtliche Tiere einfach mumifiziert zur Schau zu stellen. Khalil berichtet über Schulklassen, denen die toten Tiger vorgeführt wurden. Es war „ein Friedhof für Kuscheltiere“, sagt er, und dass er so etwas Schreckliches noch nie gesehen habe.

Khalil geht es bei der Aktion in Khan Younis um mehr als die bloße Rettung der 15 Tiere: „Im Gazastreifen gibt es ganze zwölf Tierärzte“, berichtet er, fast alle seien im Gesundheitsamt angestellt. Eine veterinärmedizinische Fakultät sei lang überfällig, dazu Schutzgesetze für Tiere.

Laziz steht mit dem Flug nach Johannesburg die weiteste Reise der Geretteten bevor. Fünf Schimpansen sollen in ein israelisches Affengehege unweit vom Flughafen Ben-Gurion kommen. Ein Emu, ein Hirsch, zwei Schildkröten, ein Pelikan und mehrere andere Vögel sind für einen jordanischen Zoo vorgesehen. Veterinär Khalil ist positiv überrascht von der Hilfsbereitschaft und Kooperation zwischen den Palästinensern, den Jordaniern und Israelis. Wenn es um das Wohl der geknechteten Vierbeiner geht, klappe die Zusammenarbeit plötzlich ganz gut, sagt er zufrieden.

Die Menschen leiden weiter

Die Leute in Gaza lassen Tiger Laziz und die Affen mit einem lachenden, aber auch einem weinenden Auge gehen. „Sie nehmen uns unsere Tiere weg“, schimpft ein Palästinenser halb im Scherz auf die jungen Tierschützer aus Europa. Das Ende des Zoos von Khan Younis ist dessen ungeachtet eine gute Nachricht für die geretteten Tiere. Für die zurückbleibenden Palästinenser wird das Leben im Gazastreifen ohne den Tierpark halt noch ein Stück weit trostloser.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2016)

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