Italien: Glücklose Kampagne für mehr Babys

Symbolbild: Babyfüße
Symbolbild: Babyfüße(c) BilderBox
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Skandale überschatten den ersten "Fruchtbarkeitstag": Erst musste die Regierung Werbeplakate wegen Sexismus zurücknehmen, dann eine Broschüre wegen Rassismus.

Wien/Rom. Heftige Kritik, schlechte Laune und bitterer Sarkasmus prägten Italiens ersten „Tag der Fertilität“ am Donnerstag. Während Experten an runden Tischen über die katastrophale Geburtenrate diskutierten, gingen gestern im ganzen Land junge Italiener mit falschen Babybäuchen auf die Straße. Sie hielten Plakate mit höhnischen Aufschriften wie „Ich erwarte ein Gehalt (nicht ein Baby)“.

Biologische Uhr tickt

Von Anfang an stand die von Gesundheitsministerin Beatrice Lorenzin initiierte Fruchtbarkeits-Kampagne unter einem schlechten Stern. Bevor überhaupt eine Diskussion über Kosten und Sinnhaftigkeit eines solchen staatlichen Feldzugs starten konnte, lösten die Kommunikationsinhalte eine Empörungswelle aus. Stein des Anstoßes war ein Poster: Darauf war eine Frau mit einer überdimensionalen Sanduhr zu sehen, und der Aufschrift: „Schönheit hat kein Ablaufdatum, Fertilität schon“. Die Botschaft: Passt auf, Frauen, die biologische Uhr tickt – konzentriert euch aufs Wesentliche.

Im EU-weiten Ranking liegt Italien mit durchschnittlich 1,37 Kindern pro Frau auf dem letzten Platz. 2015 wurden 488.000 Babys geboren, das war die niedrigste Geburtenrate in Italien seit der ersten Erhebung im Jahr 1861. Lorenzins Kampagne dürfte wenig daran ändern: Im Internet und in Medien wurde die Ministerin wegen ihrer „sexistischen Retro-Kampagne“ scharf kritisiert, zudem wurden ihr Verlogenheit und Realitätsferne vorgeworfen: Viele Frauen könnten ihren sehr wohl vorhandenen Kinderwunsch gar nicht realisieren. Kindergartenplätze sind rar und teuer, mit Durchschnittsgehältern in Höhe von 1300 Euro pro Monat oft ohnehin nicht leistbar. Statt Frauen mit teuren Plakaten zur Schwangerschaft aufzufordern, soll die Regierung lieber flexible Arbeitszeiten fördern, in Infrastruktur oder Familienhilfen investieren, so der Tenor. „Das einzige effiziente Kinderbetreuungssystem in Italien sind die Großeltern“, schreibt eine Userin auf Facebook.

Nach einem wochenlangen Proteststurm distanzierte sich auch Premier Matteo Renzi von der Kampagne: „Ich kenne niemanden, der ein Kind bekommen hat, weil dies auf einem Plakat gefordert wird.“ Nach dem Machtwort des Chefs ruderte Lorenzin zurück: Die Kampagne wurde sofort eingestellt. Sie kündigte an, nun den Fokus auf Gesundheit und Fertilität zu setzen. Dies sei „wertfreier, neutraler und wissenschaftlicher“.

Doch auch dieser Versuch ging daneben. Die ersten Broschüren waren noch druckfrisch, als im Internet der Aufschrei erfolgte. Diesmal ging es nicht um Frauenfeindlichkeit, sondern um Rassismus: Auf dem Pamphlet sind unter der Aufschrift „Gute Angewohnheiten, die gefördert werden müssen“, glückliche italienische Paare zu sehen. Auf der anderen Seite ist eine Gruppe rauchender Jugendlicher abgebildet, auch ein Schwarzer ist dabei. Darunter steht: „Schlechte Begleiter, die man aufgeben muss“.

Ministerin soll gehen

Zunächst verteidigte die Ministerin ihre Broschüre: „Rassismus liegt in den Augen des Betrachters, wir denken nur an die Gesundheit.“ Nach heftigen Protesten zog sie das Pamphlet dann doch zurück. Ihren PR-Direktor feuerte sie gestern. Den Anti-Fertility-Day-Demonstranten war das nicht genug: Sie wollen, dass die Ministerin geht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2016)

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