Rätsel um Budapester Bombe

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The blasting sites in Budapest at theTerez Boulevard 2 4 2016 09 26 Photo V�r�s Szil�rd The blasti(c) imago/PuzzlePix (imago stock&people)
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Immer noch ist unklar, wer der oder die Täter des Budapester Bombenanschlags am Samstag waren. „Die Polizei wollte wissen, ob jemand ,Allahu Akbar‘ rief“, sagt ein Augenzeuge.

Budapest. Als die Polizei nach dem Budapester Bombenanschlag Samstagabend Augenzeugen vernahm, fragte sie auch, ob jemand „Allahu Akbar“ gerufen habe. Bei dem Anschlag sind zwei Polizisten schwer verletzt worden. Der Fotograf Attila Kleb, der sich nur wenige Meter hinter den beiden Beamten befand und als Zeuge befragt wurde, erzählte der Zeitung „Népszabadság“, was er erlebte, und was die Ermittler wissen wollten.

Unter anderem stellten sie eben die Frage nach dem Jihadisten-Ruf – der aber nicht erklang. Die Polizei bewertet die Explosion als „gezielten Mordanschlag auf die beiden Polizisten“, derzeit aber nicht als Terrorangriff. Am Montag wurde der Nationale Sicherheitsrat einberufen. Dessen Vorsitzender, Zsolt Molnár, sagte danach, es sei „ohne Zweifel“ klar, dass die Polizisten das bewusste Ziel des Angriffs waren. Ein „ideologischer oder jihadistischer Hintergrund ist eher unwahrscheinlich“, sagte er.

Man kann Molnár nicht verdächtigen, der Regierung nach dem Mund zu reden: Er gehört zur oppositionellen Sozialistischen Partei. Auch Bernadette Széll von den oppositionellen Grünen, die der Sitzung beiwohnte, bekräftigte die Angaben. Sie sagte aber, man wisse nicht, ob der Angriff symbolisch der ganzen Polizei (oder dem Staat) galt oder den Personen der beiden Beamten. Und das sagt jeder, der in irgendeiner Weise mit dem Fall zu tun hat: „Wir wissen nichts über die Motivation der Täter.“

Zwei Tage nach dem Angriff bleibt der Fall mysteriös. Mordanschlag auf zwei einfache Streifenpolizisten in neongelben Sichtbarkeitswesten auf einer Routinepatrouille? Wer, warum? Noch dazu muss der Anschlag erheblicher Planung bedurft haben. Ohne sorgfältige Ausspähung der Routen und Zeiten der Polizeipatrouillen wäre der Angriff nicht möglich gewesen – wenn es denn wirklich ein gezielter Anschlag gegen die beiden Beamten war. Warum sollte jemand sich so viel Mühe machen für ein scheinbar so unwichtiges Ziel?

Sieben verschiedene Szenarien

„Wir verfolgen sieben verschiedene Szenarien“, hieß es am Sonntagabend auf einer außerordentlichen Pressekonferenz der Polizei. Welche Szenarien das seien, wollte man nicht verraten, ebenso wenig, ob man von einem oder mehreren Tätern ausgehe, und ob es sich auch um Ausländer handeln könne. Der Tatort stand im Blickwinkel vieler Sicherheitskameras, und die Medien sind voll von teilweise abweichenden Beschreibungen des Tathergangs und der Täter – aber die Polizei hat bis Montagmittag weder Aufnahmen dieser Kameras noch Phantombilder des oder der Verdächtigen veröffentlicht. Die Freigabe der Aufnahmen wurde aber für den späteren Montagnachmittag oder -abend versprochen.

Bis dahin wurde eine verbale Personenbeschreibung angeboten. Demnach habe ein 20 bis 25 Jahre alter und etwa 1,70 Meter großer Mann eine Tasche in einem Hauseingang vor einem Geschäft gelassen und sich dann entfernt. Momente später explodierte der nach Polizeiangaben selbst gebaute Sprengsatz. Der Täter habe eine helle Anglermütze getragen, dazu eine dunkle Stoffjacke, Jeans und weiße Turnschuhe.

In den ungarischen Medien ist unter Bezug auf Quellen, die die Aufnahmen der Sicherheitskameras gesehen hätten, auch von einem zweiten Mann die Rede. Zwar zeigten die meisten Kameras, wie ein Mann eine Tasche (darin die mutmaßliche Bombe) im Hauseingang ablege und sich dann entferne.

Eine andere Kamera habe jedoch festgehalten, dass sich in einiger Entfernung ein möglicher Komplize aufhielt, der dann gemeinsam mit dem Täter entschwand. Im Internet kursieren, wie so oft in solchen Fällen, die wildesten Verschwörungstheorien. Ungarns Regierung, so heißt es in den sozialen Medien, habe ihre Hände im Spiel, denn am 2. Oktober findet ein Referendum gegen die EU-Flüchtlingspolitik statt, und ein Bombenattentat kurz davor helfe sicher, die Wähler zu mobilisieren.

Verschwörungstheorien

Solchen Verdächtigungen leisten Bemerkungen wie die des erwähnten Fotografen und Tatzeugen Attila Kleb Vorschub. Die Zeitung „Népszabadság“ zitiert ihn mit den Worten, an der Stelle, an der die Bombe hochging, „wohne“ ein gehbehinderter Obdachloser, und es sei seltsam, dass er gerade an jenem Abend nicht dort gewesen sei.

Zudem habe er, Kleb, nachdem er den Notruf 112 wählte, wenige Minuten nach der Explosion am Tatort den Opfern helfen wollen. Denen sei aber bereits geholfen worden – von Polizisten in Zivil. Kleb sagte, er verstehe nicht, wie diese so schnell dort sein konnten.

Vielleicht ist die Erklärung gar nicht so schwer: Der weniger schwer verletzte Polizist rief sofort per Funk um Hilfe. Die Behörden haben diesen Funkspruch im Internet zugänglich gemacht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2016)

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