Die Regierung distanziert sich von einem von verbündeten katholischen Hardlinern im Parlament eingebrachten Abtreibungstotalverbot. Die Bürgerproteste scheinen zu wirken.
Warschau. Selbst am Tag nach dem „schwarzen Protest“ trugen in Warschau am Dienstag viele Frauen noch Trauerflor. Dunkle Kleider dominieren bei endlich wieder bestem Herbstwetter. Auch bunte Mode ist natürlich zu sehen, doch es scheint, dass in Polen der Protestbazillus umgeht: Am Montag waren im ganzen Land Zehntausende Frauen und Männer dem Aufruf von Bürgerinitiativen gefolgt, um schwarz gekleidet gegen ein drohendes Totalverbot der Abtreibung zu demonstrieren.
Laut Polizeiangaben hatten sich – immerhin an einem Werktag – 98.000 Demonstranten versammelt, davon 17.000 in Warschau. Ungezählt bleiben wohl Hunderttausende, die sich aus Protest einfach nur dunkel bis schwarz kleideten, vom Demonstrieren aber Abstand nahmen.
Grund für den Aufruhr, der durch die polnische Gesellschaft geht, ist die vorläufige Annahme des bisher restriktivsten Abtreibungsgesetzes in Polen seit der Wende anno 1989. Das von Hardlinern der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) angestrebte völlige Abtreibungsverbot sieht zwischen drei Monaten und fünf Jahren Haft für Schwangerschaftsabbruch vor, selbst nach einer Vergewaltigung. Allerdings hat das Gesetz erst die erste von drei Parlamentsabstimmungen überstanden. Eingereicht worden ist es im Parlament von der der PiS nahestehenden rechtskatholischen Bürgerinitiative Stop Aborcji! (Stoppt Abtreibungen).
Rund 80 Prozent dagegen
Ein derart radikaler Eingriff in die Rechte der Frauen hat in den vergangenen Tagen weit mehr Polen mobilisiert als der für viele Bürger ziemlich undurchschaubare Streit um das Verfassungsgericht. Dieses ist von der Kaczynski-Partei PiS sofort nach der Machtübernahme Ende 2015 paralysiert worden.
Das Verfassungsgericht spielt im Alltag indes kaum eine Rolle, Fragen wie Schwangerschaftsabbruch, Sexualaufklärung und Verhütung schon. Laut Meinungsumfragen lehnen rund 80 Prozent der Polen eine Verschärfung des bereits heute sehr restriktiven Abtreibungsgesetzes ab. Derzeit ist Schwangerschaftsabbruch nur nach einer Vergewaltigung oder Inzest legal, oder wenn der Fötus unwiederbringlich geschädigt ist oder Leben und Gesundheit der Mutter bedroht sind. Offiziell gibt es jährlich deutlich unter 1000 Abtreibungen; Schätzungen gehen aber von rund 100.000 pro Jahr aus, die teils im Ausland gemacht werden.
Radio Maryjas Mächtige
Die neue Auseinandersetzung um die Abtreibung verwirft einen mühselig errungenen politischen Konsens, hinter dem auch Parteichef Jaroslaw Kaczynski (PiS), Polens starker Mann, bisher immer gestanden ist. Allerdings hat sich Kaczynski in den vergangenen Jahren noch als Oppositionspolitiker um das Goodwill von Extremisten bemüht, die bisher selbst in der polnischen Rechten ein Schattendasein gefristet haben.
Allen voran geht es um fundamentalistische Kirchenkreise, etwa aus dem Umfeld des Medienimperiums um das umstrittene, teils antisemitische Radio Maryja. Dort hatte die Regierung in Kaczynskis erster Regierungszeit 2005 bis 2007 immer ein offenes Ohr. Noch heute pilgern Premierministerin Beata Szydlos' Minister immer wieder in die Sendeanlagen in das zwischen Warschau und Danzig etwas abseits gelegene Torun.
In der Frage des künftigen Abtreibungsrechts scheint die Kaczynski-Regierung nun aber angesichts des „schwarzen Protests“ einen Rückzieher vorzubereiten: So trat Ministerpräsidentin Szydlo am Dienstag betont schrill gekleidet vor die Presse, betonte aber, dass die Regierung bisher nicht an einer Verschärfung des Abtreibungsgesetzes gearbeitet habe. „Die Regierung hat damit nichts zu tun, es handelt sich einzig und allein um ein Bürgerprojekt“, sagte Szydlo und brach damit ihr tagelanges Schweigen. „Politiker sollten die Emotionen nicht zusätzlich anheizen“, mahnte sie.
„Emotion schlechter Ratgeber“
Die Diskussion ist schwierig und die Entscheidung, ein Baby im Mutterleib abzutreiben, dramatisch. „Große Emotionen sind ein schlechter Ratgeber“, sagte Szydlo. Manche Kommentatoren in Warschau sehen darin einen Fingerzeig Kaczynskis, am bisherigen Abtreibungsrechtskompromiss tunlichst nicht zu rütteln.
HINTERGRUND
Katholische Kreise im Umfeld der polnischen Regierung brachten eine Gesetzesinitiative zum Totalverbot der Abtreibung ein. Es wird von Hardlinern der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit unterstützt. Weil sich am Montag Proteste ausgeweitet hatten und in Umfragen 80 Prozent der Bürger dagegen sind, deutete die Regierung am Dienstag an, das Vorhaben nicht zu unterstützen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2016)