Montenegro im Würgegriff der Mafia

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Kriege zwischen Drogenkartellen erschüttern seit Monaten das Balkanland. Das Verbrechen hat alle Bereiche der Gesellschaft des EU-Anwärters infiziert, auch die Polizei.

Podgorica/Belgrad. Selbst Montenegros dickste Knastmauern boten dem um sein Leben bangenden Mafioso keinen Schutz. Vergeblich hatte der in der Vollzugsanstalt in Spuž einsitzende Dalibor Djurić die Direktion mehrfach auf verdächtige Personen in der Nähe des Gefängnisses hingewiesen. Beim abendlichen Spaziergang im Gefängnishof ereilte den 34-jährigen Drogenhändler dann Ende September die von ihm befürchtete Kugel: Ein unbekannter Scharfschütze, der wohl von einem Komplizen im Gefängnis per Handy über die Bewegungen des Opfers informiert wurde, tötete Djurić, das führende Mitglied des berüchtigten Skaljari-Clans.

Die Hinrichtung im Gefängnis ist selbst für das als Mafiahochburg berüchtigte Land der „schwarzen Berge“ eine düstere Premiere. Seit Monaten wird der Adriastaat mit seinen nur rund 630.000 Bewohnern, wo am Sonntag die Parlamentswahl ansteht, von einer wilden Fehde zweier Drogengangs in der Küstenstadt Kotor (Cattaro, ehemaliger Stützpunkt der k. u. k. Marine) erschüttert. Eine 2014 in Spanien verschwundene Lieferung von 200Kilogramm Kokain soll den Krieg zwischen dem Skaljari- und Kavac-Clan ausgelöst haben.

Die steigende Zahl von Straßenschießereien, Autobombenanschlägen und anderen Attentatsversuchen illustriert, wie stark die organisierte Kriminalität den EU-Anwärter im Würgegriff hält. Die Mafia hat alle Bereiche der Gesellschaft infiziert – auch die Polizei. „Die Schwäche des Staats wird von kriminellen Gruppen genutzt“, konstatiert Goran Danilović, der von der oppositionellen Demos-Partei gestellte Innenminister der bis zur Wahl amtierenden Übergangsregierung: „Die Fangarme des organisierten Verbrechens reichen bis in die Institutionen des Staates, durch die es schmutzige Gelder zu waschen und Geschäfte zu legalisieren sucht.“

Noch drastischer drückt sich Nebojsa Medojević aus, der für die oppositionelle Demokratische Front im Sicherheitsausschuss des Parlaments sitzt: „Die Mafia ist ein Teil der Macht, des Regimes. Und darum ist sie unberührbar und stärker als dieser schwache Staat.“

Der Staat als Schmuggelhelfer

Schmuggel hatte es in dem seit 2006 unabhängigen Küstenstaat (zuvor seit 1992 im Verband mit Serbien) immer gegeben. Doch erst die UN-Sanktionen während der Jugoslawienkriege der 1990er sollten für einträgliche Schwarzgeschäfte staatliche und kriminelle Strukturen eng verquicken lassen. Der praktisch staatlich organisierte Zigarettenschmuggel verschaffte dem jugoslawischen Teilstaat Devisen. Nach den Kriegen endete der Zigarettenschmuggel, dafür blühte der noch ertragreichere Kokainhandel aus Südamerika auf.

„Die Mafia nutzte die alten Kanäle, verlagerte und weitete ihre Geschäfte aus, aber blieb in den Staats- und Geheimdienststrukturen verankert“, sagt der Sicherheitsexperte Strahinja Brajusković: „Die Frage, wer wen kontrolliert, ist kaum noch zu beantworten.“

Während die Opposition den geschäftstüchtigen Clan um Dauer-Premier Milo Djukanović (54) als Nährboden der Kriminalität kritisiert, kommen die Fehden dem gewieften Politfossil kurz vor der Wahl und Veröffentlichung des EU-Fortschrittsberichts ungelegen. Die Behörden sollten das Blutvergießen in seiner Stadt „so schnell wie möglich“ beenden, forderte Kotors Bürgermeister, Aleksandar Stejpcević, nachdem eine Bombe erneut zwei Kriminelle getötet hatte. Doch es scheint, als ob der Geist des Verbrechens im Land nur schwer zu vertreiben ist.

Wahl am Sonntag nicht sicher

Ob am Sonntag gewählt wird, ist übrigens fraglich, weil es Streit über die Neuregelung der Zuständigkeit von Wahllokalen gibt. An einem Sieg der seit einem Vierteljahrhundert regierenden DPS von Milo Djukanović besteht indes kein Zweifel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2016)

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