Deutschland: Kaiser, Könige, Rechtsextreme

'Reichsbuerger' schießt auf Polizisten
'Reichsbuerger' schießt auf PolizistenAPA/dpa/Nicolas Armer
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Seit einer von ihnen einen Polizisten erschossen hat, stehen die „Reichsbürger“ unter Beobachtung. Die Behörden haben lang unterschätzt, wie gefährlich Teile dieser Bewegung sind.

Berlin. Die Weltanschauung der „Reichsbürger“ lässt sich in etwa so zusammenfassen: Das Deutsche Reich – wahlweise in den Grenzen von 1871 oder 1937 – existiert immer noch. Die Bundesrepublik ist kein legitimer Rechtsnachfolger. Deutschland hat nie vor den Alliierten kapituliert, es ist ein besetztes Land, ein Verwaltungskonstrukt der Siegermächte („BRD GmbH“) mit der Aufgabe, die Bürger auszubeuten. Und deshalb gelten auch die Gesetze der Republik nicht.

Wohin diese Ideologie führen kann und wie weit manche ihrer Anhänger zu gehen bereit sind, weiß man spätestens seit Mittwoch, als in Bayern ein Polizist von einem „Reichsbürger“ erschossen wurde. Die Behörden sind nun in Alarmbereitschaft. Es war bekannt, dass manche ein Faible für Waffen und einen Hang zu Gewalt haben. Aber neuerdings geht die Sorge um, dass aus „Reichsbürgern“ Attentäter werden. Die Szene, der bundesweit einige hundert Personen angehören, ist zwar eine abenteuerliche Mischung aus Verschwörungstheoretikern, Esoterikern und psychisch Auffälligen. Aber die größte Gruppe bilden Personen mit Verbindungen ins rechte Milieu. Allein in Bayern werden 40 „Reichsbürger“ dem Rechtsextremismus zugeordnet.

Es bestehe das Risiko, dass „radikalisierte Einzeltäter“ ähnliche Straftaten begehen wie der norwegische Massenmörder Anders Breivik oder die Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU), hieß es schon 2012 in einer Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage der Linken-Fraktion im Bundestag. Seit dieser Woche muss sich Innenminister Thomas de Maizière vorwerfen lassen, die Gefahr unterschätzt zu haben. Am Donnerstag beauftragte er den Verfassungsschutz, die Bewegung, die ihre Wurzeln im Rechtsradikalismus hat, zu beobachten und neu zu bewerten. Überwacht wird aber niemand. Man könne nicht alle über einen Kamm scheren, heißt es. Nicht jeder „Reichsbürger“ sei ein potenzieller Terrorist.

Manche verfolgen auch andere Ziele: Sie wollen nicht zahlen, keine Steuern, keine Strafmandate, keine Rundfunkgebühren. Um dieses Motiv zu verschleiern, bedienen sie sich einer Methode, die man im Englischen paper terrorism nennt – Papierterrorismus. So werden Verwaltungsbehörden mit Klagen, Beschwerden und gefälschten Mahnungen eingedeckt. In den vergangenen Monaten wurden etliche „Reichsbürger“ zu Haftstrafen verurteilt, weil sie Gerichtsvollzieher und Polizisten angegriffen hatten.

Untereinander sind die Antirepublikaner heillos zerstritten. Laufend wird irgendwo ein neuer Staat ausgerufen und eine neue Regierung eingesetzt. Jeder will der Anführer sein. Es gibt viele Kaiser, Könige, Reichsverweser und, wie die „Zeit“ schätzt, allein rund 30 Reichskanzler. Außerdem einen prominenten Fürsprecher: Bei einer Demonstration vor dem Reichstag im Jahr 2014 rief der Sänger Xavier Naidoo zum Widerstand gegen eine von den USA besetzte Bundesrepublik auf.

Verbindungen nach Österreich

Auch nach Österreich sollen die „Reichsbürger“ Verbindungen haben, zum Beispiel zu den „Souveränen“ in der Steiermark. Und womöglich auch nach Oberösterreich. Bei Vöcklamarkt hat eine Gruppe den Staat „Erlösterreich“ ausgerufen und die Polizei 2014 zu einem Großeinsatz gezwungen, als sie einer Mitstreiterin dabei half, ihren Hof vor der Pfändung zu retten.

Besonders kompliziert wird es dann, wenn der „Reichsbürger“ ein Polizist ist. In Bayern laufen derzeit Disziplinarverfahren gegen vier Beamte, einer wurde bereits suspendiert. Wie man für eine Behörde arbeiten kann, die man gar nicht anerkennt? Man darf auf die Erklärungen gespannt sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2016)

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