Calais: Eine vorerst "ruhige" Räumung des "Dschungels"

Wohin? Flüchtlinge mit ihren Habseligkeiten in Calais.
Wohin? Flüchtlinge mit ihren Habseligkeiten in Calais.APA/AFP/PHILIPPE HUGUEN
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In dem Camp lebten zuletzt mindestens 6500 Menschen in Zelten und Hütten. Am ersten Tag gab der Räumung verließen 60 Busse mit Flüchtlingen das Lager.

Die am Montag begonnene Auflösung des inoffiziellen Flüchtlingslagers im nordfranzösischen Calais ist entgegen den Befürchtungen bisher ruhig angelaufen. Innenminister Bernard Cazeneuve sprach in Paris von einer "ruhigen und geordneten Operation". Er hoffe, dass so die gesamte Räumung des "Dschungels" verlaufen werde.

Bereits im Morgengrauen warteten mehrere hundert Menschen mit Rollkoffern und Taschen bepackt vor einem Registrierzentrum in der Nähe des Camps. "Das ist ein wichtiger Tag. Der Staat macht eine beträchtliche Anstrengung", sagte der Sprecher des Innenministeriums, Pierre-Henri Brandet.

60 Busse am Montag

Der erste Bus mit Flüchtlingen fuhr gegen 8.40 Uhr ab. Insgesamt 60 Busse sollen am Montag abfahren und zwischen 2000 und 2500 Flüchtlinge in Unterkünfte im ganzen Land bringen. In den kommenden Tagen werden dutzende weitere Busse starten. Schon am Dienstag wollen die Behörden damit beginnen, die improvisierten Unterkünfte abzureißen, in denen die Flüchtlinge bisher wohnten.

In der wilden Zelt- und Hüttensiedlung, die unter dem Namen "Dschungel" bekannt geworden war, hatten sich in den vergangenen Jahren Flüchtlinge gesammelt, die illegal über den Ärmelkanal Großbritannien erreichen wollten. Zuletzt hatten dort nach offiziellen Angaben etwa 6500 Menschen gelebt. Die meisten kamen aus Ländern wie Afghanistan, Äthiopien, Eritrea und dem Sudan.

Nach Beginn der Räumung des Flüchtlingslagers von Calais kritisierte die konservative Bürgermeisterin von Calais, Natacha Bouchart, den französischen Staat in deutlichen Worten. "Wenn man das schon im März gemacht hätte, wäre es weniger kompliziert gewesen", sagte Bouchart am Montag in Calais. Damals war ein Teil des Lagers aufgelöst worden.

"Der Staat übernimmt Verantwortung. Doch man hätte auf dieser Fläche niemals ein Lager mit fast 10.000 Migranten entstehen lassen dürfen", sagte die Bürgermeisterin. Die Zahl von 10.000 Migranten war mehrfach von Hilfsorganisationen genannt worden.

Zusammenstöße in der Nacht

Noch in der Nacht hatten in dem Camp Mülltonnen gebrannt. Es war zu Zusammenstößen gekommen, als Migranten versucht hatten, auf eine nahegelegene Autobahn zu gelangen. Die Polizei hatte sie zurückgedrängt und dabei auch Tränengas eingesetzt. Verletzt wurde nach Angaben der Behörden allerdings niemand.

Die Präfektur sprach von einer "noch nie da gewesenen Operation". Im Einsatz sind nach offiziellen Angaben rund 1.250 Polizisten. Die Präfektin des Departements Pas-de-Calais, Fabienne Buccio, verglich das Registrierzentrum mit einem riesigen, improvisierten Busbahnhof. In dem Zentrum findet nur eine erste Befragung der Migranten statt, noch kein Asylverfahren. Die Menschen sollen auf 450 Aufnahmezentren im ganzen Land verteilt werden. Ihnen werden zwei französische Regionen als Ziel vorgegeben, zwischen denen sie wählen können. Ausgenommen sind der Großraum Paris und Korsika.

Die Räumung des Flüchtlingslagers wurde intensiv vorbereitet. Allerdings wollen viele Flüchtlinge den "Dschungel" nicht verlassen: Sie hoffen, von Calais aus heimlich nach Großbritannien zu gelangen. "Sie müssen uns zwingen zu gehen", sagte ein afghanischer Flüchtling am Sonntag. "Wir wollen nach Großbritannien."

Die Behörden betonten immer wieder ein "humanitäres" Vorgehen. Man setze darauf, dass sich die Menschen freiwillig melden, sagte der Sprecher des Innenministeriums. "Keiner wird gezwungen, sich in einen Bus zu setzen." Die Behörden arbeiteten seit langem mit Hilfsorganisationen zusammen, um die Menschen davon zu überzeugen, das Lager zu verlassen.

Unbegleitete Minderjährige dürfen bleiben

Unbegleitete Minderjährige, Familien und Kranke oder Schwangere wurden getrennt registriert. Kinder und Jugendliche, die alleine unterwegs sind, durften zunächst in Containern in Calais bleiben. Für ihr Aufnahmeverfahren gibt es besondere Regeln. Frankreich pocht auf eine Familienzusammenführung, wenn Angehörige bereits in Großbritannien leben.

Großbritannien verweigert die Aufnahme der Migranten und Flüchtlinge mit Verweis auf das EU-Asylrecht. Danach muss ein Antrag in dem Land gestellt werden, wo die Flüchtlinge erstmals den Boden der Europäischen Union betreten. Schon lange versuchen die Bewohner des "Dschungels" daher, illegal auf Lastwagen oder Züge zu gelangen, die über Calais auf die britische Insel fahren.

Hilfsorganisationen befürchten, dass sich viele der Campbewohner einfach in der Umgebung verstecken und sich nach der Evakuierungsaktion wieder in der Nähe niederlassen. Außerdem schließen die Helfer nicht aus, dass es zu neuen Gewaltausbrüchen kommen kann, wenn die Bulldozer damit beginnen, die Hütten und Zelte abzureißen.

Vertreter des rechtsextremen französischen Partei Front National erklärten, mit der Verlegung würden die Probleme nicht gelöst. Vielmehr würden lediglich 450 "Mini-Calais-Lager" geschaffen.

(APA/AFP)

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