Dem Iran geht das Wasser aus

Symbolbild Dürre
Symbolbild DürreAPA/AFP/FETHI BELAID
  • Drucken

Die Islamische Republik verbraucht weit mehr Wasser, als sie eigentlich zur Verfügung hat. Ganze Gegenden sind bereits ausgedörrt, die Erträge der Landwirte sinken massiv.

Hier ist sein Paradies. Stolz steht Mehdi Anjou Shoaa zwischen den Pistazienstöcken und mustert seine Lieblinge. Einige sind mehr als 200 Jahre alt, zwölf Jahre braucht eine Jungpflanze, bis sie die volle Ernte gibt. Ein Leben lang haben die zähen Wundergewächse ihn und seine Familie ernährt. 40 Hektar gehören dem 65-Jährigen, andere im Dorf Abbad-e-Robat bewirtschaften auch das Doppelte.

Säuberlich und in langen Reihen stehen die Bäumchen mit den gelb-roten ovalen Früchten, deren Nüsse neben dem Rohöl das wichtigste Exportprodukt des Iran sind. In der Ferne schnauft eine Wasserpumpe. „Ich werde meine Plantage wohl verlieren“, murmelt er, streichelt über die Zweige und erzählt, wie er sich jeden Abend beim Essen mit seinen beiden Söhnen den Kopf über die Zukunft zerbricht. Doch eine Lösung, um die Apokalypse abzuwenden, haben die drei nicht.

Der eine Tiefbrunnen, der ihre Plantage bewässert, wird schwächer und salziger. Früher erntete Mehdi Anjou Shoaa acht Tonnen der Sorte Kalleghoochi, heute ist es nur noch die Hälfte, die ihm pro Jahr 20.000 Euro einbringt. Die 120.000 Euro für eine moderne Tröpfchenbewässerung, mit der er seinen Pflanzen wieder eine Zukunft geben könnte, hat er nicht und kann er auch nicht erwirtschaften. „Wir haben jahrelang viel zu viel Grundwasser verbraucht“, sagt er. „Und jetzt kriegen wir die Quittung.“
Mehdi Anjou Shoaa ist kein Einzelfall. Zehntausende Farmer fürchten um ihre Existenz. In der südlichen Provinz Kerman musste ein Drittel aller Pistazienbetriebe aufgeben. Ganze Regionen drohen zu verkarsten und unbewohnbar zu werden, denn das Land lebt seit Langem weit über seine ökologischen Verhältnisse. Mit den jährlich verfügbaren 100 Milliarden Kubikmetern Wasser wird Raubbau getrieben. International empfiehlt die UNO, 20 Prozent der erneuerbaren Wassermenge zu nutzen, die ökologisch rote Linie liegt bei 40 Prozent. 60 Prozent Verbrauch bedeutet Wasserstress, 80 Prozent kritische Wasserkrise. Der Iran aber entnimmt seinen Reservoirs 110 Prozent, dreimal mehr als das noch verkraftbare Maximum, eine Ausbeutung, für die es in der internationalen Klassifikation keine Kategorie mehr gibt. Wie das mit den 110 Prozent geht? Der Iran verbraucht die jährlich durch Niederschläge erneuerbare Menge total und zapft zusätzlich uraltes fossiles Grundwasser an, das von der Natur auf absehbare Zeit nicht ergänzt wird.


Salziges Grundwasser. Bei den Ursachen der Katastrophe kommt vieles zusammen. Experten wie der Botaniker Hossein Akhani nennen vor allem den Boom bei Staudämmen. Existierten am Ende der Schahzeit 1979 nur 18, sind es heute 647 – plus 680 in Bau oder Planung. Jeder Fluss im Iran ist inzwischen etliche Male gestaut. Parks und Alleebäume im grünen Teheran werden aus fünf künstlichen Becken gespeist. „Wir sind ein Land ohne fließende Gewässer“, sagt der Wissenschaftler. Zusätzlich saugen landesweit 780.000 Brunnen die unterirdischen Quellen leer, die Pumpen sind oft illegal.

Fließendes Quellwasser und lauschige Gärten gehören zum persischen Selbstbild, genauso wie die nicht versiegenden Wasserhähne zu Hause, obwohl sich der Iran das längst nicht mehr leisten kann. 90 Prozent des Wassers gehen in die Landwirtschaft, zehn Prozent werden zum Trinken und für die Industrie gebraucht. Die meisten Plantagen werden traditionell mit offenen Kanälen versorgt. Nirgends existieren Kläranlagen, die Abwasser wieder zu Trinkwasser aufbereiten könnten.

In den am schlimmsten betroffenen Regionen in Osten, Süden und im Zentraliran schmeckt das Grundwasser salzig. Seen und Auen trocknen aus, Flüsse führen kein Wasser mehr. Kilometerweit bricht das Erdreich über den ausgeplünderten Aquifers ein, immer heftigere Sandstürme toben übers Land. Die Bauern machen trotzdem weiter, als sei nichts geschehen. Selbst Reis, der viel Wasser verlangt, wird angepflanzt, obwohl das verboten ist.

Seit dem Amtsantritt von Präsident Hassan Rohani 2013 ist der Wassernotstand Chefsache. Mit einem Nationalen Wasserplan will die Führung den Verbrauch in den nächsten 20 Jahren zumindest auf das UN-Niveau von 60 Prozent drücken – zu wenig und zu langsam, bemängeln Kritiker. „Wir müssen rasch harte Entscheidungen fällen, sonst verlieren wir alles“, sagt Ex-Landwirtschaftsminister Issa Kalantari, einer der besten Kenner der Materie. Den Einwand, ein derart rabiater Sparzwang erzeuge soziale Unruhen, lässt er nicht gelten. Die Existenz des Landes stehe auf dem Spiel, der Iran laufe Gefahr, dass in den nächsten zwei Jahrzehnten ein Dutzend der 31 Provinzen unbewohnbar würde. Da bleibe keine Zeit mehr für lange Diskussionen.

„Desaster von Menschenhand“. Das sehen auch Plantagenbesitzer Soheil Sharif und seine Agrarmanagerin Mahdieh Khezri Nezhad so. Beide gehören zu den wenigen, die ihre Zukunft in die Hand nehmen. Unter den Pistazienfarmern von Sirjan, einer 300.000-Einwohner-Stadt, sind sie Pioniere. Die Hälfte des 300-Hektar-Familienbetriebs ist auf Tröpfchenbewässerung umgestellt. Die Felder sind durchzogen mit daumendicken, schwarzen Leitungen, die dreißig Zentimeter tief verlegt das Wurzelwerk der wertvollen Bäume nach einem genauen Plan versorgen. Aus allen Himmelsrichtungen kommen Kollegen, um sich den Vorzeigebetrieb anzusehen. Der Landwirtschaftsminister war so beeindruckt, dass er seinen Staatssekretären auftrug, nach Sirjan zu reisen.

Staatliche Zuschüsse, wie die Regierung in Teheran in Aussicht stellt, hat der Betrieb nie gesehen. „Die Regierung hat kein Geld, das steht alles nur auf dem Papier“, sagt Soheil Sharif und rechnet vor, dass er bisher eine halbe Million Euro aus Rücklagen und Krediten investiert hat. Seitdem ist auf den Feldern der Wasserverbrauch um 60 Prozent gesunken, die Ernte um 40 Prozent gestiegen. Nach drei Jahren, kalkuliert der Agrarökonom, hat sich das Geld amortisiert. Aber: „Das Ganze ist ein Desaster von Menschenhand“, sagt Soheil Sharif. „Und wenn die anderen ihre Einstellung nicht ändern, werden wir alle zusammen untergehen.“

Fakten

Dem Iran stehen jährlich 100 Milliarden Kubikmeter (das sind 100 Kubikkilometer) Wasser zur Verfügung. Vergleich: Im weit kleineren, aber nasseren Österreich sind es 77 Mrd. m3). International empfehlen die Vereinten Nationen, 20 Prozent der erneuerbaren Wassermenge zu nutzen, die ökologisch rote Linie liegt bei 40 Prozent. Bei 60 Prozent Verbrauch spricht man von Wasserstress, bei 80 von Wasserkrise. Der Iran indes entnimmt seinen Reservoirs sogar 110 Prozent. Heißt: Er verbraucht die durch Niederschläge erneuerbare Menge total und zapft zusätzlich fossiles Grundwasser an.

90 Prozent des Wassers gehen in die Landwirtschaft, zehn werden zum Trinken und für die Industrie gebraucht. Die Bevölkerung hat sich seit der Islamischen Revolution auf 80 Millionen mehr als verdoppelt, die landwirtschaftliche Produktion vervierfacht. Die Verschwendung ist astronomisch, weil Wasser praktisch nichts kostet. Der Pro-Kopf-Verbrauch ist doppelt so hoch wie im Weltdurchschnitt.

Ursachen für die Wasserkrise sind unter anderem der Staudammboom. Existierten am Ende der Schahzeit 1979 nur 18 Dämme, sind es mittlerweile 647 – plus weitere 680 in Bau oder Planung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.