Vukovar: „Der Krieg lebt in den Köpfen weiter“

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25 Jahre nach der Einnahme Vukovars durch serbische Truppen sind die Trümmer längst aufgeräumt. Doch in der Stadt an der Donau herrscht heute kalter Friede, berichtet die 26-jährige Biljana Gaca, deren Familie 1991 geflohen ist.

Der Kroatien-Krieg hat ihr Leben bestimmt. Dennoch hat das einstige Flüchtlingskind keine Erinnerung an ihn. Sie war ein Jahr alt, als er über ihre Geburtsstadt kam, erzählt im Café Display in Vukovar die 26-jährige Biljana Gaca. Bis zuletzt habe ihre Familie damals, im Sommer 1991, gehofft, dass es nicht so kommen werde: „Mein Vater verstand sich als Pazifist, wollte sich als Angehöriger der ruthenischen Minderheit in den Konflikt nicht reinziehen lassen. Er hoffte, dass Jugoslawien sich wenigstens friedlich auflösen werde, falls es nicht bestehen bleiben könne.“ Der in der Schuhfabrik im Vorort Borovo arbeitende Familienvater täuschte sich: Die Zerstörung Vukovars wurde vor 25 Jahren zum schlimmen Vorboten der Schrecken der folgenden Jugoslawien-Kriege.

Zwei Monate nach Kroatiens Unabhängigkeitserklärung hatten Jugoslawiens Volksarmee und serbische Milizen im August 1991 mit dem Angriff auf die barocke Vielvölkerstadt an der Donau begonnen. Erst als Granaten in die Dächer krachten, habe ihre Mutter sie und den fünfjährigen Bruder zu einer Tante nach Zagreb gebracht, später folgte der Vater. „Nur meine Großeltern blieben bis zum Schluss.“ Drei Millionen Granaten prasselten fast drei Monate lang herab und machten die wohlhabende Stadt zum Trümmerfeld. 87 Tage hielten die 2000 bis 3000 Verteidiger – die 204. Brigade, Polizei, Milizen und Freiwillige – der Übermacht stand. Am 18. November 1991 fiel Vukovar. Mehr als 2000 Menschen starben, 4000 wurden verletzt, 22.000 vertrieben. 1998 kam Vukovar wieder unter Kontrolle Kroatiens.

Der kalte Friede ist brüchig

Zagreb, Korčula, Slavonski Brod, Osijek. Lakonisch zählt Gaca die Etappen der neunjährigen Odyssee ihrer Familie auf. Stets hätten ihre Eltern den Kindern von „Klein-Wien“ vorgeschwärmt, sagt sie. Erst im Jahr 2000 konnte ihre Familie zurück: „Die Eltern waren glücklich, ich schockiert: Ich fragte, warum die Häuser so zertrümmert sind.“

Die meisten Spuren des Kriegs sind getilgt. „Doch die Nachkriegszeit scheint kein Ende zu nehmen“, klagt die Politologin mit den kurzen Haaren, die für die Sozialdemokraten im Stadtrat sitzt. Ob beim Dauerstreit um die zweisprachigen, von kroatischen Veteranen immer wieder zerstörten Amtsschilder mit den kyrillischen Schriftzeichen oder bei den vor Wahlen aufgeheizten Spannungen zwischen kroatischer Mehrheit und serbischer Minderheit: Der kalte Friede ist brüchig. „Der Krieg lebt in den Köpfen weiter. Wenn Leute hungrig sind, sind sie leicht zu manipulieren“, seufzt sie. „An den Schulen gehen die Kinder weiter in getrennte Klassen.“

Als Zehnjährige sollte sie die Folgen des fatalen Schulsystems erfahren. „Cao, ich bin Biljana“, stellte sie sich in ihrer neuen Klasse vor. Tagelang habe danach keiner mit ihr geredet, bis ihr eine Lehrerin sagte, sie habe den „falschen“ Gruß verwendet: In Vukovar würden sich nur Serben mit „Cao“ begrüßen, Kroaten aber mit „Bok“: „In Osijek hatte ich so oder so gegrüßt. Und hier standen Serben und Kroaten selbst in den Pausen in anderen Ecken des Schulhofs.“

Mit 14 trat sie der Initiative Europäisches Haus Vukovar bei, die für Aussöhnung ficht: „So lernte ich Jugendliche anderer Ethnien kennen und sah, dass der andere ein normaler Mensch ist.“ Sei es bis vor etwa sieben Jahren tabu gewesen, als Serbe oder Kroate in ein „falsches“ Café zu gehen, sei der Umgang nun zumindest unter Jungen lockerer. Es gebe gemischte Sportklubs, und Jugendliche gingen ohne größere Probleme miteinander aus.

„Den Eliten passt die Teilung“

Doch bleibe der fehlende politische Versöhnungswille: „Den politischen Eliten passt der jetzige Zustand der Teilung am besten.“ Die konservative HDZ setze die Erinnerung an den Krieg zur Wählermobilisierung ein, und auch die Partei der serbischen Minderheit sei für das getrennte Schulsystem: „Das sichert die Möglichkeit, dort die eigenen Leute zu beschäftigen. Aber die Folgen dieser Segregation sind fatal.“

Den jährlichen Gedenkrummel, an dem sie teilnimmt, sieht sie indes kritisch. „364 Tage wird die Stadt von Politik und nationalen Medien ignoriert. Manche wollen wohl, dass sie eine Stadt der Gräber bleibt, wohin man nur kommt, um für die Toten zu beten.“ Vukovar müsse aber „im Heute“ leben, denn fehlende Jobs und Abwanderung seien für die auf 22.000 Einwohner geschrumpfte Bevölkerung (1990: rund 44.000) das wahre Problem.

„Die Häuser sind wiederaufgebaut, aber Mauern kann man nicht essen. Ich kenne viele, die nach dem Krieg zurückkamen und nun nach Irland oder Deutschland auswandern.“ Sollte Vukovar zu einem Ort der Pensionisten verkümmern, wäre das „der zweite Fall der Stadt“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2016)

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