Belächelt, nett und brandgefährlich: Die Welt der „freien Männer“

In Deutschland starb ein Polizist durch Schüsse eines sogenannten "Reichsbürgers"
In Deutschland starb ein Polizist durch Schüsse eines sogenannten "Reichsbürgers"(c) APA/dpa/Daniel Karmann (Daniel Karmann)
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Es klingt nach einem skurrilen Sammelbecken für Öko-Esoteriker, Anarchisten, Rechtsextreme oder Querulanten, tatsächlich sind Staatsverweigerer von „Freeman“ bis „Reichsbürger“ eine unterschätzte Gefahr.

Auf der Welt läuft etwas schief. Die Banken sind zu mächtig, Steuern, überbordende Regeln, Konzerne, die der Pharmaindustrie zum Beispiel, die Ärzte bestechen, bestimmen unser Leben. Und der Umwelt geht es sowieso bald ans Eingemachte – wenn die Welt nicht zuvor in einem Atomkrieg untergeht. Und eigentlich, ja, da sollte alles anders sein. Da sollten wir gut miteinander umgehen, da sind wir spirituelle Wesen, die in Einklang mit der Natur, geerdet, gesund, in Liebe verbunden, leben wollen, nach Regeln universeller Moral.

Es klingt ja nicht so schlecht. Wer noch einen Funken Hippie-Romantik in sich hat, der kann sich für solche Gedanken vielleicht erwärmen, zumindest entspricht das dem Zeitgeist. Anders Leben, das kommt gut an. Wenn es nur nicht so naiv wäre – und gefährlich.

Die Szene der Aussteiger, Staatsverweigerer, „Freeman“, „Souveräne“ oder wie sie sich nennen, wächst. Mehr als 700 Aktivisten dieser Art sind Behörden namentlich bekannt. Kenner der Szene schlagen Alarm: Die Behörden müssen reagieren, Gesetze schaffen. Denn der Zulauf ist ungebrochen. In den USA gelten diese Bewegungen bereits als größte terroristische Bedrohung im Land. Dort haben Staatsverweigerer Parallelstrukturen wie Polizei und Gerichte hochgezogen, auch Morde gab es.


Love, Peace und Geldgier. Dabei klingt die Welt der Freien so nett und idealistisch. Zum Beispiel, wenn man sie sich von „Freeman“ Martin Hainitz erklären lässt. „Wir glauben an universelle Gesetze, alles, was ich ausstrahle, das ziehe ich auch an. Wenn ich Böses tue, kommt es zurück. Wir wollen, dass die Versklavung aufhört“, sagt Hainitz. Er ist Mitte 30, aus Ybbs, früher war er Maurer, dann hat er in einer Tankstelle gearbeitet. Und vor zweieinhalb Jahren hat er offiziell mit dem Staate Österreich Schluss gemacht. Zumindest hat er einen Brief an diverse Behörden geschickt, in dem das steht. Das tun immer mehr Menschen – bzw. unterschreiben sie eine Vorlage von Joe Kreissl, der so einen Brief als Erster geschickt hat, als er 2012 meinte, er könne sich so von Steuern, Sozialversicherung, Behörden losschreiben. Kreissl ist heute eine der zentralen Figuren der Bewegung, er war auch dabei, als 2014 im Waldviertler Hollenbach auf einem Bauernhof eine „Verhandlung nach Naturrecht“ vor einem Fantasie-Gericht gegen eine Sachwalterin geplant war. Heute lebt Kreissl im Schloss Walchen im oberösterreichischen Vöcklamarkt und will dort den Staat „Erlösterreich“ gründen. Zuletzt ist er mit fragwürdigen Ansichten zum Holocaust aufgefallen.

Aus Kreissls Umfeld stammt auch Hainitz, er hat im Schloss Walchen den vergangenen Sommer verbracht. Wie er jetzt lebt? „Ich bin ein Reisender“, sagt er, lange Zeit hielt er Vorträge über die „Freeman“, jetzt finanziert er sich mit Straßenmusik oder Aushilfsarbeiten und lebt im Wohnwagen oder bei Gleichgesinnten. „Jetzt lebe ich außerhalb vom System, ohne Meldezettel, Sozialversicherung und ohne Geld vom System.“ Was, wenn er einen Arzt braucht? „Ich schaue auf mich, ich werde nicht krank.“ Ein Unfall? „Daran denke ich nicht, das wäre schädlich.“

Psychiaterin Heidi Kastner kennt solche Denkweisen zur Genüge, sie war in Gerichtsverfahren mit der Begutachtung von „Freeman“ vertraut – und warnt dringend davor, das als Spleens und Spinnereien abzutun. Was sind das also für Menschen? „Die Gruppe ist extrem inhomogen. Es gibt Einzelne, die vorher wahnhaft waren, Konflikte mit Behörden hatten und dieses System für ihren Wahn nutzen. Andere praktizieren das rein mit Blick auf eigene finanzielle Vorteile.“ Schließlich liegen diese auf der Hand: keine Steuern zahlen, dazu kommen abstruse Ideen, die bei Rekrutierungsveranstaltungen vorgestellt werden: Für jeden Menschen bestehe ab Geburt eine Art Aktienpaket, auf das man einen Anspruch habe.

Die Rekrutierung funktioniert vor allem via Internet und Vorträgen. Da wird zunächst über gesunde Ernährung, Gift im Essen, vom Einssein mit der Natur erzählt, „darauf fahren die Leute ab und rennen ihnen nach wie dem Rattenfänger von Hameln“, sagt Kastner. Mit dem generell wachsenden Misstrauen dem Staat gegenüber ergibt das einen Mix, den man auch in der Bundesstelle für Sektenfragen mit Sorge beobachtet. „Seit zwei Jahren haben wir Anfragen von Angehörigen oder Behörden“, sagt Ulrike Schiesser. Viele erschrecken, wie schnell Leute, denen man das nicht zutraut, da hineinkippen.


Das Internet als Brandbeschleuniger. Wie diese „Freeman“ sich nur noch auf Verschwörungsseiten informieren, missionieren wollen: „Es heißt dann: Der Staat existiert nicht. Du wirst 2000 Euro Grundeinkommen und einen Diplomatenpass bekommen, damit Immunität“, erzählt Schiesser. Das Internet sei da ein „Brandbeschleuniger“.

Die Inhalte beschreibt Psychologin Schiesser als vergleichbar mit Religiösem, das Versprechen von Erlösung, die Vorstellung, Teil einer Art auserwählten Gruppe zu sein. Gerade Leute, die es zuvor schwer hatten, Arbeitslose, Verschuldete, Menschen, die schon immer dachten, sie kämen im Leben zu kurz, seien da empfänglich. „Die Leute werden radikalisiert, oft sind sie idealistisch und glauben, sie würden eine bessere Gesellschaft aufbauen. Aber sie setzen Handlungen, die Menschen immens schaden.“ Schiesser erzählt etwa von einer verzweifelten Frau, deren Mann auch ihre Sozialversicherung gekündigt hatte. Oder von Eltern, die ihre Kinder in dieser Ideologie erziehen, Schulen verweigern. Dazu kommen die Kosten der unweigerlichen Behördenverfahren, die Schulden wachsen – und der Schaden an der Allgemeinheit.

„Die meisten leben ja parasitär, sie verweigern den Staat, aber kassieren Arbeitslosengeld oder Mindestsicherung“, sagt Kastner, die von einem System spricht, das brandgefährlich sei: Da geht es vor allem um die sogenannte Malta-Masche zur (versuchten) Geldbeschaffung. Die funktioniert beispielsweise so: Ein Vertreter einer Behörde hat Kontakt mit einem „Freeman“, dieser stellt (solche Stundensätze stehen im „Austrittsbrief“) dann eine Fantasierechnung über 38 Mio. Euro für Störung in der Freizeit. Diese Schulden werden in ein offenes Schuldenregister in den USA eingetragen, dann kauft ein Inkassobüro der „Freeman“ auf Malta diese Ansprüche. Unser Beamte erhält einen Brief aus Malta, in dem steht, er solle eine absurde Summe zahlen, er tut das als Blödsinn ab und schmeißt ihn weg. „Wenn binnen vier Wochen kein Einspruch in Malta erhoben wird, kann der Anspruch rechtskräftig werden“, erzählt Kastner aus ihr bekannten Fällen. In zumindest einem Fall ist das schon gelungen. Auch Mitarbeiter der BH Braunau oder ein Jugendpsychiater wurden schon in Schuldenregister eingetragen. Im harmloseren Fall funktioniert dann in den USA die Kreditkarte nicht mehr. Aber so etwas kann auch langwierige juristische Folgen haben. „Da ist unglaubliche Malignität dahinter“, sagt Kastner.

Wie passt das mit dem Love-and-Peace-Gerede zusammen? „Mein Weg ist das nicht. Aber es ist ein Weg, Fehler im System aufzeigen, oben, bei Politikern erreicht man nichts, also fallen untere Beamte ins System hinein“, sagt Hainitz. Bei Gerichten fällt jedenfalls mit den Staatsverweigerern seit zwei Jahren immens viel Arbeit an, zu lange wurden diese als Spinner verharmlost, kritisiert Kastner. Die Trägheit des Systems komme ihnen entgegen, „der Staat ist hinten nach, während die durch die Lande reisen und regen Zulauf haben“.

Nun, nachdem im Oktober ein „Reichsbürger“ in Deutschland einen Polizisten erschossen hat, schärfen Österreichs Behörden ihre Gangart: In Braunau wurde ein Staatsverweigerer festgenommen, der einen Gerichtsvollzieher bedroht hatte. Aus Kärnten wurde eine deutsche „Reichsbürgerin“ nach Slowenien abgeschoben. Unzählige Verfahren wegen Nötigung, Gefährlicher Drohung, Freiheitsentzug Körperverletzung oder Widerstandes sind anhängig. Im Bundesamt für Verfassungsschutz (BVT) spricht man von einem „nicht zu unterschätzenden staatsfeindlichen Potenzial“. Die „gesellschaftliche Großlage des fundamentalen Misstrauens gegenüber dem Staat“ begünstige das. Der Zustrom ist erheblich, selbst (Ex-)Polizisten wollten den Staat schon nicht mehr anerkennen. Strafrechtlich kommt man den Bewegungen (ausgenommen der deutschen „Reichsbürger“, die man nach dem Verbotsgesetz verfolgt) schwer bei. Das soll sich ändern. Innenminister Wolfgang Sobotka und Justizminister Wolfgang Brandstätter arbeiten an einer Grundlage, etwa indem §246 (Gründung einer staatsfeindlichen Verbindung) dementsprechend verändert wird. Für seine Mitarbeiter hat Sobotka zuletzt eine eigene Hotline im BVT eingerichtet, an die sich Beamte wenden können, wenn sie mit Schreiben á la Malta-Methode konfrontiert sind.

Wie sieht „Freeman“ Hainitz die Verbots-Debatte? „Wenn die Polizei vor meiner Tür steht, wehre ich mich nicht. Meine Waffe ist das Wort. Was will der Minister verbieten? Von uns meint es keiner böse, er soll sich mit uns zusammensetzen, dann wird er es verstehen. Wenn sie uns verbieten wollen, wie wir denken, sollen sie mich einsperren.“

In Zahlen

700namentlich bekannte Aktivisten umfasst die Szene der Menschen, die staatliche Gewalt nicht anerkennen. schätzt das Innenministerium. Aus Ermittlungen des BVT gehe hervor, dass weitere rund 22.000 Menschen in Österreich für diese Ideen ansprechbar seien. Auch heimische „Freeman“ berichten von steigendem Zulauf – nur seien noch nicht alle Sympathisanten soweit, dass sie „offiziell“ aus Österreich austreten.

200bis 250 Strafrechtsdelikte und mehr als 200 Verwaltungsdelikte hat die Polizei allein in Oberösterreich in dem Zusammenhang heuer schon gezählt. Die Szene dort ist eine der größeren in Österreich.

Die Staatsverweigerer

Freeman
Das ist eine Bewegung, die aus den USA kommt und sich zunächst öko-esoterisch und friedlich gibt. In den USA ist die „Freeman on the land“-Bewegung erstmals in den 1970er- und 1980er-Jahren aufgetaucht und wird als terroristische Organisation eingestuft. In Österreich sind „Freeman“ ein loses Netzwerk um zentrale Akteure – etwa Joe Kreissl in Oberösterreich. Der scheinbare Nonsens gilt als gefährlich: Der Zulauf ist seit rund zwei Jahren groß, die Rekrutierung läuft sektenartig, die „Freeman“ schaffen sich damit selbst enorme juristische, finanzielle und familiäre Probleme. Sie sind außerdem eine Plage für Behörden, die sie mit Eingaben fluten oder indem sie einzelne Mitarbeiter klagen und versuchen, um Geld zu bringen. Außerdem versuchen sie, Parallelstrukturen zum Staat wie Gerichte oder, wie in den USA, eigene Polizeieinheiten und Ähnliches aufzubauen.

Reichsbürger und Staatenbündler
Diese Bewegung umfasst ebenfalls uneinheitliche Gruppen, die Verschwörungstheorien und teils rechtsextremen Ideen anhängen. Etwa glauben deutsche „Reichsbürger“ oder „Natürliche Personen“, dass das Deutsche Reich fortbestehe, aber nicht in Form der Bundesrepublik, vielmehr werde es von einer Kommissarischen Reichsregierung (KRR) vertreten. Die Bewegung ist daher auch als „KRR“ oder „KRR-Szene“ bekannt. Die deutschen „Reichsbürger“ sind in Österreich schwach vertreten – teilweise bekennen sich aber „Staatenbündler“ dazu, die selbst diverse Fantasie-Republiken ausrufen: etwa den „Staat Steiermark“, der 2015 von einer Gruppe um Monika Ungar ausgerufen wurde.

OPPT – One People's Public Trust – Diese Bewegung (klare Trennlinien zu den zuvor genannten sind nicht zu ziehen, oft hängen Aussteiger allen diesen Theorien an) beruft sich darauf, dass Staaten nur Firmen seien. Die Bewegung wurde von „US-Freeman“ gegründet. Sie verbreiten skurrile pseudo-juristische Theorien, die im Endeffekt jedem Anhänger glauben machen, er hätte Ansprüche auf sehr viel Geld. OPPT-Anhänger versuchen an Geld zu kommen, indem sie Fantasierechnungen über Millionenbeträge stellen (zum Beispiel werden Beamten zig Millionen Euro für „Belästigung“ während einer Amtshandlung in Rechnung gestellt). Diese Forderungen werden in US-Schuldenregister eingetragen. Davon betroffen sind Behördenmitarbeiter in Österreich, für die das langwierige und teure juristische Folgen haben kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2016)

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