Ein Ausweg aus der Armensiedlung

Die kleine Anaisa (r.) mit ihrer Schwester Denisa
Die kleine Anaisa (r.) mit ihrer Schwester Denisa(c) Erich Kocina
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Die Hilfsorganisation Concordia gibt vernachlässigten Kindern und Jugendlichen in Osteuropa eine Perspektive, die Chance auf eine Ausbildung – und damit auf ein besseres Leben.

Ploieşti. Anaisa ist müde. Langsam kriecht das bald zweijährige Mädchen über die Bettdecke hinter ihre Schwester Denisa und schaut hinter ihrem Rücken hervor. Hinaus zum Spielen zu gehen hat heute keinen Sinn. Der Regen hat große Lacken auf dem ungepflasterten Zufahrtsweg der Armensiedlung Mimiu in Ploieşti hinterlassen, wer am Haus vorbeigeht, trägt eine Kapuze ins Gesicht gezogen.

Und so sitzen alle fünf Kinder der Familie Banku auf dem Bett. Sie wohnen auf wenigen Quadratmetern in einem Zimmer, gemeinsam mit Mutter Mariana. Manchmal ist Vater Robert da. „Er hat gerade einen Job am Bau“, sagt die 28-Jährige. Als Tagelöhner bringt er dennoch kaum Geld nach Hause.

Das Haus hält zumindest trocken und warm. Doch was fehlt, ist eine Perspektive. Das gilt für fast alle, die in Mimiu wohnen. Die meisten sind Roma. Einen Job zu finden ist schwierig, eine Ausbildung haben die wenigsten. Und dass Kinder in die Schule geschickt werden, ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Weil vielen Eltern des Bewusstsein dafür fehlt – aber auch aus ganz praktischen Gründen: weil sie sich etwa nicht einmal Kleidung und Schuhe leisten können, damit die Kinder den Schulweg überhaupt bewältigen.

Kleidung für den Unterricht

Hier ist der Punkt, an dem die Hilfsorganisation Concordia ins Spiel kommt. Regelmäßig schauen Betreuerinnen in Mimiu vorbei, ermutigen die Eltern, ihre Kinder in die Schule zu schicken. Und kümmern sich um die nötige Kleidung und Mittel für den Unterricht. „Aber wir geben den Eltern nie Geld“, sagt Elena Matache, die regionale Concordia-Betreuerin des Bezirks Prahova, in dem Ploieşti liegt. Man will niemanden an Zuwendungen gewöhnen. Es geht darum, den Menschen Hilfestellungen zu geben, damit sie von selbst an ihrer Situation arbeiten. So wie die Organisation generell vor allem dabei helfen will, Menschen die Eigenständigkeit beizubringen und sie auf dem Weg dorthin zu unterstützen.

Gegründet 1991 vom Vorarlberger Jesuitenpater Georg Sporschill (70) kümmerte sich Concordia zunächst vor allem um rumänische Straßenkinder, für die man Unterkünfte und einen sozialen Rahmen schuf; auch in Bulgarien und der Republik Moldau brachte man Kinder, die von ihren Eltern vernachlässigt, missbraucht oder verlassen wurden, in eigenen Einrichtungen unter. Mittlerweile gibt es in Rumänien kaum mehr Straßenkinder. Und so hat sich der Fokus verlegt, weg von großen Heimeinrichtungen hin zur Arbeit mit Familien. Denn dort, so die Idee, sind Kinder am besten aufgehoben.

Dafür bekommen die Eltern Unterstützung, etwa mit Informationen zu Hygiene und Gesundheit. Aber auch bei der Suche nach Arbeit bietet Concordia Hilfe an. Und für die Kinder schafft man Einrichtungen, etwa das Casa Cristina, in denen sie gemeinsam mit Betreuerinnen Hausaufgaben machen und lernen können. Dazu haben sie die Möglichkeit, der Enge und oft auch der Kälte daheim für einige Stunden zu entkommen. Auch warmes Mittagessen wird angeboten. „Für manche“, sagt Elena Matache, „ist das das einzige richtige Essen am Tag.“ Auch Anaisa wird wohl in ein paar Jahren, wenn sie zur Schule geht, einige Zeit hier verbringen.

Die Begleitung der Kinder und Jugendlichen endet aber nicht mit der Schule. In einem eigenen Bildungs- und Trainingszentrum in Ploieşti arbeitet Concordia daran, ein duales Ausbildungssystem nach österreichischem Vorbild zu etablieren. Hier können Jugendliche unter anderem Ausbildungen zum Koch, Kellner, Bäcker und Tischler machen. Daneben besuchen sie staatliche Schulen – auch aus dem Motiv heraus, dass sie mit anderen Kindern und Jugendlichen in Kontakt kommen, die nicht in den Einrichtungen isoliert sind.

Mit den Produkten aus der Bäckerei werden alle Concordia-Projekte versorgt, ein Teil wird verkauft. Und das Modell, dass sich die Projekte auf Dauer selbst tragen sollen, will man bei Concordia weiter forcieren. Kommendes Jahr etwa wird im Casa Concordia in Bukarest, in dem 1991 alles begann, ein Hostel mit Kaffeehaus eröffnen. Und Jugendliche aus den Einrichtungen sollen hier Praxis sammeln und einen Einstieg in den Arbeitsmarkt finden.

Im Endeffekt geht es darum, den Kindern und Jugendlichen Autonomie mitzugeben, sodass sie irgendwann auf eigenen Beinen stehen können. Damit es in einigen Jahren vielleicht auch Anaisa schafft, das Elend der Armensiedlung Mimiu hinter sich zu lassen.

(c) Die Presse

Compliance-Hinweis:

Die Reise nach Rumänien fand auf Einladung der Hilfsorganisation
Concordia statt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2016)

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