Türkei: Christliche Touristen bleiben aus

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Beim Gottesdienst zu Ehren von Sankt Nikolaus im antiken Myra fehlen heuer die Scharen. Die Terroranschläge und die Kämpfe in den Kurdengebieten schrecken Urlaubsgäste ab.

Istanbul. Sankt Nikolaus hat Namenstag, doch in diesem Jahr wird er ihn im kleinen Kreise feiern müssen. An der historischen Wirkungsstätte des Heiligen im antiken Myra an der türkischen Mittelmeerküste wird zwar wie jedes Jahr am 6. Dezember auch heute eine orthodoxe Messe zelebriert, um des einstigen Bischofs dieser Stadt zu gedenken. Anders als in vergangenen Jahren rechnet die Kirche diesmal aber nicht mit großem Andrang. Denn die Scharen christlicher Touristen, die sich früher in der historischen Kirche drängten, bleiben an der türkischen Riviera in diesem Jahr aus. Und einheimische Christen gibt es in Myra, das heute Demre heißt, schon lang nicht mehr.

Zu dem Gottesdienst reist der Metropolit von Myra mit einem kleinen Gefolge aus Istanbul an, wo er im Patriarchat von Konstantinopel beheimatet ist. Nur eine kleine Dienstwohnung unterhält die Kirche in Demre selbst, denn für eine Messe im Jahr lohnt es sich nicht, dauerhaft einen Geistlichen dort zu stationieren. Erst seit zehn Jahren darf die Nikolausmesse überhaupt wieder in Myra stattfinden – seit die islamisch inspirierte AKP-Regierung mit den Verboten der streng säkularen Türkei brach und die Gottesdienste erlaubt hat.

Zu den Nikolausmessen in den vergangenen Jahren strömten Tausende Touristen aus ihren Hotels in der Region Antalya in die historische Kirche. Aus Griechenland wurden eigens zum Nikolaustag Touren mit Fähren und Bussen organisiert, doch auch Christen der westlichen Tradition und weniger gläubige Besucher huldigten dem Nikolaus, der es aus einer lykischen Hafenstadt zum Heiligen und zum Weltstar schaffte.

Geld durch den Kamin

In der nahen Hafenstadt Patara geboren, soll Nikolaus in jungen Jahren vom römischen Kaiser Diokletian wegen seines christlichen Glaubens verfolgt worden sein. Als erster Bischof von Myra machte er sich im vierten Jahrhundert durch Wundertaten einen Namen. Die Grundlage für seinen bis heute andauernden Ruhm legte der Bischof mit seiner Mildtätigkeit und seiner Hilfe für die Armen.

Der Legende nach warf er unerkannt Säckchen voller Geldmünzen durch den Kamin von Häusern, um den Töchtern der Armen zu einer Aussteuer zu verhelfen. Weil er die jungen Frauen damit vor der Prostitution rettete, wurde Sankt Nikolaus unter anderem zum Schutzheiligen der Jungfrauen. Die Vorstellung, dass die Weihnachtsgeschenke durch den Schornstein ins Zimmer sausen, hat sich bis heute besonders im angloamerikanischen Kulturkreis gehalten.
Nach dem Tod des Bischofs, der in seiner Kirche in Myra begraben wurde, verbreiteten sich die Legenden vom Nikolaus in der ganzen christlichen Welt.

Im 11. Jahrhundert raubten italienische Piraten die Gebeine des Heiligen und brachten sie nach Bari. Nur einige Knochen, die von den Italienern übersehen wurden, liegen heute im Museum der Touristenhochburg Antalya. Für Demre, den Heimatort des Heiligen an der türkischen Südküste, ist Sankt Nikolaus bis heute ein Segen: Viele Touristen an der türkischen Riviera machen einen Abstecher dorthin, um den Heiligen zu besuchen.

So war es zumindest bisher, doch in diesem Jahr ist der Tourismus in der Region zusammengebrochen. In der Provinz Antalya hat sich die Besucherzahl gegenüber dem Vorjahr halbiert. Die Terroranschläge der vergangenen Monate in Istanbul und Ankara haben Spuren hinterlassen, schließlich wurden dabei auch etliche Touristen getötet. Dazu kommen der Krieg im nahen Syrien und die bewaffneten Auseinandersetzungen im ebenfalls nicht weit entfernten Kurdengebiet der Türkei. Erst im vergangenen Monat gab es einen Raketenangriff auf Antalya, der der kurdischen Rebellenorganisation PKK zugeschrieben wurde.

Kirche und Synagoge freigelegt

Wie in der gesamten Urlaubsprovinz liegt daher auch in Demre die Tourismusbranche am Boden. Im Jachthafen von Demre schaukeln die Ausflugsboote fest vertäut am Kai, denn trotz Schleuderpreisen finden sich keine Gäste. „Wir könnten täglich 2500 Gäste ausfahren, doch es kommen höchstens 150 bis 200“, sagt ein Kapitän. „Damit können wir uns nicht über Wasser halten – wir gehen alle unter.“

Da nutzt es derzeit auch nichts, dass es in Demre eine neue Attraktion gibt, die eigentlich mehr Besucher verdient hätte. In Andriake, der antiken Hafenstadt von Myra, eröffnete in diesem Sommer ein ehrgeiziges Museum für lykische Kultur. Der Apostel Paulus stieg hier auf dem Weg nach Rom einst von einem Schiff ins andere um. Nun wurden erstmals die Hafenanlagen, Badehäuser, Synagogen und Kirchen aus jener Zeit freigelegt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2016)

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