Nachruf: Tod einer Raumfahrerlegende

Guenter Wendt coaxes a smile out of astronaut John Glenn after the MA-6 mission was scrubbed in Cape Canaveral
Guenter Wendt coaxes a smile out of astronaut John Glenn after the MA-6 mission was scrubbed in Cape Canaveral(c) REUTERS (NASA)
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John Herschel Glenn flog 1962 als dritter US-Astronaut ins All und war zugleich der erste Amerikaner, der die Erde dabei umrundete. Nun starb er 95-Jährig in Ohio.

Dass man auf diese großartige Schöpfung da draußen blickt und nicht an Gott glaubt, ist für mich unmöglich“, sagte John Herschel Glenn Jahrzehnte später. Tatsächlich hat der US-Amerikaner, ein Kampfpilot des Marine Corps im Zweiten Weltkrieg und Korea sowie Testpilot, allen Grund, an Gott zumindest höfliche Bitten zu richten, als er am 20. Februar 1962, da ist er 41, in einer telefonzellengroßen Mercury-Raumkapsel auf einer Atlas-Rakete von Cape Canaveral (Florida) aus ins All rasen soll.

Er ist erst der dritte Amerikaner, der das wagt, und soll der erste sein, der nicht nur kurz auf mehr als 100 Kilometer steigt, sondern die Erde umrundet, wie der Russe Juri Gagarin im April 1961. Aber zuerst verzögert sich Glenns Einstieg in die Kapsel um eineinhalb Stunden, da man ein defektes Teil der Rakete tauschen muss. Als er drin ist, zeigt sich, dass einer der 70 Bolzen, mit denen die Luke versperrt wird, kaputt ist. Man tauscht alle aus, aber dann wird ein Treibstoffventil undicht. Erst 3 3/4 Stunden nach dem Einstieg startet die Rakete. Glenn kreist in der Kapsel, die er Friendship 7 getauft hat, mit acht Kilometern pro Sekunde in 150 bis 250 km Höhe dreimal um die Erde, über den Atlantik, Nigeria, den Indischen Ozean, Australien, Nordamerika, knallt vier Stunden, 55 Minuten später nahe der Dominikanischen Republik sicher ins Meer, wird von einem Zerstörer geborgen – und zum amerikanischen Helden.

Nun ist er tot: John Glenn, einer der wichtigsten Raumfahrtpioniere und langjähriger Senator der Demokraten für seinen Heimatstaat Ohio, ist am Donnerstag mit 95 Jahren in Columbus, Ohio, verstorben. In den vergangenen Jahren hatte sich seine Gesundheit stark verschlechtert, 2014 hatte er eine Herzoperation, vor einer Woche war er in die Krebsstation einer Klinik gebracht worden. Seine letzte Ruhe wird er auf dem Heldenfriedhof der USA in Arlington finden. Er hinterlässt seine Frau, Annie (*1920), mit er seit 1943 verheiratet war, sowie zwei erwachsene Kinder.

Er inspirierte Generationen

Die Welt der Wissenschaft und Raumfahrt bis in höchste Politsphären hat sich mit ehrenden Worten eingestellt. US-Präsident Barack Obama sagte, mit Glenn hätten „die USA eine Ikone und Michelle und ich einen Freund verloren“. Er habe Generationen von Wissenschaftlern, Ingenieuren und Astronauten inspiriert. „Er war einer der mutigsten Männer, die ich je kennengelernt habe“, sagte Außenminister John Kerry. „Er ist eine echte amerikanische Legende“, ergänzte der künftige Präsident, Donald Trump.

Der Sohn eines Schaffners lernte Ingenieurwissenschaften am College, als die Japaner Ende 1941 Pearl Harbour angriffen. Glenn meldete sich beim Air Corps der Army, trat 1942 aber der Marineluftwaffe bei und wechselte bald zum Marine Corps. Ab 1954 war er Testpilot und meldete sich 1958 zur Nasa, wo er einer der „Mercury Seven“, der ersten sieben US-Astronauten, wurde. Er würde der letzte Überlebende der legendären Herrenrunde sein. Alan Shepard (1923–1998) und Virgil Grissom (1926–1967) flogen im Mai bzw. Juli 1961 ins All, aber für je nur eine Viertelstunde. Ein Start im Dezember ging sich für Glenn wegen allerhand Problemen nicht aus, also dauerte es bis Februar 1962, dass die USA zur (zweiten) Weltraummacht wurden. Sein Flug verlief unrund: So fiel zeitweise die Fluglageregelung aus und Glenn, der unter zu hohen Temperaturen litt, steuerte manuell; eine Lampe zeigte an, dass der Hitzeschild nicht mehr festsaß, die Kapsel würde bei der Landung wohl verglühen. Es war falscher Alarm. Dafür verletzte sich Glenn die Hand, als er zum Aussteigen auf den Zerstörer eine Luke aufsprengte. Seine ersten Worte an Deck waren: „It was hot in there!“

Glenn verließ 1964 die Nasa, dann 1965 die Marines als Oberst. Eine Karriere als Demokratischer Senator scheiterte zunächst an einer Gehirnerschütterung infolge eines Unfalls, Glenn ging in die Wirtschaft, etwa als Manager einer Getränkefirma, und wurde 1974 Senator. Er blieb es bis 1999 und wurde, als er 1998 mit 77 Jahren in einem Space Shuttle flog, zum ältesten Raumfahrer.

Irdische Erinnerungen

Auf der Erde wird an den Mann, der mit Ehrungen und Medaillen überhäuft wurde, auch abseits von Raumfahrtbüchern und -Filmen vieles erinnern: So tragen schon jetzt Schulen, Forschungsinstitute und Straßen in den USA seinen Namen. 2014 benannte man ein Landungsschiff der Navy nach ihm und erst im Juni den Flughafen von Columbus, Ohio.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2016)

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