„Wunde für Zivilisation“: Griechenlands bittere Asylpraxis

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Griechenland ist zur Falle für illegale Einwanderer geworden. In den Auffanglagern herrschen nach Ansicht vieler Kritiker üble Zustände. Die Behördenpraxis macht es fast unmöglich, Asylanträge zu stellen.

Mytilini. Die US-Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ nimmt Griechenland, die Wiege der Demokratie, aufs Korn: Der Umgang mit illegalen Migranten dort sei so schändlich wie sonst nirgends in Europa, zehntausende würden unter unzumutbaren Bedingungen in Lagern gehalten, um dann doch, in der Regel illegal und heimlich, in die Türkei abgeschoben zu werden.

Tatsächlich hat auch der Europarat in Straßburg die Asylpraxis Griechenlands mehrfach gerügt; das deutsche Bundesverfassungsgericht stoppte jüngst die Rückführung eines Irakers nach Griechenland, da es dort keinen Zugang zu fairen Asylverfahren gebe. Auch in Griechenland regt sich Widerstand: Auf Inseln, wo Migranten stranden und in Lager kommen, protestieren Bürger gegen die von der unlängst abgewählten konservativen Regierung verschärfte Asylpolitik und gegen die elenden Lebensbedingungen der Illegalen, von denen im Vorjahr fast 150.000 aufgegriffen worden sind.

Athens Zentrum verkommt

Die meisten versuchen, sich in Athen mit Straßenverkauf, Drogenhandel und Prostitution durchzuschlagen. Das Stadtzentrum ist für Griechen längst „No-go-Area“. Täglich kommen neue „No Papiers“ von den Inseln, nur mit einem Schreiben in der Tasche, wonach sie das Land binnen 30 Tagen verlassen müssten; das einzige Papier, das sie nach der Entlassung aus einem der gefängnisartigen Auffanglager bekommen.

Etwa jenem auf Lesbos. „Dieses Lager ist eine Wunde für unsere Zivilisation“, brüllt Stratis Potas von der Bürgerinitiative „Koexistenz“ vor dem Stacheldrahtzaun. Hinter ihm skandieren Inhaftierte: „We want freedom.“ Die meisten sind Afghanen, jung, oft minderjährig. Sie hängen dichtgedrängt aus den vergitterten Fenstern des Aufnahmezentrums nahe der Inselhauptstadt Mytilini. Hier ist offiziell Platz für 250 Menschen, im August vegetierten zeitweise 800 in dem containerartigen Bau mit nur einem Raum und ohne ausreichende sanitäre Anlagen.

„Noch nie war es so schlimm“

Potas setzt sich seit Jahren für die Migranten ein, die fast täglich in morschen Booten aus der Türkei kommen. „Noch nie waren die Zustände so schlimm“, sagt er, „in Athen mag es besser geworden sein, aber für die Inseln waren die neuen Maßnahmen unüberlegt und vorschnell.“

Nachdem die extreme Rechte bei der Europawahl im Juni nämlich mit Null-Toleranz-Parolen gegenüber Illegalen stark zugelegt hatte, „entdeckte“ die Exregierung von Kostas Karamanlis das Problem für sich und erließ Maßnahmen. So können Neuankömmlinge statt bisher maximal drei Monate nun sechs Monate im Camp festgehalten werden. Nicht mehr zentral in Athen, sondern auf der Polizeistation des Ankunftsorts muss Asyl beantragt werden, was aber fast unmöglich ist, da es dort an Übersetzern und kundigen Beamten mangelt.

Die Anerkennungsquote bei Asylanträgen lag 2008 nur bei 0,05 Prozent. Es gibt nun auch keine Berufungsmöglichkeit mehr, sodass faktisch keine Chance auf Asyl besteht. Zwar wollen sowieso fast alle Migranten weiter nach Nord- und Mitteleuropa – doch aufgrund des „DublinII“-Abkommens werden Migranten ohne Papiere in das Land zurückgeschickt, in dem sie erstmals EU-Boden betraten, und sie können nur dort um Asyl ansuchen. Damit sitzt ein wachsendes Heer Illegaler in der griechischen Falle.

Behörden völlig überfordert

Den Behörden wächst die Lage über den Kopf. Stavros Psarropoulos von der Präfektur Lesbos hat weder Geld noch Personal, ihr Herr zu werden. „Die Bürger helfen uns mit Essen und Kleidung, aber die Stimmung könnte umschlagen, wenn die Illegalen definitiv nicht mehr ins Lager passen und in der Stadt sichtbar werden.“ Er beantragte in Athen, ein altes Hotel zu einem zweiten Lager umbauen zu können. Frauen und Kinder sollen dort menschenwürdiger wohnen. In den letzten Jahren stieg die Zahl unbegleiteter Minderjähriger stark. Im Sommer 2008 traten Jugendliche im Lager Lesbos in Hungerstreik und erzwangen ein Heim, in dem sie rudimentäre Bildung, ärztliche Versorgung und vor allem Auslauf bekommen.

Mit immer neuen Lagern – die Regierung will drei weitere für 2500 Menschen bauen – lässt sich das Problem aber kaum lösen. „Man kann doch die südlichen Eingangsländer nicht mit dem Problem allein lassen“, beschwert sich Psarropoulos über die „DublinII“-Regel. Er wünscht sich mehr Solidarität unter Europäern, einen Verteilerschlüssel für die Aufnahme von Flüchtlingen. Und EU-Druck auf die Türkei, damit die ihre Küste besser sichert und sich an den Vertrag hält, wonach sie Migranten zurücknehmen muss, die von ihr aus nach Griechenland kamen. Also so gut wie alle.

Die Griechen aber schieben offenbar auch ab, ohne auf die Türken zu warten: Laut „Human Rights Watch“ werden immer wieder Flüchtlinge von griechischen Beamten bei Nacht heimlich über den Grenzfluss Evros in die Türkei zurückgejagt.

Heimliche Rückschiebung in die Türkei

Natassa Stachini, Anwältin auf Chios, recherchierte, was mit Illegalen geschah, die man auf Fähren angeblich nach Thessaloniki brachte; dort aber ist gar kein Lager. „Wir wissen, dass man sie illegal über die türkische Grenze schickt“, sagte Stachini zu einem Beamten. Der meinte: „Es soll ihnen doch nur besser gehen. Jeder weiß doch, wie es hier im Lager aussieht. Es sind zu viele.“

AUF EINEN BLICK

Immer mehr Flüchtlinge wollen über die Türkei und Griechenland nach Nord- und Mitteleuropa. 2008 wurden 146.000 aufgegriffen, 2002 noch 58.000. In den griechischen Auffanglagern herrschen nach Ansicht vieler Kritiker üble Zustände, die Behördenpraxis macht es den Migranten fast unmöglich, Asylanträge zu stellen. Immer wieder werden Illegale von griechischen Polizisten zurück in die Türkei geschleust.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2009)

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