Missbrauch: Neue Mitwisser-Vorwürfe an den Papst

(c) AP (Andrew Medichini)
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Der Vatikan und die Münchener Diözese weisen neueste Beschuldigungen zurück. Laut jüngsten Vorwürfen soll Ratzinger schon 1996 auf konkrete Hinweise nicht reagiert haben.

Wien/London/Rom (ag./som). Eine neue Anschuldigung haben die „New York Times“ am Donnerstag gegen Papst Benedikt XVI. gerichtet: Josef Ratzinger, damals Bischof von München, soll Anfang der 80er Jahre per Aktennotiz über die Wiedereinsetzung eines pädophilen Priesters in der Seelsorge informiert worden sein. Aus dieser Notiz gehe auch hervor, dass Ratzinger am 15. Jänner 1980 eine interne Besprechung geleitet habe, bei der über die Versetzung dieses Priesters gesprochen worden sei.

Bisher hatte es geheißen, der Erzbischof habe lediglich genehmigt, dass der Priester in einem Gebäude der Diözese wohnen dürfe. Die Wiedereinsetzung in die Seelsorge sei ohne Wissen des Papstes durch den Generalvikar erfolgt. So sieht es das Erzbistum München auch weiterhin. Der Zeitungsbericht enthalte keine darüber hinausgehenden Informationen, heißt es in einer Erklärung.

„Auch dem Bericht der „New York Times“ vom Mittwoch wurde von Seiten des Vatikans widersprochen. Die Zeitung hatte über den Fall des Priesters Lawrence Murphy geschrieben, der von den 50er bis zu den 70er Jahren in einer Gehörlosenschule im US-Bundesstaat Wisconsin bis zu 200 Buben missbraucht haben soll. Joseph Ratzinger, damals Präfekt der Kongregation für Glaubenslehre, soll 1996 auf zwei Briefe des damaligen Erzbischofs von Milwaukee, der ihm die Vorfälle schilderte, nicht geantwortet haben.

Laut Angaben des Vatikan sei in diesem Fall, der in den 70er Jahren ergebnislos von einem weltlichen Gericht behandelt wurde, acht Monate nach Erhalt des Briefes ein kirchliches Verfahren eingeleitet worden. Das sei aber kurze Zeit später eingestellt worden, da der Beschuldigte bereut habe, außerdem im Sterben lag und die Delikte nach dem Kirchenrecht verjährt war. Der Papst sei kein „untätiger Beobachter“ gewesen, schrieb dazu der Erzbischof von Westminster, Vincent Nichols, in der gestrigen „Times“. Französische Bischöfe sprechen von „Verleumdungen“ und einer „Kampagne“ gegen die Person des Papstes.

Fälle auch in Italien

Indes wird auch in der italienischen Kirche eine Reihe von Missbrauchsfällen bekannt – auch hier in einer Taubstummenschule. Von den Absolventen der Schule in Verona gingen nun 67 an die Öffentlichkeit und warfen ihren einstigen Betreuern sexuellen Missbrauch und körperliche Misshandlung vor. 14 von ihnen schilderten detailliert und unter Eid, was ihnen widerfahren sei und nannten dabei 24 Geistliche und Laien im Dienst der Kirche.

In den vergangenen neun Jahren seien weltweit 300 konkrete Missbrauchsfälle entdeckt worden, für die Priester verantwortlich gemacht würden, berichtete Bischof Charles Scicluna, Ankläger des Vatikans in der Glaubenskongregation. Seitdem Johannes Paul II. im Jahre 2001 der Glaubenskongregation die Zuständigkeit für Missbrauchsfälle an Minderjährigen anvertraut hat, wurden 3000 Fälle überprüft, die sich auf die letzten 50 Jahre beziehen.

Schläge im Knabeninternat

Neue mutmaßliche Misshandlungsfälle gibt es indes auch in Deutschland: Im Windsbacher Knabeninternat in Bayern, einer Schule der Evangelischen Kirche, soll es in den 1950er- und 1960er-Jahren zu Misshandlungen und sexuellem Missbrauch gekommen sein; vereinzelte Übergriffe fanden noch 2000 bzw. 2001 statt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2010)

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