Brutale Sexspiele an der Odenwaldschule

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Bis 1999 wurden Kinder in der hessischen Eliteschule gedemütigt. Der Schulleitung liegen Berichte von ehemaligen Schülern vor, in denen von grausamen Ritualen die Rede ist.

Frankfurt/Wien (ag.). Der Missbrauchsskandal rund um die renommierte deutsche Odenwaldschule in Hessen weitet sich aus: Noch bis weit in die 90er-Jahre sollen in der nicht kirchlichen Einrichtung Kinder von Lehrern und von Mitschülern unter Duldung ihrer Lehrer sexuell missbraucht und gequält worden sein.

Der Schulleitung liegen Berichte von ehemaligen Schülern vor, in denen von grausamen Ritualen die Rede ist. So sollen Schüler ihre Mitschüler unter Billigung der Lehrer die Genitalien verbrüht und versengt haben. Kinder hätten ihre Kameraden als „Sandsack“ missbraucht und vor anderen erniedrigt. „Das sprengt unsere Vorstellungskraft“, sagte Rektorin Margarita Kaufmann der „Frankfurter Rundschau“, die über die jüngsten Vorfälle berichtet.

Die Rektorin sagte, dass sich nach Ostern weitere Opfer gemeldet hätten. Ein Altschüler berichtete von einem Vorfall, in dem ein gefesselter Schüler von einem Kameraden sexuell misshandelt worden sei, ein Lehrer schaute untätig zu. Derselbe Lehrer ist einer von acht beschuldigten Pädagogen, gegen welche die Staatsanwaltschaft Darmstadt derzeit wegen des Missbrauchs von Burschen und Mädchen ermittelt. Er unterrichtete bis 1999 an der Odenwaldschule – im selben Jahr sollen auch die jüngsten Missbrauchsvorfälle in der Schule passiert sein.

Vor etwa vier Wochen waren erstmals Fälle von sexuellen Übergriffen an der Privatschule, die zu den bekanntesten Einrichtungen der Reformpädagogik in Deutschland zählt und in Kürze ihr 100-jähriges Bestehen feiert, bekannt geworden. Da war aber noch die Rede davon, dass alle Fälle vor Jahrzehnten passierten.

Die Zahl der Missbrauchsopfer liegt nach einer vorläufigen Zählung der Schulleitung bei 40. Vier ehemalige Schüler haben nach ihrer Zeit in Odenwald Selbstmord verübt. Von allen vier berichteten Ex-Schulkameraden, dass sie ebenfalls missbraucht worden seien. Die Schulleiterin sagte dazu: „Ich frage mich, wie das passiert sein kann, ohne dass Lehrer die schrecklichen Schmerzensschreie gehört haben.“

Mittlerweile ist auch eine Diskussion darüber entbrannt, ob das hessische Kultusministerium schon früher über den Missbrauch an der Unesco-Modellschule wusste, als bisher bekannt war. Laut „Frankfurter Rundschau“ habe der damalige Minister bereits im August 1998 von den Vorwürfen gegen den ehemaligen Rektor Gerold Becker erfahren, der heute als Haupttäter verdächtigt wird.

Norwegen: Bischof trat zurück

In Deutschland gerät auch zunehmend die evangelische Kirche in die Kritik: Der frühere Leiter eines evangelischen Jugendheims in Nürnberg soll in den 1970er-Jahren mehrfach ein dort untergebrachtes Mädchen sexuell missbraucht haben. Der inzwischen pensionierte Pädagoge bestreitet die Vorwürfe.

Auch in Norwegen ist nun in der katholischen Kirche ein Missbrauchsfall bekannt geworden: Der frühere Prälat von Trondheim, Bischof Georg Müller, ist im Sommer 2009 zurückgetreten, nachdem er den Missbrauch an einem minderjährigen Ministranten kirchenintern zugegeben hatte. Der Vorfall ereignete sich vor 20 Jahren, als der gebürtige Deutsche noch einfacher Priester war. Heute ist der Fall ist verjährt. Nach seinem Rücktritt begab sich Müller in Therapie, seelsorgerisch war er nicht mehr tätig. Der Vatikan bestätigte, im Jänner 2009 davon unterrichtet worden zu sein.

AUF EINEN BLICK

An der Odenwaldschule bei Heppenheim im Süden Hessens, eine der renommiertesten Privatschulen Deutschlands, sind bisher 40 Missbrauchsfälle bekannt geworden, die sich bis in die späten 90er-Jahre ereigneten. Gegen acht ehemalige Lehrer wird derzeit von der Staatsanwaltschaft Darmstadt ermittelt. Es sollen aber auch Mitschüler ihre Kameraden gequält haben, wobei Lehrer tatenlos zusahen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2010)

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