„Mafia breitet sich rasch in Europa aus“

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bdquoMafia breitet sich rasch(c) AP (Srdjan Ilic)
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Der sizilianische EU-Abgeordnete Rosario Crocetta schlägt Alarm: Die Mafia ist im grenzenlosen Europa so stark wie nie zuvor. Und die EU unternehme bisher nichts dagegen.

WIEN/BRÜSSEL. Das etwas derb-vulgäre Latino-Gehabe à la Al-Pacino-Pate ist passé. Der Mafioso des 21.Jahrhunderts „ist elegant“ – geschmackvoll und teuer gekleidet, meist in Anzügen italienischer Designer. Er reist viel, spricht mehrere Sprachen, hat mindestens einen Studienabschluss, oft einen Master. Und natürlich ist er ein erfolgreicher Geschäftsmann“, beschreibt ihn Rosario Crocetta. Der EU-Abgeordnete muss es wissen: Schließlich hat der sizilianische Politiker sein Leben dem Kampf gegen die Cosa Nostra gewidmet.

Einen Namen gemacht hat sich Crocetta als Bürgermeister des Städtchens Gela. Dort setzte der frühere Kommunist das für Sizilien Undenkbare durch: Er gründete einen Verein gegen Schutzgelderpressung, erließ strenge Anti-Mafia-Gesetze. Und hatte Erfolg. Unternehmer zeigten ihre Erpresser an, hochrangige Mafiosi landeten im Gefängnis. Seitdem schwebt Crocetta in Lebensgefahr. Zuletzt hat die Mafia im Jänner dieses Jahres versucht, ihn umzubringen. Das Attentat wurde in der letzten Minute vereitelt. Keinen Schritt kann der Politiker ohne seine Leibwächter tun, auch nicht in Brüssel.

„Sie ist stärker als je zuvor“

Einfach ist es aber nicht, den EU-Abgeordneten kleinzukriegen. Im Gegenteil. Crocetta will seinen Kampf auf Europa ausweiten. Denn die Mafia sei längst kein lokales Phänomen mehr: „Sie agiert global. Sie verfügt über ein internationales Netz, kennt keine nationalen Grenzen mehr. Und ist dadurch stärker als je zuvor.“ Ein Beispiel für das „europäische“ Vorgehen der Mafia: Italienische Mafiosi verdienen durch „klassische“ kriminelle Aktivitäten wie Drogenhandel, Bestechung, Schmuggel oder Wucherei enorme Beträge. Angelegt wird das Geld in einer österreichischen Bank, später fließt es in ein „sauberes“ spanisches Unternehmen. Oft investieren Mafiosi in defizitäre Firmen, „Verluste sind ja keine Gefahr. Das Geld wird gewaschen, der Gewinn ist garantiert“, sagt Crocetta.

Wie präsent die Mafia in der EU ist, habe der sechsfache Mord in der Pizzeria im deutschen Duisburg im Sommer 2007 bewiesen. „Da sind vielen die Augen aufgegangen. Dabei war die italienische Mafia schon lange in Deutschland aktiv. Das hat wohl niemand bemerkt“, konstatiert der Abgeordnete bitter. „Nach dem Mauerfall hat die italienische Mafia gut die Hälfte der Immobilienfirmen Ostberlins aufgekauft. Quasi über Nacht.“

Alarmierend für Crocetta ist, wie rasch sich die Mafia ausbreite, und dass diese „nun auch in Ländern ein Phänomen ist, die diese Art des organisierten Verbrechens nicht kannten“. Eine Studie der EU-Kommission habe gezeigt, dass es inzwischen keinen einzigen EU-Staat mehr gibt, in dem kein Schutzgeld bezahlt werde. Bei mehreren EU-Mitgliedern reiche die Verfilzung bis tief in die staatlichen Behörden: Da seien Gelder für öffentliche Aufträge ein lukratives Mafia-Business. Die Cosa Nostra mache aber auch vor EU-Fördermittel nicht halt und versuche, selbst hier einen Teil abzuzweigen.

Es fehlt eine einheitliche Gesetzgebung

Für die Mafia sei es einfach, sich in Europa zu vernetzen. Denn eine einheitliche Anti-Mafia-Gesetzgebung existiere in der Union nicht: kein EU-weites Kronzeugenschutzprogramm, keine legalen Möglichkeiten, Mafia-Geldtransfers innerhalb der EU zu verhindern. Kaum ein EU-Land schreibe Kontrollen vor, um öffentliche Aufträge an mafianahe Firmen zu verhindern. Nur in Italien werden Unternehmen, die sich mit Mafiageldern finanzieren, strafrechtlich verfolgt. „Wir sprechen immer von Bodyscannern, was wir aber wirklich brauchen, ist ein Moneyscanner!“, ärgert sich der Parlamentarier. Die Geldflüsse müssten durchleuchtet werden. „Europa unterschätzt die Mafia. Deshalb prosperiert sie. Ist es bloß Ignoranz, oder wird die Mafia sogar geduldet?“

Crocetta will das ändern, aus diesem Grund ist er in Brüssel. Seit Monaten pocht er im Europaparlament auf einen Untersuchungsausschuss zur Mafia in Europa. „Parlamentspräsident Jerzy Buzek hat zugesagt“, freut er sich. Grünes Licht müssen noch die Fraktionschefs geben.

Es ist ein hoher Preis, den der Politiker für sein Engagement zahlen muss. „Das ist mein Leben. Ich wollte das so“, sagt er im Gespräch mit der „Presse“. Ob er nicht manchmal Angst habe? „Die Mafiosi leben von unseren Ängsten“, antwortet er trocken. Diese Genugtuung will Crocetta ihnen nicht geben.

ZUR PERSON

Rosario Crocetta.
Der 59-jährige Sizilianer ist seit 2009 Abgeordneter des EU-Parlaments. Zuvor war der bekennende Homosexuelle Bürgermeister der sizilianischen Küstenstadt Gela. Hier gründete er einen Verein gegen Schutzgelderpressung und ließ hochrangige Mafiosi verhaften. Bereits vier Mal wurde ein Mafiaattentat gegen ihn vereitelt. Bis Jänner konnte er an Parlamentssitzungen in Brüssel nicht teilnehmen, weil ihm dort zum Unterschied von Straßburg ein Personenschutz verweigert wurde. Der Ex-Kommunist und nun Mitglied der italienischen Linksdemokraten (PD) fordert eine EU-weite Anti-Mafia-Gesetzgebung. [F. Caglione/C. Di Gesaro]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2010)

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