Luftverkehr: Nichts geht mehr am Himmel

Luftverkehr Nichts geht mehr
Luftverkehr Nichts geht mehr(c) APA (HELMUT FOHRINGER)
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Wegen der Aschewolke sitzen Millionen Fluggäste auf der ganzen Welt fest.

Ich wollte am Freitag nach Prag fliegen, um das Mädchen, das ich liebe, überraschend zu besuchen“, schrieb Jack aus London in einem „Aschewolken-Blog“ auf der Homepage der BBC. „Viele Dinge haben das bisher verhindert, etwa meine Schüchternheit oder Zeitmangel. Dass mir jetzt noch ein Vulkanausbruch dazwischenkommt, schlägt aber alles!“
Tatsächlich kommen die Aschewolken, die der Eyjafjalla auf Island seit Mittwoch ausstößt und die der Wind nach Europa getragen hat, für hunderttausende, ja Millionen Menschen in aller Welt zur falschen Zeit: Sie bewirkten nämlich, dass Donnerstag und Freitag der Flugverkehr in einem bisher ungekannten Ausmaß zum Stillstand gebracht wurde.

Ryanair streicht bis Montag


Am Freitag war der Luftraum über Dänemark, den Benelux-Staaten, Finnland, Tschechien, Polen, der Slowakei, der Schweiz und dem Baltikum völlig gesperrt. Über Großbritannien, Norwegen, Schweden und Frankreich gab es Sperren unterschiedlicher Größe. In Deutschland schloss am Abend mit München der letzte noch offene der 16 internationalen Flughäfen. Die italienischen Behörden erwogen, am Samstag den Flughafen Mailand zu sperren. Irland hob dafür gestern die Totalsperre vom Donnerstag weitgehend auf – während die irische Billig-Airline Ryanair ankündigte, sämtliche Flüge im nordeuropäischen Raum gleich bis Montag zu streichen.
Insgesamt fielen am Freitag laut der europäischen Flugsicherheitsbehörde Eurocontrol etwa 60 Prozent der Flüge mit Europabezug aus. Statt rund 28.000 Maschinen pro Tag über Europa seien nur 11.000 geflogen. Allein von 300 Jets, die sonst am Morgen vom Atlantik her Europa erreichen, seien nur etwa 120 gekommen.
Im Raum Amsterdam rieben sich die Hoteliers die Hände: In einem Umkreis von 50 km um die Stadt mit dem viertgrößten Flughafen Europas waren alle Hotels ausgebucht, etwa 2000 Menschen schliefen in der Nacht auf Freitag am Flughafen. 2500 Feldbetten waren aufgestellt, für Gestrandete gab es ein kostenloses Frühstück.

Vom Regen in die (Bahn-)Traufe


In Nordfrankreich waren 24 Flugplätze zu, darunter die Pariser Airports Orly und Charles de Gaulle, wo viele Menschen übernachteten. Andere wichen auf die Bahn aus, im Gare du Nord mit seinem Eurostar-Terminal für Züge nach London und Brüssel gab es 10.000 zusätzliche Reservierungsanfragen. Einige Umsteiger gerieten aber vom Regen in die Traufe, denn seit Tagen sorgt ein Bummelstreik der Gewerkschaften für Behinderungen im Zugsverkehr.
In Deutschland betraf die Aschewolke die Regierungschefin persönlich: Kanzlerin Angela Merkel konnte aus den USA kommend nicht in Berlin landen und wurde nach Lissabon umgeleitet. Die Deutsche Bahn wurde gestürmt. Die Nachfrage nach Mietautos stieg drastisch, Reisende gründeten Fahrgemeinschaften – sogar für längere Fahrten ins Ausland. Folge: Den meisten Mietwagenfirmen gingen die Autos aus.

Schatten über Staatsbegräbnis


Vor einem speziellen Problem steht Polen: Am Sonntag werden Präsident Lech Kaczyński und seine Frau Maria, die jüngst bei einem Flugzeugabsturz starben, in Krakau beigesetzt. Dazu werden 80 Staats- und Regierungschefs erwartet, darunter US-Präsident Barack Obama. Nun ist unklar, wie viele wegen der Sperre des Luftraums tatsächlich kommen. Jacek Sasin, Sprecher des Präsidentenpalastes, versicherte, dass das Begräbnis nicht verschoben werde.
In Großbritannien, wo das Flugverbot frühestens heute, Samstag, enden soll, waren Überlandbusse, Züge und Fähren überfüllt, ebenso der Eurostar nach Brüssel und Paris. Ohne Reservierung solle man erst gar nicht mehr zu Bahnhöfen kommen, hieß es.

Kein Zimmer mehr in Singapur


Viele asiatische Fluglinien sowie die australische Quantas sagten Europaflüge ab. Reisende müssten sich auf Verspätungen bis zu einer Woche gefasst machen, hieß es. Tausende Passagiere strandeten in Zwischenstopp-Städten wie Hong Kong und Bangkok, in Singapur gab es kein freies Hotelzimmer. Im US-Luftverkehr indes blieb das Chaos wegen der Sperre der Transatlantikroute interessanterweise weitgehend aus, obwohl in Flughäfen mehrere tausend Menschen strandeten. Am Freitag sagten US-Fluglinien rund 100 Flüge ab, mehrere Maschinen mussten umdrehen.

Wolke über Österreich


Österreich wurde Freitagabend von der Wolke erfasst: Laut Meteorologen kam sie in einer Höhe von 3000 bis 5000 Metern herein und sollte bis Sonntag großteils weg sein. Bis zum Abend wurden alle Flughäfen gesperrt, zuletzt Graz und Klagenfurt. Täglich fliegen circa 4000 Flugzeuge über Österreich, in Schwechat gibt es gut 1000 Starts.
Die Dauer der Sperre ist ungewiss. Zahlreiche Fluggäste wichen auf Züge aus, vor allem der Wiener Westbahnhof wurde gestürmt. Die ÖBB verstärkten das Personal und setzten zusätzlich Züge ein.
Übrigens: Etwas Romantisches hat die Aschewolke doch. Weil sich in ihr das Sonnenlicht besonders bricht, gibt es wunderbar sattrote Sonnenuntergänge. Außerdem ist Asche ein guter Dünger.s

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2010)

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