Westergaard: "Die längsten Minuten meines Lebens"

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Der Mann, der den Zeichner der "Mohammed"-Cartoons, Kurt Westergaard, mit einer Axt angriff, steht wegen Mordversuchs und Terrorismus in Aarhus vor Gericht. Er habe ihn nur erschrecken wollen, sagt der Somali.

Als die „längsten Minuten meines Lebens“ beschreibt Kurt Westergaard die Zeitspanne, als ein rasender Eindringling am 1. Jänner 2010 mit der Axt auf die Tür seines Badezimmers einschlug und „Rache“ brüllte. Und „Wir kriegen dich schon“ und „Fahr zur Hölle!“.

„Ich dachte: ,Wird die Tür halten?‘“, sagt der 75-jährige Däne, „und ich dachte: ,Was ist mit Stephanie?‘“ Im Wohnzimmer seines Hauses in Aarhus, allein mit dem Bewaffneten, saß nämlich das fünfjährige Kind seiner aus Albanien stammenden Ziehtochter. Etwa vier Minuten dauerte der Albtraum, dann gab der Angreifer sein Vorhaben auf und flüchtete. An den Sirenen nahender Polizeiautos konnte der Bedrohte hören, dass Hilfe eingetroffen war.

Seit Mittwoch steht der Mann mit der Axt in Aarhus vor Gericht. Der 29-Jährige stammt aus Somalia, die Justiz gibt seinen Namen nur mit „MMG“ an, was seinen Initialen entspricht. Vorgeworfen wird ihm nicht nur Mordversuch, sondern auch Terrorismus – denn sein Opfer war mit Kurt Westergaard nicht ein x-beliebiger älterer Mann, sondern der Zeichner der berühmt-berüchtigten Mohammed-Karikaturen, die ihn zum Hassobjekt von Islamisten machten.

Unruhen wegen Comics

Im Zentrum der Comics stand der Prophet Mohammed, unter anderem wurde er mit Bombe im Turban abgebildet. Die dänische Zeitung „Jyllands Posten“ hatte sie im Herbst 2005 gedruckt, doch zum Sturm wurde die Sache erst, als sie wenig später auch andere Zeitungen nachdruckten: In vielen islamischen Ländern entlud sich bis Anfang 2006 der Volkszorn, bei Unruhen starben über 50 Menschen, in den diplomatischen Beziehungen zwischen Dänemark und den betreffenden Ländern knirschte es heftig.

Westergaard erhielt seither Morddrohungen und stand zeitweise unter Polizeischutz. Jedenfalls war der Angriff auf ihn auch ein Angriff auf die dänische Gesellschaft, meint der Staatsanwalt und zog den Terrorismusparagrafen, dessen Strafrahmen maximal lebenslang vorsieht, aus der Tasche. Der Somali aber plädierte, vertreten durch Anwalt Niels Strauss, zu Prozessbeginn auf „nicht schuldig“. Er habe Westergaard aus Zorn über die Schmähungen des Islam nur erschrecken wollen, sagte „MMG“ auf Dänisch vor Gericht.

Für den dänischen Geheimdienst „PET“ war MMG aber kein unbeschriebenes Blatt: Er hatte als Bub miterlebt, wie sein Vater im somalischen Bürgerkrieg ermordet wurde, wie seine Mutter und Geschwister flohen und ihn zurückließen in Mogadischu. 1996 wurde er in Dänemark mit seiner Familie vereint und lebte dort scheinbar harmonisch mit Frau und drei Kindern, Ausbildung und Job.

Hinwendung zum Radikalismus

Doch er änderte sich, sagen Bekannte, wurde religiöser, rabiater. Ging in eine Moschee, deren Imam für radikale Lehren berüchtigt war, fuhr nach Somalia und kam verletzt zurück, vermutlich nach Kämpfen der islamischen „al-Shabaab“-Miliz mit Regierungstruppen. 2009 wurde MMG in Nairobi mit anderen Kämpfern wegen angeblicher Attentatspläne auf US-Außenministerin Clinton verhaftet und nach Dänemark ausgewiesen. Es heißt, er sei in der Hierarchie der mit „al-Qaida“ verbündeten Bande hochgeklettert, wegen seiner Festnahme, die das Attentat vereitelte, aber in Ungnade gefallen.

Also habe er, so die Theorie der Staatsanwaltschaft, mit einem Angriff auf „Mohammed-Schänder“ Westergaard einen spektakulären Schlussstrich unter sein Leben ziehen wollen. Denn als er zu Neujahr 2010 den Zug nach Aarhus nahm, löste er ein Einzelticket, und aus seinen E-Mails will die Polizei ablesen können, dass er den Zeichner töten und dann im Kugelhagel der Polizei als Märtyrer sterben wollte.

Tags davor hatte er in einem Baumarkt Äxte geprüft und dann eine gekauft, die ihm gut in der Hand lag. Das zeigen Überwachungsbilder. Vom Bahnhof in Aarhus ließ er sich per Taxi in Westergaards Straße fahren, ging zu Fuß zum Haus, wartete kurz, drang in den Garten vor, zerschlug ein Fenster und stieg ein. Auch das filmten Überwachungskameras.

Seither ist das Gebäude wieder ständig bewacht, Leibwächter folgen Westergaard, denn der Axtüberfall war zwar die konkreteste, aber längst nicht einzige Bedrohung des Zeichners. Doch bis dato war die Polizei in seiner Gegend nur ab und zu patrouilliert, und die Bilder der Kameras wurden nicht ständig in Echtzeit verfolgt.

Dem Kind geschah nichts

In der Stube saß jedenfalls Westergaard mit der Fünfjährigen, ihre Eltern waren im Kino. Sie hatte einen Gips, der Wahl-Opa las ihr vor. Dann musste er aufs Klo. Auf dem Rückweg hörte er das Klirren, dachte „Es ist soweit“ und machte kehrt, wie ihm der Geheimdienst befohlen hatte. „Terroristen sind nur auf dich aus, du musst dich schützen, andere sind nicht in Gefahr“, hatte man ihm eingetrichtert. So schloss er sich in dem zum „Panic Room“ umgebauten Bad ein, drückte den Notalarm und dachte: „Wenn PET nur Recht hat, wenn nur Stephanie nichts passiert!“ Der Geheimdienst behielt recht: „Du musst keine Angst haben“, rief der Axtmann der Kleinen zu, ehe er floh.

Draußen waren schon zwei Polizeiwagen. MMG attackierte einen mit der Axt, dann warf er sie gegen einen Polizisten und versuchte, einen anderen mit einem Messer anzugreifen (das brachte ihm eine zweite Anklage wegen Mordversuchs ein). Dieser schoss zweimal und traf MMG in Arm und Knie. Er stürzte, wurde überwältigt. „Idiot“, beschimpfte er den Schützen, „kannst du nicht zielen!“

Von wegen Paradies

So wartet nun statt Märtyrer-Glorie eine lange Haft auf den 29-Jährigen. Westergaard ist Hauptzeuge, auf die Vernehmung des Mädchens wird verzichtet. Psychologen sagen, sie habe keinen Schaden erlitten. „Sie hat die Episode nur einmal erwähnt“, sagt der Zeichner, „da redete sie von einem Dieb.“

Das Urteil wird für Anfang Februar erwartet.

Hintergrund

Im September 2005 publizierte die im Ausland weitgehend unbekannte dänische Regionalzeitung „Jyllands Posten“ eine Serie von Karikaturen des in Aarhus lebenden dänischen Zeichners Kurt Westergaard, die den Islam, vor allem den Propheten Mohammed, aufs Korn nahmen. Unter anderem wurde Mohammed mit einer Bombe im Turban dargestellt.
Botschafter islamischer Staatenprotestierten bei der Regierung, die aber Konsequenzen ablehnte. Als auch andere Blätter die Comics druckten, brach in der islamischen Welt und unter Moslems in Europa ein bis Frühjahr 2006 dauernder Proteststurm los, der sich vielerorts in Gewalt entlud, mehr als 50 Menschen starben. Dänemarks Wirtschaft wurde durch Boykotts geschädigt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2011)

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