Nach Tsunami in Japan: Mehr als 1800 Tote befürchtet

Heftiges Beben Japan ZehnMeterTsunami
Heftiges Beben Japan ZehnMeterTsunami(c) AP
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Beben der Stärke 8,9 erschüttert Japan. Schon 613 Leichen wurden gefunden. Die Radioaktivität im AKW Fukushima ist tausendfach erhöht. Tokio ist lahmgelegt. Tsunami-Warnungen für den Pazifik aufgehoben.

Gebäude fallen wie Kartenhäuser zusammen, eine gigantische Flutwelle reißt Autos, Häuser und Menschen mit, Fabriken explodieren: Das schlimmste Erdbeben in Japan und ein Tsunami haben dem Land Tod und Zerstörung gebracht. Bei dem Beben der Stärke 8,9 gab es am Freitag auch Störfälle in Reaktoren. Die Regierung rief Atomalarm aus. Wer die Katastrophe in Nordost-Japan überlebte, stand fassungslos im Freien und schwenkte weiße Tücher, um Hilfe zu rufen.

Im ganzen Pazifik wurden Tsunamiwarnungen ausgelöst, die am Abend jedoch wieder aufgehoben wurden. Nachbeben halten Japaner aber dennoch in Atem: In der Provinz Nagano erschütterte ein Erdstoß der Stärke 6,6  in den frühen Morgenstunden (Ortszeit) die Erde.

Hunderte Leichen angeschwemmt

Offiziell geht die Regierung von rund 1800 Toten aus. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO wurden bisher 621 Leichen geborgen, 645 Menschen gelten als vermisst. Etwa 210.000 Menschen verloren ihr Zuhause. Allein in der Stadt Sendai wurden zwischen 200 und 300 Leichen gefunden. Hinweise auf österreichische Betroffene gab es vorerst nicht. Zwanzig Österreicher seien in der betroffenen Region wohlauf, sagte Österreichs Außenminister Michael Spindelegger. Die EU und US-Präsident Barack Obama boten Japan rasche Hilfe an, die Vereinigten Staaten entsenden einen Flugzeugträger.

Acht Millionen Haushalte ohne Strom

Die erste Nacht nach dem Jahrhundertbeben haben schätzungsweise Millionen Menschen in völliger Dunkelheit verbracht. Mehr als acht Millionen Haushalte hatten weder Strom noch Telefon, in Hunderttausenden weiteren fielen auch Gas und Wasser aus.  Mehr als 215.000 Menschen fanden Zuflucht in Notunterkünften.

Angst um Atomreaktoren

Sorge bereiteten vor allem Störfälle in Atomkraftwerken: In einem Werk in Fukushima gab es Probleme mit dem Kühlwasser. Ein Umkreis von drei Kilometern wurde evakuiert, 2000 Menschen sind betroffen. Außerdem sollen die Menschen im Umkreis von bis zu zehn Kilometern ihre Häuser nicht verlassen.

Einem Medienbericht zufolge ist im AKW Fukushima ein Grad an Radioaktivität gemessen worden, der eintausend Mal über dem Normalwert liegt. Die Nachrichtenagentur Kyodo berichtete am Samstag (Ortszeit), eine Sicherheitskommission habe dies im Kontrollraum Nr. 1 des AKW Fukushima Nr. 1 gemessen. Es könne sein, dass in Fukushima Radioaktivität auch aus der Anlage ausgetreten sei.

Premierminister Naoto Kan weitete den Evakuierungsbereich aus. Er forderte die Menschen in einem Radius von zehn Kilometern um das Kraftwerk auf, sich in Sicherheit zu bringen.

Zuvor hieß es noch von offiziellen Stellen: Die Situation normalisiere sich derzeit wieder - das Kühlwasser wäre lediglich auf einen niedrigen Stand abgesunken. Nun sei aber das notwendige Gerät eingetroffen, um das Problem zu beheben. Laut Behördenangaben ist nach dem Erdbeben aus keiner Anlage im Land radioaktives Material ausgetreten. DasNotkühlsystem in Fukushima lief allerdings einige Stunden nur noch im Batteriebetrieb. 

Schon am Freitag Nachmittag rechnete man noch mit dem Schlimmsten: "Im allerschlimmsten Fall droht eine Kernschmelze", sagte der Sprecher der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) in Köln, Sven Dokter.

Explosion wie in Tschernobyl "unmöglich"

Helmut Böck vom Wiener Atominstitut zeigte sich schon am Nachmittag überzeugt, dass "die Japaner alles wieder in den Griff kriegen". Im Gespräch mit DiePresse.com schloß er eine Kernschmelze zwar nicht aus. Aufgrund der zahlreichen Sicherheitsvorkehrungen und Schutzhüllen hält er das Risiko einer Freisetzung von radioaktivem Material an die Umgebung für "extrem gering". Eine Explosion, wie vor 25 Jahren in Tschernobyl sei "unmöglich", ist der Experte überzeugt. Und um eine Kernschmelze zu verhindern, sei es lediglich nötig, wieder ausreichend Wasser in das System zu pumpen. Bis das Kühlwasser verdampft, würden mehrere Stunden vergehen. Es sei also ausreichend Zeit zu reagieren, sagt Böck.

Atom-Notfall ausgerufen

Nichtsdestotrotz hat die Regierung den Atom-Notfall ausgerufen, damit die Behörden leicht Notfallmaßnahmen ergreifen können, sagte ein Regierungssprecher. Fünf Reaktoren in der am schwersten betroffenen Region im Nordosten der Hauptinsel Honshu wurden automatisch heruntergefahren.

In einem Turbinengebäude des Atomkraftwerks Onagawa in der Präfektur Miyagi brach ein Feuer aus. Es wurde nach Informationen der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA gelöscht. Nach Angaben der japanischen Behörden wurde nach dem Erdbeben keine ausgetretene Radioaktivität gemessen.

>>> Augenzeugenberichte aus Tokio <<<

Professionelles Krisenmanagement

Jahrhundertbeben

Japan hat auch aus den chaotischen Tagen des Kobe-Bebens vom Jänner 1995 gelernt und koordinierte die Rettungsarbeiten diesmal äußerst professionell. Premierminister Naoto Kan übernahm sofort das Kommando eines Krisenzentrums, die Bebenbehörde gab fortlaufend Informationen an die Öffentlichkeit. 900 Einsatzkräfte der Polizei wurden in den Nordosten von Honshu entsandt. Das Verteidigungsministerium schickte acht Kampfflugzeuge los. Luftaufnahmen sollten helfen, die Rettungsaktionen auf Schwerpunkte zu konzentrieren und einen ersten Überblick über Schäden zu ermöglichen, die Regierungschef Kan bereits als "enorm" quantifizierte.

Japans Nordosten wurde am Freitagnachmittag 14.46 Uhr Ortszeit (6.46 Uhr Wiener Zeit) vom schwersten Erdbeben seit Beginn der Erdbebenmessung vor 140 Jahren. Nach Angaben eines Experten des Geologischen Instituts der USA, David Applegate, sei es das stärkste in der Region seit beinahe 1200 Jahren.

Das Epizentrum lag nur achtzig Kilometer vor der Pazifikküste in 10.000 Meter Tiefe. Besonders betroffen sind die mehr als eine Million Einwohner der Fischereistadt Sendai, rund 400 Kilometer nordöstlich von Tokio.

Das fernöstliche Inselatoll steht unter Schock. Selbst im weit entfernten Tokio, wo die Hochhaustürme wie Bambushalme schwankten, aber immerhin standhielten, gab es Tote. Tausende flüchteten aus Büros und Wohnungen oder schützten sich unter Tischen, in Türrahmen oder Autos vor herunterfallenden Gebäudeteilen.

Der Alltag in den Megametropolen Tokio, Yokohama, Kawasaki mit fast 45 Millionen Bewohnern wurde abrupt gestoppt. Die Stromversorgung brach für vier Millionen Hauptstädter zusammen, alle Züge im Nahverkehr fielen aus. Die beiden Flughäfen wurden vorsorglich geschlossen, konnten aber in der Nacht wieder geöffnet werden.

Auf den Hochstraßen bildeten sich kilometerlange Staus, hunderttausende Pendler strandeten an Bahnhöfen. Viele Menschen fassten sich an den Händen, um gemeinsam die furchtbaren Minuten durchzustehen. Über den Hafenanlagen in der Bucht von Tokio hing schwarzer Rauch, mindestens sechs Brände wurden gemeldet. Das Fernsehen zeigte Feuerwehrleute, die versuchten, den riesigen Flammen einer Ölraffinerie in der Tokioter Nachbarpräfektur Chiba Herr zu werden.

300 Österreicher im Großraum Tokio

Noch ist unklar, wie viele Österreicher vom Beben betroffen sind. Im Großraum Tokio leben etwa 300 Österreicher. Doch noch konnten nicht alle den Kontakt zur Botschaft herstellen. Gestern, Freitag, versuchte man diesen über Facebook, Mail und Skype herzustellen. „Es gibt jedoch keinen Hinweis darauf, dass Österreicher physisch zu Schaden gekommen wären“, sagte Außenministeriumssprecher Peter Launsky-Tieffenthal zur „Presse“. Der Kontakt zur Botschaft in Tokio sei aufrecht, diese wiederum spreche sich mit dem japanischen Katastrophenhilfeministerium ab. In der am schwersten betroffenen Stadt Sendai befindet sich nach Angaben des Außenministeriums nur eine Österreicherin, diese sei wohlauf.

Tsunami-Warnung für Pazifik weitgehend aufgehoben

Auch die Behörden an der Westküste der USA warnten die Bewohner am Freitag Vormittag vor einer Flutwelle.

>>> Wo der Tsunami wann auftrifft <<<

Auch auf Indonesien, den Philippinen und an der russischen Pazifikküste wurde Tsunamialarm ausgerufen.

Nach Angaben des US-Tsunami-Warnzentrums wurde in Australien und Neuseeland der Alarm am späten Nachmittag aufgehoben - in den Morgenstunden (Ortszeit) erreichte ein Mini-Tsunami Neuseelands Küste; es wurde ein 15 bis 20 Zentimeter höherer Wasserstand gemessen. China, Indonesien und die Philippinen gaben ebenfalls Entwarnung. Die USA und Taiwan hatten bereits mitgeteilt, die größte Gefahr sei vorbei. In Kalifornien richteten die Ausläufer des Tsunamis ebenfalls Schäden an: Dutzende Boote gingen etwa in der Nähe von San Franciso zu Bruch. Tausende Schaulustige ignorierten Warnungen der Behörden und schauten sich das Naturspektakel entlang der Küste an. An einem Strand in Nordkalifornien wurden drei Männer von einer Welle ins Meer gerissen.

In Südamerika soll die Welle kurz vor Mitternacht Orstzeit (Samstag 4.00 Uhr MEZ) zuerst den Norden Chiles erreichen. Evakuierungs-Maßnahmen wurden in Chile und Ecuador eingeleitet; auf den Galapagos-Inseln sind Riesenschildkröten in Sicherheit gebracht worden. In Kolumbien und Peru sahen die Behörden vorerst von Evakuierungen ab.

Die heftigsten Beben

Chile 22.05.1960 9,5
Alaska 28.03.1964 9,2
Westlich Sumatra 26.12.2004 9,1
Kamtschatka 04.11.1952 9,0
Vor Chile 27.02.2010 8,8
Vor Ecuador 31.01.1906 8,8
Alaska 04.02.1965 8,7
Nordsumatra 28.03.2005 8,6
Assam 15.08.1950 8,6
Südsumatra 09.03.1957 8,6

Tsunami: Rasende Wellenberge

Tsunamis sind Flutwellen, die von Erdbeben, Erdrutschen oder Vulkanen unter der Meeresoberfläche verursacht werden. Der aus dem japanischen stammende Begriff bedeutet eigentlich "Welle im Hafen".

Tsunamis bestehen aus einer Serie von Wellen, die sich im tiefen Ozean mit Geschwindigkeiten von über 800 Kilometern pro Stunde ausbreiten können. Im flachen Wasser ist ihr Tempo üblicherweise deutlich langsamer. Mehr ...

Die Richter-Skala

Mit der internationalen Richterskala wird die Erdbebenstärke einheitlich bestimmt. Benannt wurde sie nach dem amerikanischen Seismologen Charles Francis Richter, der die Skala 1935 ausarbeitete. Es gelten folgende Kriterien:

Stärke 1-2: nur durch Instrumente nachweisbar.
Stärke 3: nur selten nahe dem Bebenherd zu spüren.
Stärke 4-5: 30 Kilometer spürbar, leichte Schäden.
Stärke 6: Todesopfer und schwere Schäden in dicht besiedelten Regionen.
Stärke 7: starkes Beben, das zu Katastrophen führen kann.
Stärke 8: Groß-Beben

Weltweit ereignen sich jährlich etwa 50.000 Beben der Stärke drei bis vier, 800 der Stärke fünf oder sechs und durchschnittlich ein Groß-Beben. Das stärkste auf der Erde gemessene Beben hatte eine Magnitude von 9,5 und ereignete sich 1960 in Chile.

(Ag./Red.)

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