Helikopter und Wasserwerfer gegen Nuklearkatastrophe

Helikopter Wasserwerfer gegen Nuklearkatastrophe
Helikopter Wasserwerfer gegen Nuklearkatastrophe(c) AP
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Die Techniker haben eine externe Stromleitung zum Unglücks-AKW verlegt, die Kühlung kann aber erst nach Ende des Löscheinsatzes eingeschaltet werden. Am Freitag kommen wieder Hubschrauber und Wasserwerfer zum Einsatz. Ein Video zeigt die Zerstörung der Fukushima-Reaktoren.

Die Einsatzkräfte im defekten AKW Fukushima I konnten der IAEA am Donnerstag eine kleine Erfolgsmeldung überbringen: Demnach sei es gelungen, ein externes Stromkabel zum Reaktor 2 zu verlegen. Davor waren Helikopter und Wasserwerfer im Einsatz, um den Block von außen zu kühlen. Am Freitagmorgen sollen sie ihre Arbeit fortsetzen. Erst danach könne der externe Strom angeschlossen werden - wann genau, ist noch nicht bekannt.

Bis die normale Kühlung wieder funktioniert, soll immer wieder Wasser von außen durch die beschädigten Wände der Problem-Reaktoren 3 und 4 gespritzt werden. "Am wichtigsten ist jetzt, große Wassermengen auf die Reaktorblöcke zu schütten, vor allem um die Kühlbecken zu füllen", sagte Hidehiko Nishiyama, Sprecher der nationalen Agentur für Atomsicherheit der Agentur Kyodo.

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Wasser aus 90 Meter Höhe abgeworfen

Zuerst waren dazu Armee-Hubschrauber im Einsatz. Aus 90 Meter Höhe wurden pro Transport 7,5 Tonnen Wasser auf das havarierte AKW abgeworfen. Die Ausbeute dürfte aber nicht den Erwartungen entsprochen haben, zumal die Helikopter wegen der radioaktiven Strahlung nicht über dem Kraftwerk kreisen konnten und die Ladung quasi im Vorbeifliegen ablassen mussten. Außerdem ist die Strahlung über dem Reaktor 40 Mal höher als am Boden.

Der nächste Versuch wurde mit Wasserwerfern um 19.35 Uhr (Ortszeit, 11.35 Uhr MEZ) gestartet. Fünf Spezialfahrzeuge des  Militärs kamen zum Einsatz. Rund 30 Tonnen Wasser wurden auf Reaktor 3 gespritzt. Den Einsatz bewertete der Betreiber Tepco als Erfolg: Es sei Dampf aufgestiegen, folglich hätten die Wasserwerfer das Becken mit den Brennstäben getroffen, zitierte die Nachrichtenagentur Kyodo einen Tepco-Sprecher. Der Einsatz wurde kurz vor 21 Uhr (Ortszeit) beendet, morgen soll er wieder aufgenommen werden. Verteidigungsminister Toshimi Kitazawa sagte, nun sollen auch elf Löschflugzeuge des Militärs über dem Reaktor eingesetzt werden.

Video zeigt Zerstörung

Ein neues Video vom Überflug über das havarierte AKW Fukushima zeigt das Ausmaß der Zerstörung. Die Aufnahmen wurden von Bord eines Hubschraubers gemacht und am Donnerstag von der Zeitung "Asahi Shinbun" ins Internet gestellt. Zu sehen sind die völlig zerstörten Reaktoren der Atomanlage. Von den einst hellblauen Gebäuden sind nur noch Trümmer, verbogene Stahlträger und Steine zu sehen. Die Aufnahmen stammen nach Angaben der Zeitung vom Mittwoch.

Plutonium-Brennstäbe liegen teils frei

Das Wasser soll die Temperatur im Kraftwerksinneren senken. Die Brennelemente in Reaktor 3 enthalten hochgiftiges Plutonium und liegen teilweise frei. Die wichtige innere Reaktorhülle des Blocks 3 ist möglicherweise beschädigt. Die Angaben der Behörden sind seit Tagen oft widersprüchlich.

Große Sorge bereitet der AKW-Notbesatzung auch der Zustand des Meilers Nummer 4. Dort liegen die Kernbrennstäbe außerhalb der stählernen Schutzhülle offen in einem Abklingbecken, dessen Wasser verdampft. An Block 4 könnten die nächsten zwei Tage entscheidend sein. Die Kühlversuche in den Reaktoren 5 und 6 haben unterdessen noch nicht begonnen. Es bleibe noch "etwas Zeit", bis es dort gefährlich werden könnte, sagte Regierungssprecher Yukio Edano. Laut IAEA ist die Temperatur in diesen Blöcken gesunken.

Die radioaktive Strahlung am Atomkraftwerk betrug am Donnerstag nach Angaben von Verteidigungsminister Toshimi Kitazawa 4,13 Millisievert pro Stunde. Zum Vergleich: In Österreich beträgt die durchschnittliche natürliche Strahlung rund drei Millisievert pro Jahr. Allerdings ist die Strahlung im Umkreis von 30 Kilometer um das AKW "deutlich gestiegen", sagte das IAEA-Vorstandsmitglied Graham Andrews.

Die nukleare Strahlung blieb nach dem Hubschrauber-Einsatz unverändert hoch. Dies muss nach Einschätzung von Experten nicht zwangsläufig auf einen Misserfolg hinweisen. Denn es ist einkalkuliert, dass durch das Verdampfen von Wasser am stark erhitzten Druckbehälter zusätzlich radioaktive Partikel in die Luft gewirbelt werden.

Temperaturwerte der Abklingbecken

>>> Im Detail: Zustand der sechs Reaktoren <<<Reaktor 4
14 März, 11:08 MEZ: 84 ˚C
15 März, 11:00 MEZ: 84 ˚C
16 März, 06:00 MEZ: Keine Daten

Reaktor 5
14 März, 11:08 MEZ: 59.7 ˚C
15 März, 11:00 MEZ: 60.4 ˚C
16 März, 06:00 MEZ: 62.7 ˚C


Reaktor 6
14 März, 11:08 MEZ: 58.0 ˚C
15 März, 11:00 MEZ: 58.5 ˚C
16 März, 06:00 MEZ: 60.0 ˚C

Normtemperatur: UNTER 25°C
Grund des Anstiegs: Es gibt nicht genug Strom für die Kühlung.

Quelle: IAEA

Internationale Fachleute skeptisch

Regierungssprecher Edano berichtete, Japans Ministerpräsident Naoto Kan und US-Präsident Barack Obama hätten etwa 30 Minuten lang telefoniert und eine "enge Zusammenarbeit" vereinbart. Obama habe versprochen, noch mehr Atomexperten nach Japan zu schicken. Amerikanische Drohnen sollen bei der Beschaffung von Bildmaterial aus den Reaktoren behilflich sein.

Internationale Fachleute beurteilen die Lage äußerst kritisch: Laut der US-Atomregulierungsbehörde NRC liegen die Brennstäbe in Reaktor 4 wahrscheinlich komplett frei. Nach Einschätzung des französischen Instituts für Strahlenschutz und Nuklearsicherheit (IRSN) ist mit einer nuklearen Verseuchung größeren Ausmaßes für den Fall zu rechnen, dass die Kühlung der abgebrannten Brennelemente nicht gelingt. "In den nächsten 48 Stunden entscheidet es sich", sagte IRSN-Direktor Thierry Charles. Andere Experten sagten dagegen, eine zeitliche Prognose sei derzeit nicht möglich.

28.000 verlassen ihre Häuser

In der Präfektur Fukushima verlassen immer mehr Menschen ihre Häuser und bringen sich in Sicherheit. Wie der Fernsehsender NHK berichtete, flohen weitere 28.000 Menschen vor der Gefahr radioaktiver Verstrahlung. Weiter im Nordosten kämpfen die Menschen gegen bittere Kälte. Benzin und Nahrungsmittel werden nach der Erdbebenkatastrophe immer knapper.

Die Zahl der offiziell registrierten Todesopfer nach dem Beben stieg am Donnerstag auf 5321. 9329 Menschen galten zudem noch als vermisst, wie NHK weiter meldete.

Schätzungsweise 440.000 Japaner leben seit dem schweren Beben und der darauffolgenden Flutwelle in Notunterkünften. Weitere Nachbeben erschütterten das Land. Der Wiederaufbau wird fünf bis zehn Jahre dauern, schätzt Katastrophenforscher Jun Yang. In der 35-Millionen-Metropole Tokio, etwa 220 Kilometer südlich von Fukushima gelegen, wuchs am Mittwoch die Sorge vor einer radioaktiven Verseuchung. Der Wind blies weiter überwiegend aus Westen und trug damit giftige Strahlenpartikel auf den Pazifik hinaus.IAEA hatte Japan gewarnt

Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) hat offensichtlich die Japaner bereits vor mehr als zwei Jahren auf Probleme bei der Erdbeben-Sicherheit ihrer Meiler hingewiesen.

Die Anlagen seien starken Beben nicht gewachsen, wird ein IAEA-Experte in einer diplomatischen US-Depesche vom Dezember 2008 zitiert. Das berichtete die britische Zeitung "Daily Telegraph" unter Berufung auf die Enthüllungsplattform Wikileaks.

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("Die Presse", Ag.; red.)

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