Türkei: Istanbul soll bis 2023 zur Megacity werden

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Premierminister Erdoğan stellte ein Bauprogramm vor, im Zuge dessen die Einwohnerzahl Istanbuls von etwa 13 auf 17 Millionen steigen soll. Selbst die größten Städte der EU wären dagegen nur noch bessere Dörfer.

Zum Auftakt des Wahlkampfes für die Parlamentswahl im Juni hat der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan von der gemäßigt islamistischen AKP-Partei seine Vision von der Türkei im Jahre 2023 verkündet. Insbesondere der Ausbau der größten Stadt Istanbul zu einer Art Megametropole an der Nahtstelle Europa/Asien, gegen die alle anderen Metropolen Europas wie bessere Dörfer aussehen, gehört zu dieser Vision.

Demnach soll Istanbul, das frühere Byzanz bzw. Konstantinopel, zum hundertsten Jahrestag der Gründung der Türkischen Republik (29.Oktober 1923) nicht weniger als 17 Millionen Einwohner haben. Derzeit kommt Istanbul, wenn man den Statistiken und nicht den Taxifahrern glaubt, auf etwa 13Millionen Bewohner; sie leben auf einem Streifen von etwa 50Kilometern Länge in Nord-Süd-Richtung und rund 100 Kilometern in Ost-West-Richtung, der sich über die Bosporus-Meerenge erstreckt und somit, laut geografischer Definition, teils in Europa, teils in Asien liegt.

Da im europäischen Teil Istanbuls aber „nur“ etwa 6,5Millionen Menschen leben, firmiert die Stadt hinter Moskau (rund 11,5Millionen) und London (ca. 7,8Millionen) derzeit noch auf Rang drei der größten Städte Europas.

Zwei neue Stadtzentren

Noch vor Kurzem plante die Regierung die Senkung der Einwohnerzahl des Molochs: Man wollte Industriebetriebe mit finanziellen Anreizen nach Thrakien (der europäischen Türkei) und Anatolien, also in die rückständigen Gebiete in Kleinasien, locken. Mit den Betrieben sollten auch zwei Millionen Einwohner abziehen. Nun aber wird ein Wachstum von rund vier Millionen Menschen in nur zwölf Jahren angepeilt.

Um für diese Massen Platz am Rand der schon reichlich zubetonierten Metropole zu schaffen, sollen zwei neue Stadtzentren, eines auf der europäischen und eines auf der asiatischen Seite von Istanbul, entstehen.

Um das gewaltige Verkehrsaufkommen zu bewältigen, plant Erdoğan unter anderem zwei neue Häfen, einen dritten internationalen Flughafen, eine dritte Brücke über den Bosporus, zwei Tunnels unter dem Bosporus, von denen einer bereits in Bau ist, eine Hochgeschwindigkeitseisenbahn nach Ankara und zwei Autobahnen, eine davon mit Brücke über den Golf von Izmit, dem östlichen Ausläufer des Marmarameers. Außerdem sollen zwei riesige neue Krankenhäuser entstehen, eines in Europa, eines in Asien.

Erdoğans Pläne wirken zwar etwas megaloman, sind aber nicht unrealistisch. Wenn der große Zustrom von Menschen und Kapital nach Istanbul anhält, könnte die Megastadt in etwas mehr als einem Jahrzehnt entstehen.

Türkei unter Wirtschafts-Top-Ten?

Erdoğan wies mit Stolz darauf hin, dass die Türkei in den acht Jahren seiner Regierung vom 26. auf den 17.Platz unter den größten Volkswirtschaften vorgerückt ist. Nun soll sie bis 2023 unter die Top Ten kommen. Dies wirkt aber in der kurzen Zeitspanne doch zu optimistisch. Es fiel übrigens auf, dass der türkische Premier bei seinen kommenden politischen Vorhaben viel weniger konkret wurde als bei den ökonomischen und technischen: Keine neuen Freiheiten für Kurden solle es geben, und zu den Alewiten sagte er gar nichts. Eine neue Verfassung solle kommen, die natürlich demokratischer und freiheitlicher sein soll, doch Details würden erst nach der Wahl erarbeitet. Die Planungen für die derzeit im Grunde wichtigste „Baustelle“ für die Zukunft der Türkei haben also noch nicht begonnen, oder sie werden den Wählern nicht gezeigt.

„Die Menschen vergessen“

Erdoğans ökonomische Projekte verfehlten es freilich nicht, einen gewissen Eindruck zu machen – vor allem bei Leuten, denen das nationale Prestige besonders am Herzen liegt. Allerdings, eine wirkliche Begeisterung sieht anders aus: Oppositionsführer Kemal Kiliçdaroğlu warf Erdoğan vor, er habe bei seinen Projekten schlicht „die Menschen vergessen“.

Dabei ist der Premier mit der Verkündung seiner Pläne für Istanbul noch lange nicht fertig: Ein seit Langem angekündigtes „tolles Projekt“ für Istanbul will er erst am 27.April verkünden. Man ist gespannt, ob und wie sich das Megacityprojekt noch toppen lässt.

Lexikon

Im 7. Jh. v. Chr. gründeten Siedler vom Peloponnes am Bosporus die Städte Kalchedon und Byzantion. Nach Zeiten persischer und spartanischer Herrschaftsperioden wurde Byzantion wieder autonomer Stadtstaat, dann unter Kaiser Vespasian (69-79) Teil Roms. KonstantinI. machte Byzanz 324 zur Hauptstadt von Ostrom, bis der türkische Sultan MehmedII. die Stadt 1453 eroberte.

Der Name „Istanbul“ kam schon zur Zeit der türkischen Eroberung auf, löste aber erst 1930 Konstantinopel offiziell ab. In diesem Jahr hatte die Stadt etwa 700.000 Einwohner; um 1950 setzte vor allem durch massive Zuwanderung eine Bevölkerungsexplosion ein. Heute leben dort etwa 13 Mio. Menschen bzw. 7166 pro Quadratkilometer. Vergleich: In Wien sind es 4131 Menschen/km2.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2011)

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