Selbstverteidigung: Die Karate-Omas von Nairobi

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Symbolbild(c) REUTERS (NOOR KHAMIS)
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Bei den „Gender Defenders“ in den Slums der kenianischen Hauptstadt Nairobi lernen Frauen jenseits der 60, sich verbal, aber auch mit Schlägen gegen brutale Vergewaltigungen und Raubüberfälle zur Wehr zu setzen.

Nairobi. „Nein! Nein! Nein!“ Mit Geschrei stürmt die 68-Jährige los, in einem rosarot geblümten Wickelrock und mit roten Flipflops holt sie zur „Hammerfaust“ aus. Beatrice Nyariara trifft das Schlagpolster hart: 30 Omas jubeln ihr zu. Dann sind sie selbst an der Reihe. Nyariara trainiert die Altdamenrunde in Korogocho, einem der ärmsten Slums der kenianischen Hauptstadt Nairobi, der den Beinamen „Nairobbery“ trägt. Auch alte Frauen werden hier regelmäßig überfallen und vergewaltigt. Wer eine alte Frau vergewaltige, sei vom „bösen Geist HI-Virus“ befreit – so der absurde Aberglaube.

Gewalt wird nicht verfolgt

Bei den „Gender Defenders“ lernen die Omas sich verbal, aber auch mit Schlägen und Tritten gegen die Angreifer zu wehren. Die Jüngste der heutigen Runde ist 60, die Älteste stolze100 Jahre alt.

Einmal pro Woche trainieren die Frauen im kleinen Innenhof der international gesponserten Schule für behinderte Kinder. „Hakuna Matata – es gibt keine Probleme“, steht auf einer Wand. Darauf angesprochen, zwingt sich die 29-jährige Zaineb Hassan zu einem gequälten Lächeln. Sie hat ihr ganzes Leben in Korogocho verbracht und beobachtet, wie das System scheitert. Häusliche Gewalt werde von Beamten nicht ernst genommen. Polizeiberichte verschwänden, wenn die Familie des Angeklagten es schaffe, ausreichend Bestechungsgelder zu sammeln. Die Beträge dafür bewegen sich oftmals im unteren zweistelligen Eurobereich.

3,2 Millionen leben in Slums

„Hier in Kogorocho ist jeder gefährdet“, regt sich Hassan auf. Besonders aber sind es die Frauen, wie auch ein Bericht von Amnesty International zeigt. Ein Risikofaktor sind fehlende Sanitäranlagen: Viele Frauen müssen lange Distanzen zurücklegen, um sanitäre Einrichtungen zu erreichen.

Etwa die Hälfte der rund 3,2 Millionen Einwohner Nairobis lebt in Slums, wo der Arm des Rechtsstaats nicht hinreicht. Gewalt gegen Frauen ist dort sehr verbreitet, Vergewaltigungen und Gewaltverbrechen bleiben oft ohne Folge. Es gibt keine zuverlässigen Verbrechensstatistiken für die Slums. Zudem verstaubt fast eine Million unbearbeitete Akten mit Strafdelikten in den Regalen der kenianischen Justiz. Schon allein deshalb verzichten viele Verbrechensopfer auf eine Anklage. Vor zwei Jahren hatte Hassan genug. Gemeinsam mit einer Handvoll Gleichgesinnten – darunter auch Männer – gründete sie die Gender Defenders. Sie klären Frauen über ihre Rechte auf und lehren sie, mit Gefahrensituationen umzugehen.

Häufig sei es schwierig, die Betroffenen zu mobilisieren: „Die Frauen haben Arbeiten zu verrichten. Sie verkaufen Obst und Gemüse auf dem Markt“, sagt Nyariara. Das Training würde sie um dringend benötigtes Einkommen bringen. „Ich locke sie manchmal mit einer Mahlzeit.“ Alle Frauen hier sind schon einmal in Bedrängnis geraten, fielen Verbrechen zum Opfer; keine aber einer Vergewaltigung. „Von den Frauen, die ich kenne und die vergewaltigt wurden, lebt keine mehr“, meint Nyariara hart. Aus Angst davor, angezeigt zu werden, hätten die Täter sie umgebracht.

Bitten um Kraft

Beim „Augen-Stecher“ stürzt sich eine Hälfte der Omas jetzt mit gespreizten Zeige- und Mittelfinger auf ihre Angreifer – simuliert von der jeweils anderen Hälfte. Das Gewühl und Gedrängel aus bunten Röcken und Kopftüchern löst sich unter Lachen auf.

Im abschließenden Gebet bitten sie um Kraft. Um gegen ihre Armut anzukämpfen und gegen Widersacher. Solange der Rechtsstaat versagt, müssen sie sich schließlich selbst um ihre Sicherheit kümmern.

Auf einen Blick

Kenia ist ein Staat in Ostafrika mit etwa 38,6 Millionen Einwohnern. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei etwa 58 Jahren, was auch auf die Immunschwächekrankheit Aids zurückzuführen ist. Etwa acht Prozent der erwachsenen Bevölkerung sind HIV-positiv.

Gewalt gegen Frauen ist in Kenia weit verbreitet. Besonders in den Slums, wo das Gesetz des Stärkeren gilt, sind Vergewaltigungen alltäglich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2011)

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