Ein neuer Flughafen, mitten in der Themse

(c) REUTERS (LUKE MACGREGOR)
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Londons überlasteter Airport Heathrow soll ausrangiert werden und stattdessen ein riesiger Flughafen in der Themse-Mündung entstehen. So sehen es zumindest die Pläne des Stararchitekten Norman Foster vor.

London. Er soll vier Start- und Landebahnen haben und mehr als 140 Millionen Passagiere pro Jahr in alle Welt schicken: Sir Norman Foster will auf einer Insel in der Themse-Mündung für rund 57 Milliarden Euro „Heathrow-on-Sea“ bauen. Der größte Flughafen der Welt wäre aber nur Teil eines riesigen Infrastrukturprojekts, das auch die Seehäfen Englands neu vernetzen soll. Obwohl die Entwürfe bisher nur in Auszügen bekannt wurden, sind sie schon jetzt hoch umstritten.

Derzeit wird nach den Plänen von Norman Foster am Terminal 2 des chronisch überlasteten Londoner Flughafen Heathrow gebaut – für mehr als eine Milliarde Euro. Doch wenn es nach den jüngsten Visionen des Stararchitekten geht, wird der derzeit noch größte Flughafen Europas im Westen Londons in ein paar Jahrzehnten höchstens noch ein Luftfahrtmuseum sein. Stattdessen will Foster eben ein neues Heathrow bauen, rund 80 Kilometer weiter östlich auf der kleinen Isle of Grain am Südufer der Themse-Mündung.

Verbindung mit Seehäfen

Gemeinsam mit dem Infrastrukturkonzern Halcrow hat der Architekt, der auch den Flughafen Stansted im Norden Londons und den Inselflughafen in Hongkong geplant hat, jetzt die ersten Entwürfe für das sogenannte „Thames Hub“ entwickelt – Ende September sollen sie im Detail vorgestellt werden. So viel hat Huw Thomas, in Fosters Architekturbüro für das Projekt zuständig, im Gespräch mit der „Presse“ verraten: Mittels Hochgeschwindigkeitszügen soll der neue Flughafen mit den Themse-Häfen in London und Liverpool verbunden werden, um Passagiere und Fracht vom und zum Hub und von dort über den Globus zu verteilen.

Großbritanniens Infrastruktur müsse dringend fit für die Zukunft gemacht werden, so Thomas. Überall auf der ganzen Welt, besonders in Asien, würden Länder ihre Infrastruktur für die Zukunft ausrichten. „Wir haben überlegt: Wie sieht die Welt in 30 Jahren aus? Und wo werden wir Briten stehen? Geografisch gesehen sind wir in einer großartigen Lage, die ganze Welt segelt sozusagen an uns vorbei. Aber momentan winken wir ihr nicht mal zu.“

Die nötige Energie für Flughafenbetrieb und Zugverkehr soll ein gewaltiges, klimafreundliches Gezeitenkraftwerk liefern, das von der Isle of Grain bis hinüber zum nördlichen Themse-Ufer bei Southend-on-Sea verläuft. Auch eine zwei Meilen lange Flutschutzmauer ist geplant, um Flughafen und Hauptstadt vor Nordseesturmfluten zu schützen. Rund 113.000 Euro haben Foster und Kollegen bereits vom eigenen Konto in die Pläne fließen lassen – dem Stararchitekten ist es ernst. „Diese visionären Vorschläge sind keine Zukunftsfantastereien – sie sind notwendig und realistisch“, so Foster.

Unzumutbarer Luftverkehr

Unterstützung bekommt er von Londons Oberbürgermeister Boris Johnson: „Aufregend“ seien die neuen Pläne. Der Konservative Johnson fordert schon seit Jahren einen neuen Flughafen im Osten Londons – und kämpft gleichzeitig vehement (und bisher erfolgreich) gegen einen weiteren Ausbau von Heathrow: Schadstoff- und Lärmbelastung durch den Flughafen seien schon jetzt unzumutbar. Wegen der ost-westlichen Ausrichtung der beiden Start- und Landebahnen in Heathrow (pro Tag werden dort im Schnitt knapp 1400 Starts und Landungen registriert) fliegen fast alle Flugzeuge direkt über das Stadtzentrum.

Doch das Luftkreuz London droht den Anschluss zu verlieren. Schon jetzt bieten Frankfurt und der Pariser Charles de Gaulle mehr Direktflüge an – und haben, anders als Heathrow, auch noch reichlich Platz für mehr Passagiere.

„Heathrow-on-Sea“ wäre die Lösung, meint Boris Johnson. Doch so begeistert der Bürgermeister ist, so entsetzt sind viele Anwohner und Lokalpolitiker. Rodney Chambers ist Landrat von Medway, zu dem die Isle of Grain gehört. „Pie in the sky“, freundlich übersetzt mit „Luftschloss“, nennt er alle Pläne für den Themse-Flughafen. Die zu erwartende Verkehrslawine würde die für seine Obstplantagen berühmte Grafschaft Kent zerstören. „Boris Johnson will offenbar aus dem Garten Englands die Auffahrt Englands machen“, so Chambers.

Streit mit Vogelschützern

Auch die mächtige königliche Gesellschaft zum Schutz der Vögel ist entsetzt, denn im Mündungsgebiet der Themse leben über 200.000 Vögel. „Die Vögel waren zuerst da, und da muss natürlich eine akzeptable Lösung gefunden werden“, versucht Huw Thomas zu beschwichtigen. In den nächsten Jahrzehnten drohe sich durch den Klimawandel aber auch für die Vögel viel zu verändern. „All diese Veränderungen müssen Teil unseres Plans werden“, sagt Thomas.

In den nächsten Monaten wollen die Planer finanzstarke Partner in der Industrie für ihr Projekt anwerben – denn die Kosten von rund 80Milliarden Euro sollen komplett aus dem privaten Sektor kommen. „Die Vorteile für Wirtschaft und Industrie werden so groß sein, dass sich Investoren finden“, glaubt Thomas.

Gebaut werden könnte das Projekt binnen zehn Jahren. Aber dem Architekten ist klar, dass es eher Jahrzehnte dauern wird, die Bedenken auszuräumen und den Planungsprozess abzuschließen: „Aber irgendwann muss man ja anfangen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2011)

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