"Costa Concordia": Telefonmitschnitte belasten Kapitän

Costa Concordia Telefonmitschnitte belasten
Costa Concordia Telefonmitschnitte belasten(c) AP/Gregorio Borgia
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Mit Sprengstoff dringen die Taucher in Teile des Schiffes vor, in denen sich noch Vermisste aufhalten könnten. Der Unfall könnte der bisher größte Versicherungsschaden der Seefahrtsgeschichte werden.

Mit Sprengstoff verschaffen sich die Rettungskräfte Zugang zu versperrten Teilen des havarierten Kreuzfahrtschiffs "Costa Concordia". Am Montagabend hat die Küstenwache die Zahl der Vermissten mit 29 beziffert. Die Behörde widersprach Medienberichten, wonach eine siebente Person tot geborgen worden ist: Jener Mann, der als sechstes Opfer geborgen wurde, stamme aus Deutschland, berichtete die italienische RAI.

In der Nacht auf Dienstag haben die Taucher ihre Suche nach den Vermissten unterbrechen müssen. Am Morgen haben sie ihre Arbeit wieder aufgenommen. Dabei wurde auch Sprengstoff eingesetzt, um in jene Teile des Schiffs zu kommen, zu denen die Rettungskräfte bisher noch nicht vordringen konnten. Für die Vermissten gebe es noch einen "Hoffnungsschimmer", sagte Küstenwachen-Chef Marco Brusco am Montagabend im Fernsehsender RAI Uno. Die Chancen, sie lebend zu finden, werden aber immer geringer.

Bei den Vermissten handelt es sich um 14 Deutsche, sechs Italiener, vier Franzosen, zwei US-Bürger sowie einen Ungar, einen Peruaner und einen Inder, sagte ein Sprecher. "Wir arbeiten mit Konsulaten zusammen, um festzustellen, ob die Vermissten nach Hause gefahren sind, ohne sich bei den Behörden zu melden", sagte der Präfekt der toskanischen Stadt Grosseto Giuseppe Linardi.

Mitschnitte von Telefonat mit Kapitän

Die "Costa Concordia" war am Freitag mit mehr als 4000 Menschen an Bord vor der Insel Giglio auf Felsen aufgelaufen und später auf die Seite gekippt. An Bord waren auch 77 Österreicher, die alle heil davonkamen. Wie es zu dem Unglück kam, ist weiter unklar. Der Fahrtenschreiber muss erst ausgewertet werden. Vieles spricht aber dafür, dass der Kapitän das Schiff grob fahrlässig auf ein Riff gesteuert hatte - wohl, um die Familie eines Chefkellners, die dort lebt, zu „grüßen". Er soll am Dienstag von einem Untersuchungsrichter einvernommen werden. Ihm drohen wegen fahrlässiger Tötung bis zu 15 Jahre Haft.

Bei den Ermittlungen sind unterdessen Mitschnitte von Telefonaten öffentlich geworden, die den Kapitän belasten. Die italienische Nachrichtenagentur ANSA veröffentlichte am Montagabend Zitate aus einem von den Blackboxen aufgezeichneten Telefonat zwischen Kapitän Francesco Schettino und einem Offizier, der im Hafen der Insel Giglio Dienst hatte. Darin wird der schon kurz nach dem Unglück von Zeugen geäußerte Verdacht erhärtet, wonach der Kapitän früh von Bord ging. Der Hafenmitarbeiter wies Schettino darin an, sich zurück auf das Schiff zu begeben.

Demnach erreichte der Offizier Schettino um 1.46 Uhr auf dem Handy, als noch Hunderte Menschen an Bord des sich langsam zur Seite neigenden Schiffes waren. "Was machen Sie? Geben Sie die Rettung auf?", fragte der Mitarbeiter des Hafens. "Nein, nein, ich bin da, ich koordiniere die Rettung", antwortete Schettino, der von den Zeugen allerdings schon vor Mitternacht am Ufer gesehen wurde. Der Offizier sagte, es gebe "bereits Leichen". "Wie viele?", fragte Schettino zurück. Der Offizier darauf: "Das müssen doch Sie mir sagen! Was machen Sie? - Jetzt kehren Sie nach da oben zurück und sagen Sie uns, was wir machen können!"

"Haben Sie das Schiff verlassen?"

Schon um 1.42 Uhr sagte der Kapitän in einem anderen Telefonat mit der Hafenmeisterei: "Wir können nicht mehr an Bord des Schiffes gehen, weil es zur Heckseite kippt." Der Offizier fragte völlig überrascht: "Kommandant, haben Sie das Schiff verlassen?" Der Kapitän darauf: "Nein, nein, natürlich nicht!" Kapitän Schettino und sein Erster Offizier wurden wegen Fluchtgefahr festgenommen. Gegen sie und drei weitere Offiziere laufen Ermittlungen.

Ein "menschlicher Fehler" ist bei der Havarie nach Auffassung des Chefs von Costa Crociere, Pierluigi Foschi, nicht zu bestreiten. Zwar werde die Kreuzfahrtgesellschaft dem Kapitän nach der Havarie juristische Unterstützung geben, sagte Foschi laut ANSA in Genua. "Das Unternehmen hat jedoch auch die Pflicht, seine 24.000 Beschäftigten zu schützen", fügte er an. Zuvor waren die Eigner des Kreuzfahrtschiffes auf Distanz zu ihrem Kapitän gegangen. "Es scheint, dass der Kommandant Beurteilungsfehler gemacht hat, die schwerste Folgen gehabt haben", hieß es in einer Erklärung der Kreuzfahrtgesellschaft am Sonntagabend.

Größter Versicherungsschaden der Geschichte?

Eine Bergung der "Costa Concordia" wäre nach Expertenmeinung zwar aufwendig, aber machbar. "Wenn es irgendeine Chance gibt, den Schaden am Rumpf abzudichten, kann man das Schiff eventuell auspumpen und wieder aufrichten", sagte der Bergungsexperte Eyk-Uwe Pap des Rostocker Unternehmens Baltic Taucher. "Wenn das nicht möglich ist, wird das Schiff mit Ketten zerschnitten in sechs bis acht Teile, die jeweils 1000 bis 2000 Tonnen schwer sind. Diese könnten mit einem Großkran geborgen werden", sagte Pap.

Das Schiff sei eine "ökologische Zeitbombe", sagte Sergio Ortelli, der Bürgermeister von Giglio. An Bord des Schiffes sind zwei Millionen Liter Dieseltreibstoff, die vor einer Bergung abgepumpt werden müssen. Damit soll am Mittwoch begonnen werden, sagte der italienische Umweltminister Corrado Clini. 900 Meter lange Ölsperren sind rund um das Schiff angebracht worden. "Wir arbeiten an einem Plan, um in zehn Tagen das Schiff zu bergen. Das Wetter wird sich bald verschlechtern und wir müssen verhindern, dass Öl ins Meer gelangt. Die Schäden wären ansonsten enorm. Wir müssen auch verhindern, dass das Schiff tiefer sinkt", so der Minister. Das Schiff liegt derzeit auf einem Felsvorsprung in etwa 37 Meter Tiefe, hat sich aber einige Zentimeter in Richtung eines 70 Meter tiefen Grabens bewegt.

Die Havarie im Mittelmeer könnte sich nach Einschätzung von Analysten und Branchenexperten zum größten Versicherungsschaden in der Seefahrtsgeschichte auswachsen. Die bisherigen Angaben der Versicherer deuteten auf eine Summe zwischen 500 Millionen und einer Milliarde Dollar (zwischen 395 Mio. und 789 Mio. Euro) hin, schrieb Expertin Joy Ferneyhough von der Bank Espirito Santo in London am Montag in einer Analyse. Ohne Einbeziehung der Inflation würde das den Anfangsschaden der Exxon-Valdez-Öltanker-Katastrophe in Alaska von 1989 übertreffen.

(Ag./Red.)

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