Die dunklen Stunden des "Kapitän Feigling"

(c) EPA (MASSIMO PERCOSSI)
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Zahl der Toten hat sich auf elf erhöht, 24 Personen an Bord der „Costa Concordia“ noch vermisst. Gesprächsprotokolle enthüllen unglaubliches Fehlverhalten des Kapitäns.

Nach dem Untergang des italienischen Kreuzfahrtschiffes „Costa Concordia“ in der Nacht auf Samstag vor der Toskana haben Taucher am Dienstag weitere fünf Leichen im Inneren des auf Grund liegenden Schiffs gefunden. Vier Männer und eine Frau im Alter zwischen 50 und 60, deren Nationalität unklar war, trieben im überfluteten Heck.

Damit stieg die bestätigte Zahl der Toten auf elf. 24 Personen werden vermisst; zuvor hieß es seitens der Küstenwache, man vermisse 14 Deutsche, sechs Italiener, vier Franzosen, zwei US-Bürger sowie je eine Person aus Indien, Ungarn und Peru; vier der Vermissten waren Crewmitglieder. Insgesamt waren auf der Concordia rund 3200 Passagiere – vor allem aus Italien, Deutschland und Frankreich – und gut 1000 Crewmitglieder.

Hassdebatten auf Facebook

Ihr Kapitän, Francesco Schettino (52), hat indes nicht mehr viele Freunde. „Kapitän Feigling“ ist noch eine der netteren Bezeichnungen für ihn. Selbst die Reederei Costa Crociere hat sich distanziert, gibt ihm die Schuld. Auf Facebook hat sich eine Gruppe gebildet, die Schettinos Verhalten in jenen Stunden diskutiert, als er offenbar sein Schiff verlassen hatte, obwohl sich hunderte Menschen dort in Not befanden: „Keine Bestrafung ist groß genug für das, was du getan hast“, schreibt ein Italiener, andere beschimpfen ihn als Mörder.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt und ließ Schettino zuerst in U-Haft nehmen, danach erhielt er Hausarrest; er soll auch selbstmordgefährdet sein. Ihm drohen Anklagen wegen fahrlässiger Tötung, Herbeiführens eines Schiffbruchs und vorzeitigen Verlassens des Schiffes, insgesamt 15 Jahre Haft.

Autoritär und egozentrisch?

Es ist wohl das Ende einer Karriere zur See. Dabei war der Spross einer Familie von Seeleuten aus dem Raum Neapel lange Kapitän auf Fähren und Öltankern, bis er 2006 bei Costa Crociere Kapitän wurde und 2010 die jetzt verunglückte schwimmende Kleinstadt für Touristen übernahm. Er galt als autoritär und waghalsig, für manche als egozentrisch.

Dass er das Schiff so nah vor der Insel Giglio vorbeimanövrierte, dass es auf Felsen lief, aufgerissen wurde und sich steuerbord auf die Seite legte, wurde ihm zum Verhängnis. Dabei sind Nahpassagen vor Küsten nicht unüblich, sie gelten als Gruß an die Menschen an Land. Es war ihm aber bewusst, dass es gefährlich sein kann: 2010 hatte Schettino in einem Interview gesagt, was in so einem Fall zu tun sei: „In einer schwierigen Lage muss der Kommandant alles unter Kontrolle haben und dort sein, wo es nötig ist.“ Doch gegen dieses Credo verstieß er: Das geht auch aus Mitschnitten von Telefonaten hervor, die die lokale Hafenkommandantur mit ihm geführt hat. Sie legen nahe, dass Schettino bald nach dem Unfall nicht mehr auf dem Schiff war, zum Entsetzen des diensthabenden Offiziers der Küstenwache, Gregorio De Falco.

Der forderte Schettino auf, die an Bord befindlichen Passagiere zu zählen. Schettino erwiderte: „Ich kann nicht.“ – „Wie, Sie können nicht?“ – „Ich bin in einem Rettungsboot.“ – „Gehen Sie sofort wieder an Bord.“ – „Ich kann nicht. Aber ich koordiniere die Hilfsmaßnahmen von hier aus.“ – „Es soll bereits Tote geben.“ – „Wie viele?“ – „Das müssen Sie mir sagen!“ –„Aber es ist dunkel, wir sehen nichts.“ – „Was wollen Sie, nach Hause gehen? Ich befehle Ihnen, gehen Sie an Bord, sofort!“ – „Okay, ich gehe."

Gäste handelten „katastrophal“

Unterdessen berichtet Marie Bulgarini (23), eine in Wien lebende Mitarbeiterin des Bordpersonals der Costa Concordia, die am Unglückstag dort Dienst hatte, dass sich viele Passagiere bei der Evakuierung „katastrophal“ verhalten hätten; Behauptungen, die Rettungsaktion sei von der Crew schlecht abgewickelt worden, seien zumindest teilweise falsch.

Bulgarini hatte als „International Hostess“ auf dem Schiff gearbeitet und in diesen Jobs schon früher Erfahrung gesammelt. „Die Crew hat sehr gut zusammengeholfen“, sagt sie. „Sobald die Anweisung zur Evakuierung kam, wurden die Passagiere sehr schnell evakuiert. Ich habe gesehen, wie einige Offiziere ins Wasser sprangen, um Passagiere zu retten.“

Nur: „Viele Passagiere haben während der Evakuierung ihre Handys hochgehalten und gefilmt, sind uns somit wirklich im Weg gestanden und haben die Räumung des Schiffs behindert. Andere haben sich unseren Anweisungen widersetzt. Manche haben sich durch die Menge geboxt, um als Erste im Boot zu sein.“

Mittlerweile prüft die holländische Spezialfirma „Smit Salvage“, ob das riesige Schiff (Eigenmasse: rund 51.000 Tonnen) noch zu retten ist. Man könnte es mit Schleppern wegziehen oder mit Luftballons aufrichten. Möglicherweise muss es auch zerlegt und abgetragen werden – oder, sollten die Bergungskosten zu hoch sein, in tieferem Wasser ganz versenkt werden.

Lexikon

Die Costa Concordia entstand 2004/5 in Genua in einer Werft der Triestiner Firma „Fincantieri“ und war bei Indienststellung 2006 mit einer Masse von 51.400 Tonnen (etwa die Hälfte eines US-Flugzeugträgers) das größte je in Italien gebaute Schiff. Die Dieselmotoren leisteten 101.400 PS, das 290 Meter lange, 35 Meter breite Schiff mit 17Decks hat u. a. 1500 Kabinen, fünf Restaurants, 13 Bars, ein Theater.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2012)

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