Deutschland: Zentrale Neonazi-Datei beschlossen

Neonazi Morde Deutschland
Neonazi Morde Deutschland(c) dapd (Norbert Millauer)
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Polizei und Geheimdienst sollen die Daten aller "gewaltbezogenen Rechtsextremisten" zentral abrufen können. Eine Neonazi-Mordserie blieb über Jahre unentdeckt, auch weil die Zusammenarbeit nicht funktioniert hat.

Mit einer knapp 10.000 Namen umfassenden Neonazi-Datei will die deutsche Regierung den Kampf gegen gewaltbereite Rechtsextremisten vorantreiben. Das Bundeskabinett beschloss am Mittwoch die Einrichtung der Datensammlung, in der die Informationen der Polizeien und Verfassungsschutzämter aus Bund und Ländern über gefährliche Rechtsextremisten und deren Kontaktpersonen verknüpft werden sollen. So sollen die Behörden Verbindungen in der Szene rascher erkennen können.

Vorbild ist die Anti-Terror-Datei, in der bereits seit Jahren mutmaßlich gefährliche Islamisten gespeichert werden. Die neue Neonazi-Datei bietet den Ermittlern jedoch mehr Möglichkeiten, da sie eine verknüpfte Datenrecherche zulässt - also etwa die Abfrage, wie verbreitet Waffen in der rechten Szene einer bestimmten Region sind.

Auf vier Jahre befristet

Das neue Recherche-Instrument in der Datei wurde auf Drängen von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zunächst auf vier Jahre befristet. Danach soll sein Nutzen bewertet werden. Innenminister Hans-Peter Friedrich sagte, sollte sich das Instrument bewähren, wolle er es "auch im islamistischen Bereich einsetzen". Die Zwickauer Neonazi-Zelle wäre nach den Worten des CSU-Politikers in der Datei gespeichert gewesen. "Unsere Untergetauchten von damals wären heute in dieser Verbunddatei - spätestens seit dem Tag, als bei ihnen Sprengstoff in der Garage gefunden wurde."

Leutheusser-Schnarrenberger hob hervor, dass mit der neuen Datensammlung keine Gesinnungsdatei geschaffen werde. Nötig bleibe aber ein Umbau der Sicherheitsarchitektur. "Nach der beispiellosen Pannenserie muss der Verfassungsschutz in Bund und Ländern besser organisiert werden", forderte die FDP-Politikerin.

Der Aufbau der Datei ist eine Konsequenz der Neonazi-Mordserie rund um die sogenannte "Zwickauer Zelle". Für diese Panne wird unter anderem ein mangelnder Informationsaustausch zwischen den zahlreichen Sicherheitsbehörden verantwortlich gemacht.

Der Thüringer Landtag will unterdessen kommende Woche einen Untersuchungsausschuss zum Neonazi-Trio einsetzen. Die Fraktionen von CDU, SPD, Linken, Grünen und FDP stimmten einem gemeinsamen Antrag zu, wie ein Landtagssprecher am Mittwoch in Erfurt sagte. Das Parlament wird die Einsetzung des Untersuchungsausschusses am Donnerstag nächster Woche offiziell beschließen.

Der Untersuchungsausschuss soll sich unter anderem mit den Ermittlungspannen und Fehleinschätzungen der Sicherheits- und Justizbehörden im Zusammenhang mit dem rechtsextremen Trio befassen und klären, warum die Verdächtigen nach ihrem Abtauchen 1998 jahrelang unbehelligt agieren konnten. Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos waren 1998 untergetaucht, nachdem die Polizei in Jena eine Bombenwerkstatt der Rechtsextremen ausgehoben hatte. Das Trio wird für eine Mordserie an neun Migranten und den Mord an einer Polizistin in Heilbronn sowie mindestens zwei Anschläge in Köln verantwortlich gemacht.

Nach Einschätzung von Verfassungsschutz-Chef Heinz Fromm dürfte die Neonazi-Datei knapp 10.000 Namen umfassen. Genau ließen sich die Zahlen zwar nicht abschätzen. In Deutschland gebe es jedoch etwa 9500 gewaltbereite Rechtsextremisten, unter ihnen ein steigender Anteil sogenannter autonomer Nationalisten. Zudem sollen in der Datei auch ausländische Rechtsextremisten erfasst werden, die zu Gewalttaten bereit und den Behörden bekannt sind. Die Ausgestaltung der Datensammlung als Index- und nicht als Volltext-Datei soll gewährleisten, dass das Trennungsgebot für die Arbeit von Polizei und Verfassungsschutz geachtet wird. In der Regel sollen abfragende Behörden nur Zugriff auf die Grunddaten zur Identifizierung einer Person erhalten, also etwa Name, Geburtsdatum und Anschrift. Weitere Informationen erhalten sie dann auf Anfrage bei der Behörde, die die Daten eingestellt hat.

(Ag.)

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