Die Angst vor den einsamen Wölfen

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Verübte auch die Morde in Frankreich ein Einzeltäter? Die europäischen Sicherheitsbehörden sind alarmiert. Man hat Angst vor den „einsamen Wölfen“, die völlig isoliert ihre Terroraktionen planen und durchführen.

Toulouse/Wildbad kreuth. Nach der brutalen Ermordung von sieben Menschen in Toulouse und Montauban hat die zuständige Staatsanwaltschaft in Paris Ermittlungen wegen „Mordes und versuchten Mordes in Zusammenhang mit einer terroristischen Vereinigung“ aufgenommen. Am Montag waren vor einer jüdischen Schule in Toulouse vier Menschen von einem unbekannten Täter erschossen worden, der danach auf einem Motorroller flüchtete; bereits vergangene Woche waren drei Soldaten in Montauban und Toulouse kaltblütig getötet worden; auch hier war der Mörder mit einem Motorroller unterwegs.

Ob es sich bei all diesen Morden um ein und denselben Täter handelt, ist Gegenstand der Ermittlungen. Auffällig war in allen Fällen die Kaltblütigkeit des Täters, weshalb sogleich die Vermutung auftauchte, er könnte selbst ein ehemaliger Soldat sein.

Arid Uka und Anders Breivik

Faktum ist, dass in den mit Terrorismusbekämpfung befassten Sicherheitsbehörden europäischer Länder derzeit die große Angst vor „einsamen Wölfen“ umgeht – vor Einzeltätern, die völlig isoliert ihre Terroraktionen planen und durchführen. Auch bei einer Expertentagung des Gesprächskreises Nachrichtendienste in Deutschland und der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung in Wildbad Kreuth über „neue Dimensionen des nationalen und internationalen Terrorismus“ war wiederholt von der „erheblich gewachsenen Bedrohung durch Einzeltäter“ die Rede. Deutschland war mit dieser Gefahr bereits direkt konfrontiert: Am 2.März 2011 ermordete der Kosovare Arid Uka auf dem Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten und verletzte zwei weitere schwer. Er ist Anfang Februar zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Dieses Attentat gilt als erster islamistischer Anschlag in Deutschland, der nicht verhindert werden konnte.

Auch die beispiellose Blutorgie des Norwegers Anders Breivik am 22.Juli 2011 mit 77 Mordopfern hat nach jüngsten Angaben des norwegischen Geheimdienstes PST nicht verhindert werden können. Der Geheimdienst habe keinerlei konkrete Hinweise auf die Pläne des Attentäters gehabt.

„Die Radikalisierung dieser Einzeltäter erfolgt im Stillen“, erklärte in Wildbad Kreuth ein hoher Beamter des deutschen Innenministeriums. „Wir haben so gut wie keine Chance, präventiv gegen diese Leute vorzugehen.“

Der Gesamtbefund der deutschen Sicherheitsexperten lautet: „Deutschland ist von einem Vorbereitungs- und Ruheraum zu einem Zielland des islamistischen Terrors geworden.“ Nur durch Glück und Hinweise befreundeter Nachrichtendienste habe bisher verhindert werden können, dass es in der Bundesrepublik zu größeren Terroranschlägen gekommen sei.

Zwar seien der Kern und die zentrale Führung des Terrornetzwerks al-Qaida durch die Ausschaltung Osama bin Ladens und einer Reihe weiterer Führungsfiguren geschwächt, „aber die Terrorgefahr bleibt bestehen“, analysierte ein Mitarbeiter des „Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums“ in Berlin, und der islamistische Terrorismus bleibe die „virulenteste Bedrohung“. Im deutschen Innenministerium will man auch nicht ausschließen, dass der staatlich gesponserte Terrorismus eine Renaissance erleben könnte. Dies sei vor allem dann zu befürchten, wenn der Konflikt um das iranische Atomprogramm weiter eskalieren sollte.

Die deutschen Behörden gehen von rund 1000 Personen in der Bundesrepublik aus, die mit dem islamistischen Terrorismus sympathisieren; 125 davon gehörten zum „harten Kern“, seien „Gefährder“. Von 255 Personen wisse man, dass sie eine paramilitärische Ausbildung durchlaufen hätten oder durchlaufen wollten; ein Teil dieser Personen sei bei Kämpfen im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet umgekommen, ein Teil sei in Haft, ein Teil halte sich in Deutschland auf und werde beobachtet.

Gar nicht gut kommen bei den Sicherheitsbeamten im Gefolge der Rechtsradikalenmorde erhobene Forderungen an, die deutschen Behörden müssten ihre V-Leute aus extremistischen Zirkeln und Parteien abziehen: „Wir brauchen diese Quellen im Radikalenmilieu. Wir brauchen deren Informationen, um operativ arbeiten zu können“, betonte ein Verfassungsschützer aus Baden-Württemberg. Gegen „einsame Wölfe“, lautete ein Einwand, würden V-Leute aber auch nicht helfen.

Hintergrund

Am Montagmorgen hielt ein Unbekannter auf einem Roller vor einer jüdischen Schule in der südwestfranzösischen Stadt Toulouse, stieg ab, schoss mit Pistolen um sich und fuhr davon. Ein Lehrer starb, dazu drei Schüler (zwei davon seine Söhne), ein Jugendlicher wurde schwer verletzt. Derselbe Täter dürfte laut Polizei auch hinter den Morden an drei französischen Soldaten auf offener Straße in Toulouse und Montauban in der Vorwoche stecken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2012)

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