„Als er unten am Boden aufschlug, war er vermutlich schon tot“

(c) Reuters (JEAN-PAUL PELISSIER)
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Donnerstag um halb elf griff die Polizei an. Der 23-jährige Mohamed Merah schoss, sprang aus dem Fenster und wurde in der Luft erschossen. In Frankreich wird unterdessen auch Kritik an dem Einsatz laut.

Toulouse/Paris/R.b. Ab Mittwochabend war alles ruhig in der Wohnung in jenem Haus in Toulouse, wo der „Motorroller-Killer“ von Toulouse und Montauban, Mohamed Merah (23), sich seit den frühen Morgenstunden verbarrikadiert hatte. Zunächst hatte er noch versprochen, er werde sich bis zum Abend der Polizei ergeben. Doch dann änderte er seine Meinung, stellte sich tot und reagierte auch nicht, als Polizisten Lärmgranaten in seine Wohnung warfen. Stunden später war er wirklich tot.

In der Nacht wurde gerätselt, ob der Terrorist, der die Verantwortung für drei Attentate mit sieben Todesopfern in den vergangenen zwei Wochen übernommen hatte, womöglich Selbstmord begangen haben könnte. Das Einsatzkommando der Elitetruppe „Raid“ gab an, die Kommunikation mit dem Verbrecher per Handy sei seit 23 Uhr unterbrochen. Alle möglichen Gerüchte zirkulierten. Um Mitternacht hieß es, Polizisten hätten die Wohnung erstürmt. Zwischendurch waren in der Straße immer wieder vereinzelte Schüsse zu hören. Sie dienten vielleicht dazu, Merah am Schlafen zu hindern und so zu zermürben.

Am Donnerstagmorgen hatte die Belagerung schon mehr als dreißig Stunden gedauert. Die Taktik, mit der er zum Aufgeben bewegt werden sollte, hatte aber nicht zum Erfolg geführt. Und so wählte man die Offensive – freilich unter der Vorgabe des Innenministers, den Verdächtigen lebend gefangen zu nehmen, um ihm den Prozess machen zu können. Es sollte ihm nicht gelingen, als „Märtyrer“ zu sterben.

Gegen halb elf hätten dann Raid-Beamte das Haus infiltriert, hieß es später, und eine Dreiviertelstunde danach hörte man Salven aus automatischen Waffen knattern. Das Gefecht dauerte mehr als fünf Minuten.

Innenminister Claude Guéant erklärte den Ablauf des Sturms: Merah habe erklärt, er wolle sich nicht mehr stellen, sondern bis zum Ende Widerstand leisten und wenn möglich Polizisten töten. Der Sturmtrupp sei dann kurz nach elf in die Wohnung eingedrungen, worauf Merah aus dem Badezimmer gerannt sei und aus Schnellfeuerwaffen geschossen habe. Zwei Beamte wurden verletzt, einer sagte hinterher, er habe noch nie einen derart schweren Angriff erlebt. Die Beamten schossen zurück, doch Merah lief laut Guéant zu einem Fenster, wobei er weiter schoss, und sprang in die Tiefe. Beim Sprung durchs Fenster habe ihn ein Scharfschütze erwischt, Merah sei also wohl schon tot gewesen, als er am Boden aufschlug.

Wenig später dankte Staatspräsident Nicolas Sarkozy den Beamten des Raid. In Frankreich wird indes auch Kritik an dem Einsatz laut, bei dem es der Elitetruppe nicht gelungen ist, einen einzelnen Mann lebend zu fangen. Sarkozy sagte jedenfalls, es werde nun untersucht, ob Merah nicht doch Komplizen hatte. Der Präsident forderte auch neue Maßnahmen gegen radikale Islamisten. Wer zum Beispiel regelmäßig Internetseiten besuche, auf denen Terror verherrlicht wird, müsse bestraft werden. Ebenfalls strafbar müsse es werden, in bestimmten Staaten Kontakte zu terroristischen Gruppen zu knüpfen. Außerdem sei es nicht zu akzeptieren, dass „gewisse Gefängnisabteilungen“ in Frankreich zu „Indoktrinierungszentren“ fanatischer Islamisten würden. Sarkozy warnte freilich davor, alle Muslime pauschal nun für die Taten Merahs verantwortlich zu machen.

„Islamistische Gefahr unterschätzt“

Zwietracht und Polemik ließen indes nicht auf sich warten: Marine Le Pen, die Präsidentschaftskandidatin der rechtsnationalen „Front National“, warf der Staatsführung vor, sie habe die Gefahr unterschätzt, die von „politisch-religiösen Gruppen“ und von Islamisten ausgehe. Sie hoffe, dass jetzt die Themen, welche ihr zufolge die Franzosen am meisten berührten, nämlich die Immigration und Probleme mit dem Islam, ins Zentrum der Wahlkampagne rückten.

Der Täter

Mohamed Merah auf einem Video, das dem französischen TV-Sender France2 zugespielt wurde. [EPA]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2012)

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