Jugendweihe: Eine Firmung, die den Unglauben stärkt

Jugendweihe Eine Firmung Unglauben
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Die Jugendweihe hat das Ende der DDR überlebt. Nun steigen sogar wieder die Teilnehmerzahlen. Warum der Konfirmationsersatz für Ungläubige so beliebt ist, erklärt eine Studie.

Jenni hat sich schön gemacht für den großen Tag. Die Schminke fühlt sich noch etwas seltsam an, auch mit den Stöckelschuhen betritt sie Neuland. Aber in ihrem grünen Sommerkleid sieht die vierzehnjährige Berlinerin aus wie eine junge Prinzessin. Viel reifer als die linkischen Jungs aus ihrer Klasse, die in schlecht sitzenden Anzügen, weißen Turnschuhen oder gar einem roten Irokesen das Tor zur Erwachsenenwelt durchschreiten.

Der Stolz der Eltern aber ergießt sich gleichmäßig über den Nachwuchs. Willig folgen sie dem Werbespruch im Multiplexkino am Ostberliner Stadtrand: „Wenn Sie Ihr Kinder wiedersehen wollen, bestellen sie unsere DVD.“ Das leisten sie sich noch, nach dem Familienpaket für Kind und sechs Gäste um 140 Euro. Viel Geld für einfache Leute, die es nicht so dick haben. Aber es ist ja ein ganz besonderer Tag, denn „heiraten kann man öfter, Jugendweihe gibt es nur einmal“.

Das Fest, mit dem die Kindheit Abschied nimmt: Was den Österreichern die Firmung, ist den Ostdeutschen die Jugendweihe. Man kennt sie aus der DDR, doch die Tradition reicht 160 Jahre zurück, in die Zeit der freireligiösen Gemeinden. Damals trennten sich engagierte Protestanten und Katholiken von ihren Amtskirchen und ersetzten die kirchlichen Riten durch eigene Feste als Wegmarken des Lebens. Ohne Dogmen und Autoritäten wurden aus den Freireligiösen im Laufe der Zeit zunehmend Freigeister, humanistisch gestimmte Atheisten.

Die Jugendweihe aber nahmen Gruppen mit strengerer Gesinnung in Beschlag: die Arbeiterbewegung und die Deutschnationalen. In der Weimarer Republik blühten in deutschen Großstädten die proletarischen Jugendweihen auf, bei denen kommunistische Politiker ihre Reden schwangen. Das mussten die Nazis natürlich verbieten, sie griffen aber im Krieg mit der „NS-Jugendleite“ auf den geübten Ritus zurück. Und dann kam die DDR.

Jugend auf Parteilinie gebracht. Jennis Opa erinnert sich: „Zu meiner Zeit, da war das ja alles noch ganz anders. Viel politischer.“ Tatsächlich baute die SED die Jugendweihe zum wichtigsten Instrument der ideologischen Gleichschaltung aus. Im Rahmen des scheinbar privaten Familienfestes mussten die Weihlinge ein Gelöbnis auf die kommunistische Gesellschaft ablegen, nachdem man sie in Vorbereitungskursen monatelang indoktriniert hatte. Als Belohnung gab es für jeden das Buch „Der Sozialismus – Deine Welt“. Wer nicht mitmachte (es waren nur wenige), wurde schief angesehen und musste mit Repressionen rechnen. Dafür gab es am hohen Festtag gutes Fleisch für alle – die Partei sorgte dafür, dass die Restaurants ausnahmsweise ausreichend versorgt wurden.

Mit dem Fall der Mauer schien auch der Mythos Jugendweihe als Relikt der Diktatur abbruchreif. Stattdessen folgte ein Auf und Ab. Nur für kurze Zeit halbierten sich die Teilnehmerzahlen. 2002 lag der Anteil der geweihten 14-Jährigen schon wieder bei zwei Drittel, sank dann aber auf gut 40 Prozent. Neuerdings gibt es wieder einen Trend nach oben. Fast trotzig halten die Ostdeutschen daran fest: Ihre kollektive Familienfeier, dieses letzte Stück DDR-Tradition, wollen sie sich nicht nehmen lassen. Die Jugendweihe, so scheint es, ist nicht unterzukriegen.

Auch nicht im sterilen Filmtheater von Hohenschönhausen. Während draußen die Frühlingssonne lacht, eilen die Teilnehmer in einen dunklen Kinosaal, in dem sonst „American Pie“ läuft. Es folgt eine Weihe ohne Weihrauch, ein Ritus ohne Botschaft, eine Initiation ohne Folgen. Zwei Stunden lang ziehen die Veranstalter ihre Show ab. Die Weihlinge okkupieren die ersten Reihen, dahinter staffelt sich die staunende Verwandtschaft. Raumschiffe sausen über die Leinwand, eine Bauchtänzerin wirbelt über die Bühne, eine Soul-Combo animiert zum Mitklatschen und ein „Hausdichter“ sorgt für frech-flotte Sprüche. Bei der Festrede einer Vereinsfunktionärin wird es dann ein wenig feierlicher – aber das Pathos darf draußen bleiben.

Die Jugendweihe, ein sinnentleertes Event im wertfreien Raum? Ein wenig abgespeckte Weltanschauung kommt schon rüber. Der Song zum „König der Löwen“-Video vermittelt noch kruden Materialismus: Wir sind dem Gesetz der Natur geweiht, das Leben ist ein ewiger Kreis – da hätte Nietzsche seine helle Freude dran.

Wellness und KZ-Besuch. Dann ist aber auch von Toleranz, Achtung und Respekt die Rede. Es wäre gut, wenn man den Nachbarn nicht mit dem Ellbogen verdrängen muss, um seine Träume zu verwirklichen. Aber das liegt offenbar nicht in der Verantwortung des Einzelnen, sondern an den Zwängen der Gesellschaft – ein Häppchen Kapitalismuskritik muss sein.

Das Vorbereitungsprogramm ist freiwillig, das Angebot groß und bunt. Neben Therme und Vergnügungspark findet sich auch ein Ausflug in ein KZ. Hinterfragt wird die fernere Zeitgeschichte, der Faschismus, nicht aber die Rolle der Jugendweihen für die DDR. Dieses Thema ist tabu, für Jennis Familie und erst recht für die Veranstalter – die echten DDR-Nostalgiker sind schließlich ihre besten Kunden.

Am gleichen Wochenende, im Harz, hat der Pastor von Gernrode seine Schäfchen rasch gezählt. Auch hier wird etwas geboten: Eine Gospeltruppe aus einer Nachbargemeinde tritt auf, unterstützt von Blasmusik. Doch die 45 Sänger und Musiker haben gerade einmal 15 Gläubige in das Gotteshaus gelockt. Es sind, so scheint es, die letzten Getreuen. Mehr als ein Jahrtausend hat die ottonische Stiftskirche auf dem Buckel, aber ihr Ende als lebendiges Gotteshaus ist abzusehen.

Was die ungleichen Feiern widerspiegeln, haben Soziologen der Uni Chicago in Zahlen gegossen auf den Punkt gebracht: Ostdeutschland ist die gottloseste Region der Welt. Die Forscher haben Menschen in 30 Ländern mit christlichen Mehrheiten befragt, wie sie es denn mit der Religion halten. Deutschland wird, wegen der großen Unterschiede zwischen Ost und West, als zwei Länder behandelt.

Langsam entfremdet.
Das Ergebnis: Knapp 60 Prozent haben in der Ex-DDR noch nie an Gott geglaubt, nur für acht Prozent existiert ein persönlicher Gott. Das macht die Ostdeutschen zu Weltmeistern in Sachen Atheismus. Die religiöse Repression in 60 Jahren brauner und roter Diktatur hat ihnen den Glauben gründlich ausgetrieben. Warum aber führte die Wende nicht zu einer Wiederauferstehung des religiösen Lebens wie in Polen oder Russland? Die Entfremdung setzte im Osten Deutschlands schon lange vor dem Dritten Reich ein. Die „affektive Bindung“ zur Kirche war vor allem bei den Protestanten schon im 19. Jahrhundert „deutlich geschwächt“, erklärt Religionssoziologe Detlef Pollack.

In Ländern wie Polen oder Kroatien verband sich in der Endzeit des Ostblocks das Bekenntnis zur Kirche mit einem neuen Nationalbewusstsein. In Deutschland aber war die Liaison von Kirche und Staat durch die Erfahrungen mit dem preußischen Staatskirchentum und dem Nazi-Regime politisch diskreditiert.

Daran konnten auch die Pastoren nichts ändern, die ihre Kirchen zu Reservaten des Widerstands machten. Denn die Opposition in der DDR war keine Massenbewegung, die „geborgte Religiosität“, die ein paar tausend Regimegegner aus ihren Gotteshäusern mitnahmen, bröckelte nach der Wende schnell, als die Kirchen ihre politische Funktion verloren.

Vor allem aber sollte Marx recht behalten: Die ökonomische Basis bestimmte das Bewusstsein. Von allen Ländern des Ostblocks war die DDR wirtschaftlich am weitesten entwickelt. Heute liegen Einkommen und Wohlstand in den Neuen Ländern nahe dem westeuropäischen Niveau. Die Folge: Säkulare Alternativen zur Religion sind leichter verfügbar als in anderen osteuropäischen Staaten. Der Discobesuch am Samstagabend, Theater, Kino, die zahllosen Angebote der Medien und Möglichkeiten der Kommunikation – das alles „zieht vom religiösen Engagement ab“. Trifft der Wohlstand auf eine schon gewohnte Distanz zum Glauben, bildet sich ein stabiles areligiöses Milieu.


Mission auf verlorenem Posten. Das lässt bei den Kirchen die Alarmglocken läuten. Sie haben Ostdeutschland zum Missionsgebiet erklärt. Pollack macht ihnen wenig Hoffnungen: „Die Erfolge der letzten 20 Jahre waren minimal. Es ist nicht damit zu rechnen, dass die Kirchen hier wieder an Attraktivität gewinnen.“ Die Chicago-Studie zeigt auch, dass die Jugendlichen in allen christlichen Ländern vom Glauben wegtendieren. Bietet Ostdeutschland also einen Vorgeschmack auf einen generellen Trend? Pollack erwartet, dass der fest verwurzelte Atheismus ein regionales Phänomen bleiben wird: Im Westen Deutschlands und Europas „gehört die Kirche irgendwie zum kulturellen Bestand dazu – auch wenn die Zugehörigkeit affektiv nicht hoch aufgeladen ist.“ Die Trägheit bewirkt, dass sich dieser Bestand hält. Im Osten ist der Glaube „weggebrochen“ und aus den Trümmern manch Neues entstanden – wie die Jugendweihe.

Am Ende der Feier werden die jungen Erwachsenen in Grüppchen auf die Bühne geholt, die mit ein paar Plastikblumenarrangements kärglich geschmückt ist. Sie erhalten ihre Urkunde mit dem Geleitspruch eines großen Dichters, ein naturkundliches Sachbuch, Blümchen und einen kurzen Händedruck. Sie wirken erstaunlich nervös, man weiß nicht recht warum. Erst draußen, beim kollektiven Schulterklopfen, finden sie wieder zu sich. Und dann geht es schon ab zum festlichen Mittagessen, Geschenke aufreißen und Geldkuverts empfangen.

(c) Die Presse / GK

Für einen Tag stehen sie ganz im Mittelpunkt ihrer Familie. Und von nun an, ach ja, sind sie keine Kinder mehr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2012)

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