Tschechien: Roma-Hetze nach erlogenem Überfall

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Aus Angst vor seiner Mutter gab ein Teenager vor, von einer Roma-Gang geschlagen worden zu sein. So brachte er halb Tschechien gegen die Minderheit auf. Die Berichterstattung wiederum hetzte die Leute richtig auf.

Prag. Petr Z. ist ein hübscher Bursche. Blonde Locken, stahlblaue Augen. Petr ist 15, Schüler, und lebt im südmährischen Břeclav (Lundenburg), unweit der Grenzen zur Slowakei und Österreichs. Er ist ein Sporttalent, heißt es. Mit dem Sport ist es vorbei. Mit seinem Ruf auch. Und auch der Ruf seiner Freunde ist dahin, der seiner Mutter und der großer seriöser Zeitungen in der Hauptstadt Prag. Sie alle haben eine Räuberpistole erzählt, die ganz Tschechien in Aufruhr versetzt hat.

An einem Abend im April will Petr ein paar Freunden zeigen, was er sportlich so drauf hat. Im Hausflur eines Plattenbaus turnt er am Treppengeländer. Plötzlich verliert er das Gleichgewicht und stürzt eine Etage tiefer auf das dortige Geländer und verletzt sich schwer.
Aus Angst vor der Strafe seiner Mutter, einer 42-jährigen, aus der Ukraine zugewanderten Dolmetscherin, erzählt Petr eine Lügengeschichte: Er sei im Stadtzentrum von drei Roma überfallen worden. Die hätten Zigaretten von ihm gewollt. Als er sagte, dass er keine habe, hätten sie ihn zusammengeschlagen. Im Krankenhaus diagnostizieren die Ärzte innere Verletzungen. Sie müssen Petr eine Niere entfernen. Die gequetschte Leber können sie immerhin retten.

Rechte marschieren auf

Die Mutter wendet sich an Polizei und Presse. Vor allem für Letztere ist die Story ein gefundenes Fressen. Seit Jahr und Tag gibt es schlimme Übergriffe von „weißen“ Tschechen auf die dunkelhäutigen Roma.
Molotowcocktails fliegen in armselige Behausungen von Roma-Familien. Derlei erschüttert die Tschechen zwar; zu einem generellen Umdenken in ihrem latent gestörten Verhältnis zu den Roma aber hat es nicht geführt: Roma werden als Nachbarn weniger gelitten denn je, sagen Umfragen. Sie seien die „Schmarotzer“ des Systems. Die Rechten haben da ein leichtes Spiel: Über Wochen marschierten an der Grenze zu Sachsen die „weißen“ Tschechen gegen die Roma auf, angeblich wegen Übergriffen von Angehörigen der Minderheit. Belege dafür fehlten aber – bis Petr kam. Jetzt hatten die Medien eine handfeste Story von einem „wirklichen“ Roma-Überfall.

Die Berichterstattung wiederum hetzte die Leute richtig auf. An einem Wochenende marschierten aus ganz Tschechien angereiste Rechte zusammen mit aufgebrachten Einheimischen durch Břeclav. Und ein prominenter Schlagersänger sammelt Spenden für Petr, der im Krankenhaus lag. Zur selben Zeit aber kam die Polizei dahinter, dass Petrs Freunde gelogen hatten. Am gestrigen Donnerstag fielen die Zeitungen dann über sie her.

Nun droht allen Beteiligten ein Nachspiel, den Burschen eine Anklage; der Schlagerstar will sein Geld zurück; und mit dem Verhalten der Zeitungen wird sich wohl die Ethikkommission des Journalistenverbandes befassen.

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