Neue Atheisten: Kein Kompromiss mit dem „Gotteswahn“

Neue Atheisten lehnen auch Agnostizismus ab.

WiEN. „Der Atheismus des 19. und des 20.Jahrhunderts ist von seinen Wurzeln und seinem Ziel her ein Moralismus: ein Protest gegen die Ungerechtigkeiten der Welt und der Weltgeschichte.“ In seiner Enzyklika „Spe salvi“ begegnet Papst Benedikt XVI. dem Atheismus erst geradezu verständnisvoll – bevor er ihm vorwirft, dass aus seinem Anspruch auf Gerechtigkeit ohne Gott „die größten Grausamkeiten und Zerstörungen des Rechts folgten“.

Genau diesen Zusammenhang bestreiten die neuen Atheisten heftig. „Entscheidend ist nicht, ob Hitler und Stalin Atheisten waren“, sagt Richard Dawkins, Biologe und Wortführer der „neuen Atheisten“, „sondern ob der Atheismus die Menschen systematisch dazu veranlasst, schlimme Dinge zu tun. Und dafür gibt es nicht den geringsten Anhaltspunkt.“

Nein, die Welt wäre besser ohne Gottesglauben. Das sagt z.B. John Lennon im Song „Imagine“. Oder der portugiesische Literaturnobelpreisträger José Saramago: Die Menschen würden in einer friedlicheren Gesellschaft leben, wenn sie alle Atheisten wären. Mit ähnlichen Argumenten wandte sich Umberto Eco gegen die Aussagen des Papstes: Nicht ohne Grund hätten die Nazis den Spruch „Gott mit uns“ verwendet, die Militärkapläne der Falangisten die faschistischen Wimpel gesegnet. Religion sei nicht, wie Marx sagte, „das Opium des Volkes“, sondern eher Kokain fürs Volk, anstachelnd.

Der – ausführlich begründeten – Verachtung für die Religion entspricht bei Dawkins der Stolz auf den Atheismus. Mit seinem Buch „Der Gotteswahn“ beabsichtigte er laut eigener Aussage, Menschen beim „Coming out“ als Atheisten zu helfen: „Hier gilt genau das Gleiche wie bei der Homosexuellenbewegung: Je mehr Menschen sich zu ihrer Überzeugung bekennen, desto einfacher wird es für andere, sich ihnen anzuschließen.“

Bekennende „Brights“

In diesem Sinn versucht die US-Initiative „The-Brights.net“, den positiven Begriff „bright“ (hell) so zu besetzen, wie die Homosexuellen das Wort „gay“ (ursprünglich: fröhlich) besetzt haben. „Die Zeit ist reif für uns Brights, uns zu bekennen“, schrieb US-Philosoph Daniel Dennett: „Was ist ein Bright? Eine Person mit einem naturalistischen Weltbild, frei von Übernatürlichem. Wir Brights glauben nicht an Geister, Elfen oder den Osterhasen ? oder an Gott.“

Charakteristisch für die neuen Atheisten ist, dass sie eine agnostische Haltung – wie sie viele sozialdemokratische Politiker, z.B. Bruno Kreisky, einnahmen – für einen faulen Kompromiss halten. Dawkins schildert mit Sympathie einen Prediger, der Atheisten respektierte, aber Agnostiker als „sentimentale, verweichlichte, warmduschende, blässliche Ihr-Fähnchen-nach-dem-Wind-Hänger“ sah. Da wankt sogar der Nichtangriffspakt mit der Naturwissenschaft: Als „irrig“ bezeichnet Dawkins die „Vorstellung, die Existenz oder Nichtexistenz Gottes sei eine Tabufrage, die für alle Zeiten außerhalb des Bereichs der Wissenschaft liege“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2007)

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