Wirtschaftskammer: Industriebetriebe flüchten aus Wien

Brigitte Jank
Brigitte Jank(c) GEPA pictures (GEPA pictures/ Ch. Kelemen)
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Gebührenlawine, Bürokratie, Parkpickerl: Immer mehr Wiener Industriebetriebe flüchten laut Wirtschaftskammer aus Wien. Die Stadt würde den Unternehmen das Leben immer schwerer machen.

Wien/Red. Für die Wirtschaft in Wien wird es immer enger – damit auch für die Arbeitsplätze. Am Freitag präsentierte Brigitte Jank, Präsidentin der Wirtschaftskammer Wien, die neuesten Daten. Und die sehen alles andere als gut aus – vor allem für die Wiener Industrie.

„Rund 13 Prozent der etwa 800 klassischen Wiener Industrieunternehmen haben in den vergangenen zwei Jahren mit zumindest Teilen ihres Betriebs Wien verlassen“, erklärte Jank. 40 Prozent dieser Unternehmen wanderten nach Niederösterreich ab, 60 Prozent gleich direkt ins Ausland.

Die Dramatik ist in der langfristigen Entwicklung der Industriearbeitsplätze noch deutlicher abzulesen. 1990 waren noch 115.000 Menschen bei Wiener Industriebetrieben beschäftigt. Im Jahr 2000 waren es nur mehr 75.000. Und heute sind es nur mehr 55.000. Wobei an der Industrie heute auch noch rund 200.000 andere Arbeitsplätze hängen (Zulieferer etc.).

„Massiver Standortnachteil“

Der Strukturwandel allein ist nicht an dem massiven Abbau von Industriearbeitsplätzen schuld, erklärt Jank. Vielmehr würde die Stadt den Unternehmen das Leben immer schwerer machen. Gerade die massiven Gebührenerhöhungen in jüngster Zeit hätten laut Kammerumfrage nicht wenige Unternehmen dazu bewogen, einen Umzug nach Niederösterreich zu erwägen, kritisierte Stefan Ehrlich-Adam, Spartenobmann der Industrie in der Kammer: „Erst Anfang dieses Jahres wurde die U-Bahn-Steuer auf einen Schlag um 180Prozent erhöht.“ Ein Industriebetrieb mit 250 Mitarbeitern müsste nun jährlich rund 17.000 Euro mehr zahlen, so Ehrlich-Adam. Dazu käme die 33-prozentige Erhöhung des Wasserpreises, sechs Prozent mehr für Abwasser sowie Müll. Und die massive Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung in Wien würde Betriebe ebenfalls in Probleme bringen und Abwanderungsgedanken verstärken, so Ehrlich-Adam: Denn viele Industriebetriebe würden für Mitarbeiter ohne Auto kaum erreichbar sein. Gleichzeitig würde durch die „Pickerl“-Ausweitung der Wirtschaftsverkehr behindert. Und: Die Grundstückspreise in Wien seien enorm hoch, die Stadt stelle nicht genug Flächen zur Verfügung, so Ehrlich-Adam: Von 2001 bis 2012 sei die industriell gewidmete Fläche deutlich um rund 16 Prozent auf 2238 Hektar gesunken.

Brauner kontert Angriffe

Laut Umfrage sehen 66 Prozent der Industriebetriebe die hohen Kosten (Gebühren, Betriebskosten, Lohnkosten) als Standortnachteil, 60 Prozent die hohen Grundstückskosten und 55 Prozent die Wiener Bürokratie. Dazu Jank: Aktuell gebe es mehr als 8000 Landesgesetze und Verordnungen, die selbst für versierte Juristen schwer zu überblicken sind.

Wirtschaftsstadträtin Renate Brauner ist von der Kritik völlig überrascht: „Ich bin verwundert, dass die Wirtschaftskammer den Standort Wien plötzlich so schlechtredet.“ Die „Financial Times“ habe Wien vor Kurzem im Bereich „cities of the future“ auf Platz drei und im Bereich „wirtschaftliches Potenzial“ auf Platz eins gewählt. Und nun komme die Wirtschaftskammer „mit dieser Schärfe an Kritik“. Was Brauner ebenfalls stört: Es gebe eine Arbeitsgruppe, die Maßnahmen für eine Verbesserung des Wirtschaftsstandorts Wien erarbeitet. Dort ist auch die Wirtschaftskammer vertreten. Und dort sei nichts von Kritik zu hören gewesen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2012)

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