Moshe Jahoda: "Träume fast jede Nacht von den Eltern"

Rose auf dem Stacheldrahtzaun des KZ Auschwitz
Rose auf dem Stacheldrahtzaun des KZ Auschwitz(c) REUTERS (Peter Andrews)
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Moshe Jahoda floh mit zwölf aus Wien nach Palästina. Er hat mit Österreich die Entschädigungszahlungen für Holocaust-Überlebende ausgehandelt. Eine „große gute Tat“: das Pflegegeld für chronisch Kranke.

Dass er über die israelische Politik nicht sprechen will, lässt Moshe Jahoda schon vor dem Interview ausrichten. „Ich habe dazu meine persönliche Meinung wie jeder Mensch in Israel“, sagt der 86-Jährige nur (dass sie nicht unkritisch ist, weiß man von früher). Mehrere wichtige Ämter im wirtschaftspolitischen und sozialen Bereich hat er in Israel bekleidet, bevor er ein hoher Funktionär der Claims Conference wurde, die Entschädigungsansprüche jüdischer NS-Opfer vertritt. Als Vertreter in Österreich verhandelte er über die Entschädigungszahlungen. „Ich habe mich von jeder politischen Aktivität entfernt,“ sagt er heute. „Für mich war es nur wichtig, das Leben der Holocaust-Überlebenden zu erleichtern.“

Im Frühjahr erscheint nun bei Edition Steinbauer seine Autobiografie auf Deutsch. Auf Hebräisch liegt sie schon vor – eine Sprache, die der gebürtige Wiener lernte, nachdem er als 13-Jähriger beschlossen hatte, mit einem Kindertransport nach Palästina zu fliehen. Seine Eltern und seine Schwester wurden in Auschwitz ermordet.

Die Presse: Was gab Ihnen als Bub die Entschlossenheit, ohne Ihre Familie aus Österreich zu fliehen? Was wussten Sie, glaubten Sie zu wissen?

Moshe Jahoda: Diese Frage beschäftigt mein Gedächtnis. Wir hörten viel aus Deutschland, und ich las früh Zeitungen. Da hat mich immer das Gerede von den reichen Juden verwundert, ich habe mich gefragt, sind wir ein Teil dieser reichen Juden? Wir waren ja eine arme Familie. Man hat jüdische Nachbarn verhaftet, zwei Frauen haben aus Dachau eine Urne bekommen mit der Asche ihrer Männer. Das alles hat mich von kindlichen Illusionen befreit. Ich war dabei, als man uns in eine Zwangskollektivwohnung getrieben hat. Damals habe ich beschlossen, ich muss alles tun, um wegzukommen. Als Kind habe ich mich auch bemüht, meine Eltern und meine Schwester rauszukriegen.

Sie haben einmal erzählt, wie Sie sich von Ihrer Mutter verabschiedet haben...

Meine Mutter hat mich am Südbahnhof geküsst, und ich hab gesagt, wie ein Kind sagt: „Mami, die Leute schauen!“ Auf dem Bahnsteig hab ich dann zu mir gesagt: Du Dummkopf, du! Vielleicht war das das letzte Mal, dass deine Mutter dich geküsst hat.

Vor 30 Jahren betraten Sie erstmals wieder Wien.

Ich hatte eine wichtige Aufgabe, auch, als ich vor zehn Jahren als Vertreter der Claims Conference nach Wien gekommen bin. Das war für mich auch eine seelische Ausrede dafür, in diese Stadt zu kommen, die ich geliebt hab und die mich verraten hat.

2010 wurde bekannt, dass Betrüger, sechs davon aus der Claim Conference in New York, 46 Mio. Dollar durch gefälschte Anträge lukriert haben...

Ich war nie involviert, auch nicht in meiner Zeit in der Claims Conference in Amerika. Und ich habe nie persönlich Menschen kennengelernt, die versucht haben, sich an jüdischem Opferblut persönlich zu bereichern. Das war ein sehr harter Schlag für mich.

Sie waren federführend an der Aushandlung des Washingtoner Vertrags 2001 über Entschädigungszahlungen für jüdische NS-Opfer aus Österreich beteiligt. Und Sie überwachen bis heute die Maßnahmen. Wie zufrieden sind Sie heute damit?

Gerade mit all dem, was ich durchgemacht habe und heute noch seelisch durchmache, war es für mich ganz wichtig, Kurator im Zukunftsfonds und im Nationalfonds zu sein. Ein Punkt, über den man zu wenig spricht, ist mir besonders wichtig. Unter den Überlebenden sind viele chronisch Kranke, Kranke, die in ihrem Leiden vielleicht auch ihre Vergangenheit mit sich schleppen. Und Österreich hat mit dem Pflegegeld für diese Leute wirklich viel erreicht. Ich treffe in den israelischen Altersheimen immer wieder Leute, Ex-Österreicher, die diese Unterstützung bekommen haben und es sich deswegen erlauben können, medizinisch gut versorgt zu werden. Österreich hat da eine große gute Tat getan.

Hat Österreich also genug getan?

Viele glauben, dass es tiefer in die eigene Tasche greifen sollte. Ich bin ambivalent eingestellt. Meine Familie hat eine Buchdruckerei in der Schottenfeldgasse gehabt, sie wurde uns weggenommen. Mein Cousin und ich haben im Rahmen der Entschädigungszahlungen jeder 7000 Dollar bekommen, etwas lächerlich für eine gut gehende Druckerei. Aber in der politischen Atmosphäre damals gab es kaum Chancen für Verbesserungen. Den inneren Schmerz kriegt man ohnehin nicht weg. Es gibt wenige Nächte in meinem Leben, in denen ich nicht von meinen Eltern und meiner Schwester träume.

Wie hat das Ihr Verhältnis zu Gott geprägt?

Der Glaube, dass die damals Ermordeten im Himmel sind und in einer anderen Welt existieren, kann ein bisschen wie Chloroform wirken. Aber ich – ich weiß nicht. Jeder intelligente Mensch hat seine Zweifel, was mit den Seelen der Millionen Ermordeten passiert ist. Am Tag nach der Kristallnacht bin ich fast neben unserem Tempel in der Turnergasse gestanden und hab gesehen, alles verbrennt. Ich bin da gestanden und hab geweint und mir gesagt, wie lässt Gott das zu? Keiner von den Erwachsenen, die vorbeigegangen sind, hat mich gefragt: „Du kleiner Junge, warum weinst du da?“ Ich hätte es ihnen gern erklärt, aber keiner hat gefragt.

Schreckt es Sie, dass Sie zu den letzten Überlebenden gehören und die kollektive Erinnerung künftig keinen „Sitz im Leben“ mehr haben wird?

Warum sollte das einen Menschen wie mich interessieren? Ich frage mich: Sind die Seelen der Gequälten in einer anderen Welt gelandet? Ist es richtig, wenn wir annehmen, in so einer Welt zu leben, in der der starke Gott nicht auf eine menschlich begreifbare Weise eingegriffen hat? Ich weiß es nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2012)

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