Asyl: Worum es in der Votivkirche geht

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Mit Aktionismus verschaffen sich die Aktivisten des "Refugee Protest Camp" in der Wiener Votivkirche Gehör. Doch wie ist die Lage der Asylwerber - in Zahlen und Fakten?

Was brauchen Asylwerber? Und: Wie viel aktionistische Inszenierung brauchen ihre Forderungen? Seit Ende November köchelt die Debatte. Damals startete ein Protestmarsch vom (zu dem Zeitpunkt noch übervollen) Erstaufnahmezentrum Traiskirchen in Richtung Wien, wo im Votivpark das „Refugee Protest Camp Vienna“ aufgeschlagen wurde. Vor Weihnachten übersiedelten die Aktivisten in die Votivkirche, die inzwischen seit elf Tagen „besetzt“ ist. Was wollen die – teils im Hungerstreik befindlichen –Aktionisten genau? Was sagen die Behörden? Und wie ist eigentlich die Lage von Asylwerbern in Österreich? Ein Überblick:

1 Wie viele Asylwerber gibt es, und aus welchen Ländern kommen sie?

Derzeit gibt es 20.324 Asylwerber in Österreich. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Anzahl der Anträge um etwa 20 Prozent. Die meisten kommen aus Afghanistan, auf Platz zwei folgt die Russische Föderation, dann Pakistan. 2011 wurden 3572 Anträge positiv abgeschlossen, 11.553 wurden abgelehnt.

2 Was fordern die Menschen in der Votivkirche genau?

Dreizehn Forderungen werden auf der Homepage des „Refugee Camp Vienna“ zusammengefasst. Einige werden von der Caritas mitgetragen: wie der Wunsch, nicht mehr in abgelegenen und schlecht ausgestatteten Unterkünften untergebracht zu werden. Zu den weiteren Anliegen gehört aber auch das Recht, arbeiten zu dürfen, oder die Löschung der Fingerabdrücke. Denn sind die Daten einmal erfasst und ist der Asylantrag abgelehnt, können die Betroffenen in einem anderen Staat keinen neuen Antrag stellen. Aber es gibt auch skurrilere Forderungen: etwa ein Friseur für Männer und Frauen.

3 Was sagen die Behörden zu diesen Forderungen?

Vergangene Woche gab es einen runden Tisch mit den Aktivisten. Danach wurde dem Ministerium eine Liste mit 71 Personen übermittelt, bei denen die Aufnahme in die Grundversorgung geprüft werden sollte. Laut Ministerium ist das bei 42 möglich (15 Personen waren den Behörden unbekannt, 14 haben einen negativen Asylbescheid). Das Angebot für die 42 wurde von den Aktivisten aber ausgeschlagen. Im Ministerium wartet man nun ab. Die übrigen Forderungen will man nicht kommentieren, denn diese würden „zu oft wechseln“. Als „unrealistisch“ abgelehnt wird jedenfalls die Forderung nach der Fingerabdruck-Löschung. Die Abdrücke seien nötig, damit Asylwerber nicht in verschiedenen EU-Staaten mit unterschiedlichen Identitäten um Asyl ansuchen. Keinen Änderungsbedarf sieht auch das Sozialministerium, was den Zugang zum Arbeitsmarkt während des Asylverfahrens betrifft. Das Problem würde durch die Beschleunigung der Asylverfahren ohnehin entschärft. Derzeit dürfen Asylwerber drei Monate nach der Zulassung zum Asylverfahren als Saisonniers (Landwirtschaft, Tourismus) tätig sein. Minderjährige Asylwerber dürfen eine Lehrstelle annehmen, sofern sich sonst kein Bewerber findet. Erst anerkannte Flüchtlinge dürfen regulär arbeiten. Warum das vorher nicht möglich ist, begründet das Ministerium so: Die Unsicherheit des Aufenthalts erschwere eine Vermittlung.

4 Wie lange dauert ein Asylverfahren im Durchschnitt?

Das hängt von vielen Faktoren ab – etwa wie schnell man alle dafür benötigten Informationen sammeln kann. Grundsätzlich gilt: 60 Prozent aller Asylverfahren werden in den ersten drei Monaten abgehandelt, 80 Prozent in den ersten sechs Monaten.

5 Was bekommen Asylwerber nach den derzeitigen Regelungen?

Asylwerber haben ein Recht auf Grundversorgung, das heißt: Leben sie in einer staatlich organisierten Einrichtung, steht ihnen monatlich ein Taschengeld von 40 Euro zu. Außerdem bekommen sie für Bekleidung Gutscheine sowie einen Zuschuss für Schulbedarf gegen Vorzeigen der Rechnung. Sind sie privat untergebracht, gibt es 110 Euro monatlich für Miete und Betriebskosten. Für die Verpflegung stehen jedem Erwachsenen 180 Euro im Monat zu, Kinder bekommen 80 Euro.

6 Was bekommen die Unterkunftsgeber in den jeweiligen Ländern?

Unterkunftsbetreiber bekommen 19 Euro pro Person und Tag. Die Erhöhung des Betrages wurde heuer beschlossen. Wann sie zum Tragen kommt, hängt allerdings von den nötigen weiteren Beschlüssen in den Landtagen ab.

7 Apropos Unterbringung: Erfüllen die Länder jetzt eigentlich ihre Quoten?

Nein. Bis auf Wien kein einziges. Denn die 15a-Vereinbarung aus dem Jahr 2004 besteht auch nach dem Asylgipfel im November weiter. Bei dem Gipfel wurden ja nur die ärgsten Verzerrungen zwischen den Ländern beseitigt, indem die Länder nun zumindest 88 Prozent jener Quote erfüllen, die ihnen auf Basis ihrer Bevölkerung zugemessen wird. Am „bravsten“ ist derzeit Wien, das bei der Erfüllung 42 Prozent über seiner Quote liegt, alle anderen haben ein Minus. Das höchste (16 Prozent unter der Quote) hat Niederösterreich, allerdings nur, weil die anderen Länder zuletzt Asylwerber aus Traiskirchen übernommen haben. Sanktionen für die anhaltende Nichterfüllung der Quoten plant das Innenministerium derzeit keine.

8 Warum ist der Betreuungsschlüssel in Traiskirchen so hoch?

In Traiskirchen gibt es 460 Bedienstete. Das erscheint viel, vor allem weil die Belegzahl als Folge des Asylgipfels zuletzt von 1500 Flüchtlingen auf 674 gesunken ist. Allerdings seien nur 140 Bedienstete für die Betreuung im engeren Sinn zuständig, schätzt der Leiter des Zentrums, Franz Schabhüttl. Denn die Funktion als Erstaufnahmestelle bringt Aufgaben (und damit Personal) mit sich, die unabhängig von der Unterbringung sind: wie etwa ärztliche Erstuntersuchungen, Rechtsberatung, polizeiliche Aufgaben (Fingerabdruck et cetera). Zu den 460 auf dem Gelände tätigen Personen zählen zudem die Mitarbeiter einer Außenstelle des Bundesasylamts.

Lexikon

Asylwerber sind Menschen, die in einem fremden Land um Aufnahme und Schutz angesucht haben – und den Abschluss des Asylverfahrens abwarten.

Anerkannte Flüchtlinge sind asylberechtigt – sie haben also ihr Heimatland aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aufgrund ihrer Religion, Nationalität, politischen Meinung oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe verlassen. Bekommen sie in Österreich Asyl, dürfen sie auch arbeiten.

Migranten
dürfen mit Asylwerbern bzw. -berechtigten nicht verwechselt werden. Sie ziehen von ihrem Heimatland in ein fremdes Land, haben dafür aber andere Gründe: etwa bessere Arbeitsbedingungen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.12.2012)

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