Trendstadt: Berliner Chic für Wien

Trendstadt Berliner Chic fuer
Trendstadt Berliner Chic fuer(c) Erwin Wodicka wodicka aon at
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Wien ist zwar nicht das neue Berlin – wird es wohl auch nie werden. Doch das hält das internationale Szenevolk nicht davon ab, die alte Stadt neu zu entdecken und zur Trendstadt zu machen.

Eigentlich sagt es mehr über jene jungen Menschen aus, die gemeinhin als Szenevolk bekannt sind und die Macht haben, eine gewöhnliche Stadt zu einer Stadt zu machen, in die jeder will, als über die betroffene Stadt selbst. Dass Berlin diesen Stempel schon länger trägt, ist bekannt. So bekannt, dass die, die zuerst da waren, sich mittlerweile abwenden, um etwas Neues zu entdecken. Natürlich, in Deutschland gibt es auch ausreichend Städte – Leipzig etwa, das mit dem „Arm, aber sexy“-Charme mithalten kann und von vielen jungen Menschen, die dort ihre Start-ups gründen, entdeckt wird. Und das einen Vorteil hat, der Berlin langsam, aber sicher abhandenkommt: leistbare Mieten.

Ob auch Wien mit leistbarem Wohn- und Arbeitsraum aufwarten kann, sei einmal dahingestellt. Im Vergleich mit Berlin wohl eher kaum. Dennoch wird Wien von immer mehr jungen Menschen entdeckt, die zum eingangs erwähnten Szenevolk gehören. Da wird etwa in Blogs, die eine Zeitgeistdebatte führen wollen, darüber sinniert, dass Wien das neue Berlin ist. Während also vor Kurzem noch die junge Szene unbedingt nach Berlin – Kreuzberg, Prenzlauer Berg oder Friedrichshain – wollte, ist heute eben Wien der Ort, wo man hinmuss, wenn man sich interessant machen will. Auf dem Weblog „Fuckup“ etwa wird Wien eine „ideale Mischung aus Snobismus und Bohème, Hochkultur und Jugendkultur“ attestiert.


Tipps vom „Guardian“. Und selbst klassische Medien, wie der britische „Guardian“, entdecken Wien als europäischen „hotspot for a more underground and experimental vibe“. Erst im vergangenen November schickte die britische Tageszeitung ihre Leser auf eine „alternative music“-Tour durch die Bundeshauptstadt mit Tipps wie dem Pony Club in der Roten Bar, die Pratersauna, die Fluc Wanne, aber auch das Museumsquartier oder das Flex. Nicht ohne den Hinweis, manche Orte wie den Pony Club lieber schnell zu besuchen, bevor sie zum Mainstream zählen.

Besuche wie diese macht die Berlinerin Phoebe Maares in Wien schon lange – weil sie seit drei Jahren hier studiert. Dass sie sich ausgerechnet Wien dafür ausgesucht hat, hatte pragmatische Gründe: „In Berlin ist der NC (Numerus clausus) relativ hoch. Und Wien war die Stadt, die mich noch am meisten angesprochen hat“, sagt die 25-jährige Publizistik-Studentin. Anfangs war sie von ihrer ersten Wohnadresse, dem allzu sauberen dritten Bezirk, ein bisschen irritiert. Mittlerweile lebt sie in der Schönbrunner Straße und schätzt das „spontane Grätzl, das sich dort entwickelt“. Wien kann ihrer Meinung nach durchaus mit Berlin mithalten, nur ein paar Dinge gehen ihr ab. Secondhandbuchläden etwa könnte es ruhig mehr geben, auch mehr Bars. Und mehr Bäume. „Dafür ist Wien so klein und kompakt. Und hier ist auch die Kunstszene viel präsenter, vielleicht weil es so klein ist“, meint Maares, die auch den besseren Stundenlohn der Studentenjobs schätzt. Schmunzeln musste sie aber schon, als sie die Pratersauna entdeckte – und dort mit Berliner Musikern geworben wurde. Ist für sie Wien das neue Berlin? „Wenn Berlin das neue London ist, dann ja.“

Der deutsche Trendforscher Peter Wippermann sieht in Wien zwar durchaus Potenzial für die Verwandlung zur jungen Trendstadt oder zum Szene-Hotspot. Wirklich bemerkbar macht sich das für ihn aber in Deutschland noch nicht. Dafür sei man dort noch zu sehr mit Berlin beschäftigt. Wien habe aber – auch im Vergleich zu Berlin – einen Vorteil: „Wien hat als Trendstadt immer schon eine Bedeutung, weil sich zwei Dinge verbinden, wenn man an die Stadt denkt: Das eine ist logischerweise die Tradition, das andere die rebellierende Avantgarde.“ Er spricht dabei – wenn auch in erster Linie aus historischer Sicht – von einer „permanenten Unruhe“ und dem „Versuch, individuelle Antworten zu geben, auf aktuelle Fragen in der Kunst, in der Musik oder im Lifestyle“. Auch wenn er zugeben muss, dass diese Avantgarde derzeit nicht allzu sichtbar ist.

Generell braucht eine Stadt, die ein junges und hippes Image haben will, vor allem eines: Flächen im Umbruch, also vernachlässigte Stadtteile, die von jungen Menschen wieder entdeckt werden können. „Das zeigt sich überall, auch in New York oder Berlin“, so Wippermann. Das Wiener Potenzial begründet er übrigens mit dem Mangel an Alternativen: „Wenn Sie sich in Europa umschauen, haben Sie die Kristenstaaten im Süden, das soziale Problem in Frankreich, Sie haben das Desaster der sozial absteigenden Schicht in England, Sie haben Skandinavien, das in den letzten Jahren viel gehypt wurde und wo es jetzt ein bisschen ruhiger ist. Logischerweise ist da Wien hochinteressant.“ Nachsatz: „Wenn Sie mehrmals über Berlin schreiben, ist das auch langweilig.“

Das sieht auch Susan Ingram so, die an der York University in Toronto lehrt und nach dem Buch „Berliner Chic“ derzeit gemeinsam mit Markus Reisenleitner am „Wiener Chic“ arbeitet – das Buch soll Ende 2013 erscheinen. „Was Berlin betrifft, bleibt es so lange hip, bis die Mieten unbezahlbar und die Bobos die Mehrheit werden. Es ist bald am Kippen.“ Sie bezweifelt, dass auch im Sommer 2013 noch immer alle nach Berlin wollen – dafür wollen umso mehr nach Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.12.2012)

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