Wien: Schwerstes Zugsunglück seit acht Jahren

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Zwei S-Bahn-Züge prallten zwischen Penzing und Hütteldorf zusammen. 41 Menschen wurden verletzt. Unfallursache dürfte menschliches Versagen sein.

Wien. Es hätte noch viel schlimmer kommen können. Das ist das Beste, was man über das Zugsunglück sagen kann, das sich am Montag auf der S-Bahnlinie S45 zwischen den Wiener Bahnhöfen Hütteldorf und Penzing ereignet hat. Zwischen 250 und 280 Passagiere waren in den beiden „Talent“-Garnituren unterwegs, als sie gegen 8.45 Uhr frontal aufeinanderprallten.

Zwei Menschen wurden lebensgefährlich, drei weitere schwer, 36 leicht verletzt. Es war das schwerste Zugsunglück in Österreich seit 2005, als bei der Kollision zweier Garnituren der Pinzgaubahn bei Bramberg ein Lokführer und eine Urlauberin ums Leben kamen und 34 Menschen teils schwer verletzt worden sind. In Wien muss man sogar bis 1993 zurückgehen, um einen Bahnunfall ähnlicher Dimension zu finden: Damals stießen auf derselben Strecke wie Montag eine S-Bahn und ein Regionalzug zusammen, drei Menschen starben (siehe Chronologie unten).

Weichensteuerung ausgefallen

Wie konnte es zu dem Unglück kommen – auf einer geraden Strecke, auf der S-Bahnen normalerweise mit maximal 80 Stundenkilometern unterwegs sind? „Die Untersuchungen laufen“, sagt ÖBB-Sprecherin Sarah Nettel – und würden noch einige Tage dauern. Auch die Polizei ermittelt – unter den 200 Einsatzkräften, die nach der Kollision im Einsatz standen, war neben Feuerwehr und Rettungsorganisationen auch ein Unfallkommando.

Nach derzeitigem Stand der Ermittlungen dürfte es sich so zugetragen haben: Die automatische Steuerung einer Weiche auf der eingleisigen S45-Strecke, die in diesem Abschnitt parallel zur Westbahnstrecke verläuft, fiel am Montagmorgen aus – vermutlich hatte verwehter Schnee die Mechanik blockiert. Entsprechend dem Störungsprozedere der ÖBB musste daher der Fahrdienstleiter in Penzing die Steuerung der Züge manuell übernehmen. Dem derzeitigen Ermittlungsstand zufolge dürfte dabei ein Fehler – eine „menschliche Fehlleistung“, so die ÖBB – passiert sein: Der Zug von Penzing Richtung Hütteldorf hätte keine Fahrerlaubnis erhalten dürfen, setzte sich aber trotzdem in Bewegung.
Auf halber Strecke zwischen den Bahnhöfen – etwa auf Höhe der U4-Station Unter St. Veit – kollidierten die Züge dann. Beide Garnituren führten vor dem Zusammenprall eine Vollbremsung aus, wodurch das Schlimmste wohl verhindert werden konnte.

Nachdem Anrainer der Strecke durch einen lauten Knall alarmiert wurden, waren als Erstes Helfer der Wiener Berufsretter an Ort und Stelle, die keine hundert Meter vom Unglücksort entfernt einen Stützpunkt unterhalten.
Die Passagiere wurden gemeinsam mit der Feuerwehr – einer der Lokführer musste mithilfe hydraulischen Werkzeuges aus der Führerkabine geborgen werden, die sich mit dem entgegenkommenden Zug verkeilt hatte; er schwebte in Lebensgefahr – aus den Zügen befreit. In der Folge wurden die Verletzten mit zwei Rettungshubschraubern und mehreren Fahrzeugen in verschiedene Spitäler gebracht; die Schwerverletzten wurden im Unfallkrankenhaus Meidling sowie im Lorenz-Böhler-Krankenhaus behandelt.

Der Zugführerstand wurde durch den Aufprall in den Passagierraum gedrückt.
Der Zugführerstand wurde durch den Aufprall in den Passagierraum gedrückt.(c) Reuters/Heinz-Peter Bader

Verzögerungen im Bahnverkehr

Die Bergung der Passagiere dauerte bis 10.30 Uhr – bis dahin war nicht nur der Betrieb der S45 eingestellt, sondern der gesamte Zugverkehr zwischen Westbahnhof und Hütteldorf. Die Folge waren weitreichende Verzögerungen auf der gesamten Strecke Wien–Salzburg. Einfahrende Züge mussten vor Hütteldorf warten, ausfahrende konnten den Westbahnhof nicht verlassen.

Wegen des umfangreichen Rettungseinsatzes – unter anderem setzte die Feuerwehr mehrere Drehleitern ein – kam es auch auf den umliegenden Straßen zu Staus.

Während diese Behinderung mit Ende der Bergungsarbeiten aufgehoben worden ist, haben S45 und S50 erst am Dienstagvormittag ihren Betrieb zwischen Hütteldorf und Penzing wieder aufnehmen können. Die S45 konnte zum Frühverkehr den Zehn-Minuten-Takt im Abschnitt von Penzing bis Hütteldorf noch nicht zu Gänze einhalten, laut OEBB-Streckeninformation soll dies aber 10 Uhr möglich sein. Die S50 war schon seit Betriebsbeginn am Dienstag wieder voll im Einsatz.

Chronologie der Zugskollisionen in Wien

28. September 2012: Die Lokomotive und der erste Waggon eines Intercity springen kurz nach der Abfahrt vom Westbahnhof aus den Schienen. Verletzt wird niemand.
20. Juni 2011: Beim Westbahnhof kollidieren eine Verschublok und eine Lok mit einer Garnitur leerer Waggons. Zwei Verschubmitarbeiter werden verletzt.
9. Oktober 2009: Eine Schnellbahn stößt beim Matzleinsdorfer Platz mit einem Oberbauzug auf demselben Gleis zusammen. Ein ÖBB-Mitarbeiter des Baufahrzeugs wird schwer verletzt.
30. April 2007: Am Südbahnhof kommt es zur seitlichen Kollision zweier Verschubzüge. Ein ÖBB-Mitarbeiter wird schwer verletzt.
28. September 2006: In der Oswald-Schleife im Bereich Schöpfwerk-Tscherttegasse auf der Verbindungsstrecke zwischen West- und Ostbahn stößt ein Schnellzug aus Ungarn mit einer Draisine zusammen. Vier ÖBB-Arbeiter werden verletzt, drei von ihnen schwer
27. Februar 2002: Zwei Güterzüge prallen in Simmering aufeinander. Beide Lokführer werden verletzt.
18. Februar 1993: Drei Menschen kommen ums Leben und rund 30 werden verletzt, als in Penzing in der Nähe des Bahnhofs Hütteldorf ein Regionalzug und eine Schnellbahngarnitur frontal zusammenstoßen. Ein Zug aus Neulengbach prallt mit rund 30 km/h gegen eine etwa 60 km/h schnelle S-Bahn-Garnitur.
9. November 1991: Nahe der Haltestelle Süßenbrunn an der nordöstlichen Stadtgrenze sind drei Schnellbahngarnituren in einen Unfall verwickelt. Vier Menschen sterben, 30 erleiden teilweise schwere Verletzungen.
17. August 1981: Menschliches Versagen ist die Ursache dafür, dass ein Pendlerzug im Südbahnhof auf einen Prellbock fährt. Drei Menschen sterben, 140 werden verletzt.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 22. Jänner 2013)

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